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Politik

Wahl in Ungarn: Ja oder Nein zu Orban

31. März 2022

Erstmals seit zwölf Jahren steht Ungarns Premier Viktor Orban vor einem möglichen Machtverlust. Die Parlamentswahl in Ungarn ist auch ein Votum darüber, ob sein illiberales Modell in der EU weiter einen Platz haben kann.

Ungarn Präsident Viktor Orban
Ungarns Premier Viktor Orban bei einer Wahlkampfrede am 15.03.2022 in BudapestBild: Anna Szilagyi/AP Photo/picture alliance

Noch vor wenigen Jahren hatte ein provokativer Satz des ungarischen Premiers Viktor Orban das Potential, europaweit für Aufsehen zu sorgen - etwa, als er sein Konzept eines "illiberalen Staates" verkündete. Groß war die Angst, dass sein rechtskonservativ-nationalistischer Autoritarismus Schule machen und die Europäische Union immer weiter aushöhlen könnte.

Inzwischen mag sich kaum noch jemand in der EU ernsthaft mit Orban auseinandersetzen. Seine außenpolitische Bedeutung besteht fast nur noch in Veto-Befugnissen, die er in Brüssel oft in destruktiver Weise einsetzt. Die Europäische Volkspartei (EVP) warf die Orban-Partei Fidesz (Bund Junger Demokraten) 2021 praktisch hinaus, seitdem sind Ungarns Premier und seine Partei erfolglos auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat in Europa. Mit seinem Ost-West-Schlingerkurs und seiner Putin-freundlichen Haltung hat Orban sich isoliert.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und Ungarns Premier Orban (r.) am 01.02.2022 in MoskauBild: Mikhail Klimentyev/Russian President Press Office/dpa/picture alliance

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine stieß er mit seiner unkritischen Linie gegenüber Moskau sogar bisherige Verbündete, etwa in Polen und Slowenien, vor den Kopf - so sehr, dass er ein für Mittwoch (30.03.2022) geplantes Gipfeltreffen der Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn in Budapest absagen musste, weil niemand kommen wollte.

"Führerdemokratie"

Ganz im Gegensatz dazu steht Orbans einheimische Übermächtigkeit. Ungarns Premier kontrolliert nach mehr als einem Jahrzehnt an der Macht die gesamte Staatsverwaltung des Landes, den öffentlichen Dienst, den größten Teil der Justiz und der Medien und sogar weite Teile der Privatwirtschaft. Oft zählt bei Entscheidungen das Wort des "Chefs", wie der Premier in seiner eigenen Partei heißt. "Führerdemokratie" hat der österreichisch-ungarische Publizist Paul Lendvai das Orban-Modell genannt.

Demonstration von Anhängern Viktor Orbans am 15.03.2022, Ungarns Nationalfeiertag, in BudapestBild: Anna Szilagyi/AP Photo/picture alliance

Diese "Führerdemokratie" und das Modell Orban stehen nun erstmals seit zwölf Jahren zur Disposition. Am Sonntag (03.04.2022) findet in Ungarn die Parlamentswahl statt - und dabei geht es eigentlich nur um eines: Ein Ja oder Nein zu Orban und seinem System. Es ist die erste Wahl seit 2010, die Ungarns Premier verlieren könnte. Im Land hat sich eine gewisse Orban-Müdigkeit breit gemacht, vor allem wegen des Klientelismus und der verbreiteten Korruption. Zudem tritt die im vergangenen Jahrzehnt zersplitterte Opposition erstmals gemeinsam an - und hat durchaus Chancen auf einen Wahlsieg.

Wahlen frei, aber unfair

Der Ausgang der Wahl wird nicht nur für Ungarn, sondern auch für Europa von großer Bedeutung sein. Denn Orban war der erste Regierungschef eines EU-Landes, der einen systematischen Rechtsstaats- und Demokratieabbau betrieb und in der Union damit jahrelang immer wieder zermürbende Debatten und Krisen auslöste. Auch machte Orbans Modell in einigen EU-Ländern, vor allem in Mittel- und Südosteuropa, zumindest teil- und zeitweise Schule. Eine Bestätigung von Orban im Amt oder seine Abwahl ist daher auch ein Votum über die Frage, ob ein illiberales Modell wie das des ungarischen Premiers in der EU weiterhin einen Platz haben kann.

Viktor Orban bei einer Debatte im EU-Parlament in Straßburg am 11.09.2018Bild: picture-alliance/AP Photo/J.F. Badias

Umfragen der vergangenen Wochen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Fidesz und den sechs Parteien der vereinten Opposition voraus. Was sich in den nackten Zahlen nicht widerspiegelt: Das Regierungslager und die Opposition treten mit völlig ungleichen Voraussetzungen an. Kritiker bringen das seit Langem mit einem Satz auf den Punkt: Wahlen in Ungarn sind noch frei, aber nicht mehr fair.

