Wahl in Rumänien: Das Gespenst der rechtsextremen Mehrheit
29. November 2024Tausende junge Menschen, die in Großstädten Abend für Abend gegen Extremismus und für Europa demonstrieren. Botschaften von Social-Media-Stars, die dazu aufrufen, die Heimat nicht in den Abgrund stürzen zu lassen. Intellektuelle, die von einer der größten Tragödien in der jüngeren Geschichte des Landes sprechen. Medien, die kaum noch über etwas anderes berichten.
Rumänien steht nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahl vom vergangenen Sonntag (24.11.2024) Kopf. Gewonnen hat sie scheinbar aus dem Nichts mit rund 23 Prozent der Parteilose Calin Georgescu: ein rechtsextremer Putin-Bewunderer, Apologet des christlich-orthodoxen rumänischen Faschismus der Zwischenkriegszeit, Verschwörungstheoretiker und esoterischer Schwurbler.
Am kommenden Sonntag (1.12.2024) findet nun die Parlamentswahl statt, eine Woche später wiederum die Stichwahl um das Präsidentenamt. In Rumänien befürchten viele, dass rechtsextreme Parteien im Parlament die Mehrheit erringen könnten. Und anschließend ein Rechtsextremer und Putin-Fan auch noch Präsident wird.
Das würde nicht nur Rumänien ins Chaos stürzen, sondern auch der EU und der NATO erhebliche Probleme bescheren. Rumänien ist das sechstgrößte EU-Land und der wichtigste NATO-Partner in Südosteuropa. Es hat die wichtigste Raketenabwehr-Station und den wichtigsten Luftwaffenstützpunkt der Region. Ein wesentlicher Teil der militärischen Hilfe für die Ukraine wird über Rumänien abgewickelt. Zudem ist das Land Schwarzmeer-Anrainer und liegt auf dem Weg ukrainischer Getreidefrachter. Daher ist Rumäniens geopolitische Bedeutung weit größer als die von Staaten wie Ungarn und der Slowakei, die mit ihren regierenden Nationalisten um Viktor Orban und Robert Fico ebenfalls aus dem Konsens der EU und der NATO ausgeschert sind.
Kein Unglück aus heiterem Himmel
Dass in Rumänien ein rechtsextremer Putin-Bewunderer, der mit christlichen Messias-Botschaften auftritt, massenhaft Zulauf erhält, ist kein Unglück aus heiterem Himmel - die jüngere Geschichte des Landes ist an Tragödien und Scheidewegen nicht arm. Schon der profaschistische Diktator der Zwischenkriegszeit, Ion Antonescu, und der größenwahnsinnige Herrscher Nicolae Ceausescu pflegten einen ähnlich messianischen Kult. Unter Ceausescu erlebte das Land, neben Albanien, die schlimmste Diktatur im Ostblock.
Einzig in Rumänien fand 1989 ein blutiger Umsturz statt, mehr als eintausend Menschen starben dabei. Zehn Jahre später, 1999, stand Rumänien während eines Bergarbeiteraufstandes kurz vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Im Jahr darauf zog der Ultranationalist und ehemalige Ceausescu-Hofdichter Corneliu Vadim Tudor in die Stichwahl um das Präsidentenamt ein. Gewählt wurde jedoch als kleineres Übel der Wendekommunist Ion Iliescu, der für die Toten nach dem Sturz Ceausescus mitverantwortlich zeichnete und der später Gründervater der nur nominell sozialdemokratischen, de facto aber stramm populistisch und nationalistischen Partei PDS war.
Keine verlässlichen Umfragen
Nun steht Rumänien wieder vor der Entscheidung, ob es mit der Wahl von Rechtsextremen einen Sonderweg beschreitet oder nicht. Von Normalität ist unter diesen Umständen im Endspurt vor der Parlamentswahl nichts mehr zu spüren. Schon allein deshalb, weil vor der Präsidentschaftswahl keine Umfragen den Erfolg von Calin Georgescu in irgendeiner Weise auch nur angedeutet hatte - und weil es nun auch keine verlässlichen Umfragen für die Parteienwahl gibt.
Laut den Prognosen der vergangenen Woche könnten sechs Parteien ins Parlament einziehen: die bisher zusammen regierenden Pseudo-Sozialdemokraten und die Nationalliberalen von der PNL, außerdem mehrere rechtsextreme Parteien, darunter die Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) und S.O.S. Romania, sowie die progressiv-liberale Partei Union Rettet Rumänien (USR) und die Partei der ungarischen Minderheit UDMR.
Ursprünglich waren die Sozialdemokraten in Umfragen auf rund 30 Prozent gekommen, die Nationalliberalen auf rund 15 Prozent. Das steht nun völlig in Frage, denn die Kandidaten der beiden Parteien für die Präsidentschaftswahl, der amtierende Premier Marcel Ciolacu (PSD) und der Vorsitzende des Senats, der Oberkammer des Parlaments, Nicolae Ciuca (PNL), sind kläglich gescheitert und haben wegen ihrer Wahldebakel jeweils den Vorsitz ihrer Partei abgegeben.
