Wahlen in Marokko
6. September 2007Fast 15 Millionen Marokkaner sind am 7. September zu Parlamentswahlen aufgerufen, den zweiten, seit König Mohammed VI. vor acht Jahren den Thron bestiegen hat. Von offizieller Seite werden sie als die transparentesten Wahlen in der Geschichte Marokkos angekündigt. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass es einen Erdrutschsieg der Islamisten geben wird. Die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD), eine legale islamistische Partei, die als moderat gilt, scheint beste Aussichten zu haben, die Wahlen mit großem Vorsprung zu gewinnen.
Die wichtigste politisch-religiöse Kraft in Marokko bleibt allerdings "Gerechtigkeit und Wohltätigkeit" (Al-Adl wal-Ihsan), die vor allem in den Armenvierteln des Königreichs sehr populär ist. Diese Gruppierung wird nur als karitative Organisation toleriert und ist als politische Partei verboten, weil sie die religiöse Autorität des Königs nicht anerkennt, der laut marokkanischer Verfassung Oberhaupt der Gläubigen ist.
Die politische Konkurrenz erinnert immer wieder an Algerien, wo der Wahlsieg der Islamischen Heilsfront (FIS) das Land in einen Bürgerkrieg geführt hatte. Die Terroranschläge vom Mai 2003 in Casablanca und die Anschlagsserie vom Frühjahr 2007 in Marokko und Algerien haben das Misstrauen der westlich orientierten Gesellschaftsschichten verstärkt.
Die Beziehungen zum Westen werden gepflegt
Die PJD versucht vor diesem Hintergrund mit allen Mitteln zu beweisen, dass sie ein Puffer gegen die Extremisten ist. Sie gibt sich in Wirtschaftsfragen liberal, in sozialer Hinsicht konservativ und versucht gute Beziehungen zu den westlichen Ländern zu pflegen, vor allem zu Washington.
"Das größte Problem bei uns ist die Korruption", meint Lahcen Daoudi vom PJD-Generalsekretariat. Darum hat die PJD den Kampf dagegen zum Hauptthema ihres Wahlkampfs gemacht. Inhaltlich lehnt sie sich an das Programm der türkischen AKP an. Sie wünscht sich wirtschaftlich enge Beziehungen zu Europa und solvente europäische Rentner als Einwanderer.
Heterogene Parteienlandschaft
Auch die Regierungskoalition stellt ihre wirtschaftlichen Errungenschaften in den Vordergrund ihres Wahlkampfs. Die Bilanz kann sich in der Tat sehen lassen: durchschnittlich fünf Prozent Wachstum in den vergangenen Jahren. Doch die Koalition ist ideologisch sehr heterogen und besteht aus traditionell linken Parteien, wie der "Union Socialiste de Forces Populaires" (USFP) und der ex-kommunistischen Partei "Parti du Progrès et du Socialisme" (PPS), aber auch konservative Parteien, wie der Istiqlal (Unabhängigkeit) oder dem "Mouvement Populaire" sind vertreten. Diese Parteien sind für viele Marokkaner einfach schon zu lange an der Macht.
Dazu kommen weitere Parteien - das Spektrum reicht von Islamisten bis zur radikalen Linken. Der Überblick fällt bei 33 Parteien schwer. Doch egal welche Partei die Wahlen gewinnen wird - es ist ausgeschlossen, dass ihr Sieg das politische System Marokkos ändern wird. Der König hat und behält politisch das Sagen. Er ernennt den Premierminister, die Regierungsmitglieder und ist von der Verfassung her nicht einmal daran gebunden, sie aus der Partei zu benennen, die die Wahlen gewonnen hat. Der König kann auch das Parlament auflösen, wenn er es für nötig hält.
Parlament eigentlich ohne Einfluss
"Diese Wahlen sind also nutzlos", folgerte Ahmed Benchemsi, Herausgeber des frankophonen Magazins "TelQuel“ und seines arabischen Pendants "Nishan“, und zog damit den Unmut der Mächtigen auf sich. Sein Verbrechen: Er hat das Machtmonopol des Königs kritisch hinterfragt. Das Parlament spiele im politischen Leben keine relevante Rolle, meint Benchemsi. "Der König gibt politisch die Richtung vor, egal welche Regierungskoalition an die Macht kommen wird." Auch 2002 seien die Wahlen transparent gewesen. "Das Problem sind nicht die Wahlen, sondern was nach den Wahlen passiert, weil sich die wahre Macht woanders befindet." Die Ausgabe der Magazine, in denen Benchemsis Kritik enthalten war, musste komplett eingestampft werden, er selbst wurde 20 Stunden lang von der Polizei verhört.
Wahlüberraschungen sind aus zwei Gründen ohnehin ausgeschlossen. Das marokkanische Wahlsystem erlaubt es nicht, dass eine Partei so viele Stimmen erhält, dass sie alleine regieren könnte. Und um einen eventuellen islamistischen Erdrutschsieg zu verhindern, wurden vorsorglich die Wahlkreise so abgeändert, dass auf die Städte, in denen die PJD traditionell stark ist, weniger Abgeordnete entfallen, als auf die ländlichen Wahlkreise.
Erstmals ausländische Wahlbeobachter
Die große Unbekannte bei diesen Wahlen ist die Wahlbeteiligung. Um das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, sollen diese Wahlen so transparent wie möglich ablaufen. "Wir stimmen uns mit der marokkanische Zivilgesellschaft ab, vor allem mit den Organisationen, die ausschließlich zum Zweck der Wahlbeobachtung ins Leben gerufen wurden", beschreibt Ahmed Harzni, Präsident des Rats für Menschenrecht, der mit der Überwachung der Wahlen beauftragt ist. Außerdem habe man zum ersten Mal in der Geschichte Marokkos ausländische Beobachter zugelassen.