Frisierte Wahlregeln

So etwa lässt Orban regelmäßig und auch zu Nicht-Wahlzeiten sogenannte nationale Konsultationen - Meinungsumfragen der Regierung unter der gesamten Bevölkerung - zu politischen und sozialen Themen veranstalten. Die sind nichts anderes als aus dem Staatshaushalt teuer finanzierte Kampagnen zur Wählermobilisierung. In solchen Konsultationen wird wahlweise gegen Flüchtlinge, den US-Börsenmilliardär George Soros, angeblich arbeitsscheue Roma oder Homosexuelle und ihre vermeintliche Propaganda gehetzt.

Plakat einer ungarischen Regierungskampagne gegen den US-Börsenmilliardär Soros und die EUBild: Martin Fejer/est&ost/Joker/picture-alliance

Zum anderen wurde die Wahlgesetzgebung Stück für Stück auf Fidesz und sein Wählerlager zugeschnitten. So ließ die Orban-Regierung die Wahlkreise zugunsten von Fidesz neu aufteilen. Angehörige der ungarischen Minderheiten in Ungarns Nachbarländern, die häufig die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen und traditionell Fidesz-Sympathisanten sind, haben ein Listenwahlrecht, das sie auch per Briefwahl ausüben können. Umgekehrt haben ungarische Emigranten in westlichen Ländern, die überwiegend keine Fidesz-Anhänger sind, kein Briefwahlrecht, sondern müssen oft lange Anfahrtswege zu Botschaften und Konsulaten in Kauf nehmen. Viele hindert das an der Stimmabgabe.

"Korrupteste Regierung seit tausend Jahren"

Ende 2021 legalisierte die Orban-Regierung zudem die Anmeldung unter Wohnadressen, an denen man nicht lebt - mutmaßlich, um Wahltourismus zu erleichtern. Das war einer der Gründe, warum die OSZE zur diesjährigen Wahl erstmals eine Langzeit-Wahlbeobachtungsmission entsandt hat. Sie soll einen möglichen Wahlbetrug dokumentieren.

Der Spitzenkandidat der vereinten ungarischen Opposition, Peter Marki-ZayBild: Laszlo Balogh/AP/picture alliance/dpa

Um Betrug im weitesten Sinne ging es bis vor Kurzem auch in der Wahlkampagne der Opposition. Ihr Spitzenkandidat, der wortgewandte Kleinstadt-Bürgermeister Peter Marki-Zay, prangert die Orban-Regierung als "die korrupteste der vergangenen tausend Jahre in Ungarn" an und wirft dem Premier Doppelmoral vor, etwa wenn er gegen Migranten hetze, aber insgeheim reichen und oft dubiosen Geschäftsleuten aus aller Welt in Ungarn Unterschlupf gewähre. Umgekehrt schürten Orban und seine Partei in ihrer Wahlkampagne die Angst vor einer Rückkehr zur verhassten sozialliberalen Regierungszeit des Ex-Premiers Ferenc Gyurcsany, dessen Marionette Marki-Zay angeblich sei.

Riskante Strategie

Schmutzig sind Wahlkämpfe in Ungarn seit Jahrzehnten. Noch bevor allerdings der diesjährige einen neuen Tiefpunkt erreichen konnte, überlagerte der Krieg in der Ukraine alles andere. Es ist bislang unklar, wie sich die Putin-freundliche Haltung Orbans auf die Wahl auswirken wird. Viele Ungarn sind jedenfalls zutiefst schockiert von Russlands Aggression. Selbst unter Fidesz-Wählern werden Erinnerungen an den Einmarsch sowjetischer Truppen 1956 und die blutig niedergeschlagene ungarische Revolution wach.

Wladimir Putin und Viktor Orban am 30.10.2019 in Budapest Bild: Kremlin Press Office /AA/picture alliance

Doch Ungarns Regierung hat Putins Angriffskrieg bisher nur äußerst halbherzig verurteilt, regierungsnahe Medien verbreiten haarsträubende prorussische Propaganda. Orban selbst vermeidet jegliche Kritik an Putin und gibt die Linie aus, dass Ungarn sich aus dem Konflikt unbedingt heraushalten müsse. Es ist eine riskante Strategie für einen Mann, der sich als Jungpolitiker mit antisowjetischen Parolen profilierte und sich vor 2010 immer wieder explizit Putin-kritisch äußerte.

Sabotage aus dem Hintergrund

Nun wirft Orban der Opposition vor, sie wolle ungarische Soldaten in den Krieg in die Ukraine schicken und Ungarn auf diese Weise in den Konflikt hineinziehen, was frei erfunden ist. Die Opposition ihrerseits griff das Kriegsthema ebenfalls auf: Sie stilisiert die Wahl nun zu einem Votum zwischen Putin und dem Westen, zwischen Tyrannei und einem demokratischen Europa.

Doch egal wie die Wahl ausgeht - ein Ergebnis steht paradoxerweise schon jetzt fest: Selbst bei einer Abwahl wird Orban aus dem Hintergrund weiter mitagieren. Viele hohe Posten im Staat, etwa im Medienrat, im Verfassungsgericht oder in Wirtschaftsgremien, sind teilweise bis ins kommende Jahrzehnt mit Orban-treuen Personen besetzt. Mit ihrer Hilfe kann der Fidesz-Chef die Arbeit einer jeden neuen Regierung zumindest erheblich sabotieren.