Wie schneiden die Progressiv-Liberalen ab?
Die rechtsextremen Parteien AUR und SOS Romania kamen in bisherigen Umfragen auf 25 bis 28 Prozent. In der Präsidentschaftswahl erreichten alle rechtsextremen Kandidaten zusammengenommen jedoch 38 Prozent. Nach der Schockwahl von Georgescu befürchten nun manche Beobachter, dass Rechtsextreme sogar eine Parlamentsmehrheit erreichen könnten.
Eine andere Wahlgewinnerin könnte die progressiv-liberale USR sein, deren Kandidatin Elena Lasconi die zweitplazierte für die Stichwahl um das Präsidentenamt am 8.12.2024 ist und gute Chancen auf einen Wahlgewinn hat. Die USR hatte in Umfragen bisher nur ein niedriges zweistelliges Ergebnis erreicht, könnte jedoch nun vom Debakel der bisherigen Regierungsparteien profitieren.
Verhasstes "Establishment"
Auf dem Spiel steht bei der Parlamentswahl erheblich mehr als bei der Präsidentschaftswahl. Rumäniens Staatschef hat zwar einige wichtige Befugnisse in der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch er kann ohne Parlament und Regierung keine wegweisenden exekutiven Entscheidungen treffen. Deshalb wäre ein rechtsextremer, prorussischer Verschwörungstheoretiker wie Georgescu als Präsident zwar ein Unglück für Rumänien, nicht aber das schlimmste Szenario. Das träte mit einer rechtsextremen Parlamentsmehrheit ein.
Inhaltlich kommt bei vielen Wählerinnen und Wählern vor allem das Versprechen rechtsextremer Parteien an, das in Rumänien weithin verhasste "Establishment" hinwegzufegen. Das Land wird seit dem Sturz Ceausescus von Klientelnetzwerken dominiert, die sich unter anderem in der heutigen Sozialdemokratischen Partei zusammengefunden haben. Die PSD gilt vielen Rumänen als das Synonym für Korruption und Vetternwirtschaft schlechthin. Aber auch der Ruf der Nationalliberalen, die in den vergangenen drei Jahren in einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten regierten, ist nicht besser. Weil die beiden Parteien seit Jahrzehnten grundlegende Reformen in Staatsverwaltung und Justiz blockieren, hat sich in großen Teilen der Gesellschaft ein tiefsitzender Hass gegen das Establishment breit gemacht.
Unsichere Zeiten
Der seit zehn Jahren amtierende Staatspräsident Klaus Johannis hat seinen Teil dazu beigetragen. Johannis war 2014 mit dem Versprechen radikaler Staatsreformen und eines entschlossenen Kampfes gegen Korruption gewählt worden, hat den größten Teil seiner Amtszeit jedoch zurückgezogen und passiv verbracht, obwohl er als Präsident Einfluss auf die Exekutive hätte nehmen können, etwa durch die Verfassung gedeckte Möglichkeit, Regierungssitzungen zu leiten. Doch selbst auf die jetzige politische Entwicklung reagierte Johannis bisher mit Schweigen.
Verkompliziert wird die Situation zur Zeit durch eine Anordnung des Verfassungsgerichtes, die Stimmen aus dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl neu auszählen zu lassen. Vorausgegangen waren der Entscheidung Anträge von zwei weit abgeschlagenen Präsidentschaftskandidaten, die Wahl wegen Betrugs annullieren zu lassen. Das Verfassungsgericht ist in Rumänien nominell unabhängig, seine Mitglieder werden jedoch vom Parlament und vom Präsidenten ernannt, häufig handelt es sich um ehemalige Parteipolitiker.
Die rumänische Praxis zeigt, dass das Verfassungsgericht oft für politische Intrigen benutzt wird. Das war offenbar auch Anfang Oktober der Fall, als eine rechtsextreme Kandidatin von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen wurde, mutmaßlich, um einen für die regierenden Sozialdemokraten günstigeren Wahlausgang zu ermöglichen.
Wie sich die aktuelle Entscheidung des Verfassungsgerichtes auswirken wird, ist unklar. Fest steht: Insgesamt zeichnen sich durch die Parlamentswahl sehr schwierige politische Verhältnisse für Rumänien ab, da voraussichtlich keine Partei allein die absolute Mehrheit erreicht. Da die rechtsextremen Parteien untereinander teils schwer zerstritten sind, würde es wohl zu innenpolitischem Chaos führen, wenn sie eine Parlamentsmehrheit erhielten. Im Falle eines Wahlsieges der progressiv-liberalen USR wäre diese auf Koalitionspartner angewiesen - und dafür kämen nur die Parteien des bisherigen Establishments oder eine Minderheitsregierung in Frage. Rumänien steuert also auf sehr unsichere Zeiten zu.