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Europawahl, Doppelwahl

Greta Hamann27. Mai 2014

Ein Mensch, eine Stimme: So funktioniert eine Demokratie. Jeder ist gleich. Bei den Wahlen zum EU-Parlament gingen manche EU-Bürger jedoch mehrmals wählen. Das ist zwar strafbar, wird aber nicht kontrolliert.

EU Parlamentswahl, Stimmzettel (Foto: Kay Netfeld/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Sonntagabend in der politischen Talkshow "Günther Jauch" im deutschen Fernsehen. Zu Gast: Hochrangige deutsche Politiker, eine Schriftstellerin und Giovanni di Lorenzo, Deutsch-Italiener und Chefredakteur der renommierten deutschen Wochenzeitung "Die Zeit". Es kommt zu folgendem Dialog:

Jauch: "Herr di Lorenzo, haben Sie in Deutschland oder Italien gewählt?"
Di Lorenzo: "Ich habe in Deutschland gewählt, allerdings zwei Mal. Ein Mal gestern im italienischen Konsulat und ein Mal heute in einer deutschen Grundschule."
Jauch: "Sie dürfen zwei Mal wählen?"
Di Lorenzo: "Ich darf zwei Mal wählen, weil ich zwei Pässe habe."

Doch da irrt di Lorenzo. Das Europäische Wahlgesetz sagt eindeutig, dass jeder Mensch nur ein Mal seine Stimme abgeben darf. Wer dagegen verstößt, macht sich sogar strafbar: Geldstrafe oder bis zu fünf Jahren Gefängnis drohen.

Keine Kontrolle über Stimmabgabe

Trotzdem bekamen zur EU-Wahl zahlreiche Bürger mehrere Wahlbenachrichtigungen, die sie auch problemlos alle einlösen konnten. Das trifft nicht nur auf diejenigen zu, die beispielsweise einen Doppelpass besitzen, sondern auch auf Menschen, die an mehreren Wohnsitzen gemeldet sind. Ob diese EU-Bürger ihre Stimme dann mehr als nur einmal abgeben, wird von keiner Seite kontrolliert.

Wie kann das sein? "Das Problem ist seit Langem bekannt und wird immer wieder diskutiert. Aber die EU und die nationalen Regierungen haben dieses Problem schlicht und einfach verpennt und ausgesessen", sagt der Rechtsanwalt und Betreiber eines Jura-Blogs Udo Vetter. Er schätzt, dass in Europa rund zwei bis drei Millionen Menschen mehrmals ihr Kreuzchen gemacht haben. "Das stellt das Ergebnis der EU-Wahl auf keinen Fall in Frage, sie muss auch nicht wiederholt werden." Bei 400 Millionen wahlberechtigten Europäern insgesamt könnten diese doppelten Stimmabgaben keinen großen Einfluss auf die Machtverteilung gehabt haben. Trotzdem müsse man sich um diesen Missstand kümmern, sagt Vetter im Interview mit der DW.

"Ich habe zwei Mal gewählt", sagt di Lorenzo im TVBild: imago/Müller-Stauffenberg

Bundeswahlleiter Roderich Egeler sieht kein Problem darin, dass einige Menschen mehrere Wahlbenachrichtigungen bekommen. Ein Fehler sei das nicht. Man gehe in diesen Fällen schlicht und einfach davon aus, "dass der Unions-Bürger seine Rechte in der Weise in Anspruch nimmt, wie das Gesetz es auch vorschreibt - nämlich nur einmal wählen zu gehen." Ob man sich an das Gesetz hält, liegt also an jedem einzelnen Bürger selbst.

Der lasche Umgang mit diesem Missstand sende das falsche Signal an die Öffentlichkeit, glaubt Vetter: "Das ist natürlich in den Augen der EU-Skeptiker ein gefundenes Fressen", sagt der Rechtsanwalt. "Und es stellt die vielen Vorteile, die die EU uns bietet, wieder in den Schatten."

Ein Wahlsystem für die ganze EU

Ein einheitliches europäisches Wahlsystem wäre die Lösung, sagt Martin Nettesheim, Professor für Europarecht an der Universität Tübingen. "Dann bekäme jeder EU-Bürger einen europäischen Wahlschein, den er da einlösen kann, wo er es gerne möchte und von dem er nur ein Mal Gebrauch macht." Eigentlich sieht der Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union die Einführung dieses einheitlichen Wahlsystems auch vor. "Allerdings fehlt den Mitgliedsstaaten der Wille, das auch umzusetzen", sagt Nettesheim im Gespräch mit der DW. Das Europawahlrecht, so sieht es der Vertrag vor, muss einstimmig von allen Mitgliedsländern beschlossen werden. Bei 28 verschiedenen Ländern mit 28 Wahlsystemen und Vorstellungen davon, wie eine Wahl auszusehen hat, eine nicht leicht umzusetzende Aufgabe.

Rechtsanwalt Vetter: Problem bekanntBild: Udo Vetter

Es ist ein Missstand, der an dem Wahlergebnis wenig ändert. Doch für das Image der Europäischen Union ist er nicht besonders förderlich. "Die Europäische Union und unser Wahlsystem haben eine Vorbildfunktion. Wir sollten es den Kritikern nicht so leicht machen", sagt Nettesheim.

#GiovanniGate

Und noch einer muss derzeit mit einem Imageschaden kämpfen: In den sozialen Medien ist das GiovanniGate ausgebrochen. Von vielen Seiten hagelt Kritik auf den Journalisten. Auch die deutsche Staatsanwaltschaft ermittelt bereits. Ins Gefängnis wird er jedoch nicht gehen müssen, entwarnt Strafverteidiger Udo Vetter. "Wahrscheinlich wird das Verfahren gegen eine Zahlung von 1000 oder 2000 eingestellt."

Di Lorenzo hat sich bereits öffentlich entschuldigt, seine Stimme zwei Mal abgegeben zu haben. Doch eine Frage bleibt bis heute offen: Warum liest der Chefredakteur seine eigene Zeitung nicht? Nur wenige Tage vor der EU-Wahl hatte "Die Zeit" einen Artikel veröffentlicht, in dem genau dieser Missstand erläutert wurde. Im Artikel wird sogar ein Sprecher der italienischen Botschaft zitiert: "Jeder Wähler trägt selbst die Verantwortung: Wenn er redlich ist, wird er seine Stimme wie alle anderen nur einmal abgeben."

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