Wahlen im Jemen
17. Februar 2012Die mediale Aufmerksamkeit für den Jemen hat in letzter Zeit nachgelassen. Seitdem der Aufstand in Syrien eskaliert ist und die Zahl der Toten dort täglich steigt, richtet sich die Aufmerksamkeit der Welt eher auf das Assad-Regime. Der Jemen hingegen scheint die Gefahren bürgerkriegsähnlicher Zustände auf den ersten Blick erst einmal überstanden zu haben. Hat der Volksaufstand dort also bereits ein gutes Ende genommen? Dafür gibt es bislang keine überzeugenden Anzeichen.
Gefahren durch Islamisten und Stammesrivalitäten
Denn im Jemen, wo bereits sehr früh und heftig Proteste im Zuge des Arabischen Frühlings ausbrachen, ist derzeit vieles in Bewegung. Die Gefahren, die es in dem bettelarmen Land bereits vor den Protesten gegeben hatte, bestehen jedoch fort: Es droht in vielen Teilen des Landes der Ausbruch neuer Gewalt durch rivalisierende Stämme, separatistische Bewegungen und islamistische Gruppierungen, deren Einfluss in Teilen des Landes sogar noch wächst.
Das Land am südwestlichen Zipfel der arabischen Halbinsel gleicht deshalb bei genauerem Hinsehen einer tickenden Zeitbombe. Denn auch wenn Ali Abdullah Saleh, Jemens Langzeitpräsident, sich aufgrund einer Vermittlungsinitiative der Golfstaaten scheinbar aus dem politischen Leben zurückgezogen hat und zur medizinischen Behandlung in den USA aufhält: Die alten Konflikte, die der Aufstand der Jugend zeitweise in den Hintergrund gedrängt hatte, kommen immer wieder an die Oberfläche. Die vorgezogenen Präsidentschaftswahlen, die ursprünglich als Teil der Golfstaaten-Initiative Frieden ins Land bringen sollten, entfachen nun selbst Konflikte zwischen so unterschiedlichen Akteuren wie der Revolutionsjugend, der Übergangsregierung sowie separatistischen Kräften.
"Verrat an unseren Revolutionsidealen"
Ein Großteil der Jugendbewegung, die monatelang auf den Straßen protestierte, ist gegen die Wahlen: "Sie sind ein Verrat an unseren Revolutionsidealen und an den vielen Toten, die sich für den demokratischen Wandel aufgeopfert haben," sagt Wisam Mohammed Samei, ein Aktivist der Jugendbewegung aus Taiz, einer Hochburg der Revolution. Was ihn besonders stört: "Die Wahlen sind ein Teil der Golfstaaten-Initiative, die Präsident Saleh und seinem Clan Immunität vor juristischer Verfolgung gewährt.“ Schon deshalb sehen Samei und viele Anhänger der Jugendbewegung die Wahlen als "Farce", die den demokratischen Wandel im Keim ersticken werde. Große Teile der Jugendbewegung wollen den Urnengang deshalb boykottieren.
Boykottiert werden die Wahlen ebenfalls von der südjemenitischen Bewegung - auch Hirak genannt. Viele Südjemeniten fordern seit Jahren mehr Rechte und Beteiligung an der Macht im nördlichen Sanaa und hatten sich deshalb der Revolutionsbewegung im vergangenen Jahr angeschlossen. In den Präsidentschaftswahlen sehen die südjemenitischen Aktivisten allerdings eine Zementierung der bestehenden Verhältnisse und einen Versuch, sie weiterhin von der Teilhabe an der Macht fernzuhalten. Ein Teil von ihnen fordert sogar, dass der Südjemen wieder seine Unabhängigkeit erlangt. Auch sie werden an den Wahlen nicht teilnehmen.
Hinzu kommt ein Konflikt der Machthaber in Sanaa mit der Minderheit der Houthis im Norden des Landes, der seit Jahren schwelt und schon in der Vergangenheit immer wieder gewaltsam ausgetragen wurde, teils unter Mitwirkung Saudi-Arabiens. Darüber hinaus wird in der Region von Abin der Einfluss von bewaffneten islamistischen Gruppierungen zusehends größer. Auch dies sind keine guten Ausgangsbedingungen für die Präsidentschaftswahlen.
Wahlen ohne Wahlmöglichkeit
Der Begriff "Wahlen" ist ohnehin nicht ganz zutreffend. Die im Parlament vertretenen Parteien haben sich auf einen einzigen Kandidaten für das Amt des Präsidenten geeinigt, andere Bewerber gibt es nicht. "Das sind keine echten Wahlen, wie man sie sonst kennt, sondern es ist vielmehr eine Art Referendum", sagt Fuad Al-Salahi, Professor für Politische Soziologie an der Universität Sanaa. Der einzige Präsidentschaftskandidat ist Abed Rabbo Mansur Hadi, der bisherige Stellvertreter Salehs und derjenige, der im Moment die Geschäfte der Regierung führt. Er hat versprochen, nach seiner Wahl mit allen Akteuren des Landes über Jemens Zukunft beraten zu wollen.
Anders als die Revolutionsaktivisten sieht der Politikwissenschaftler Al-Salahi in den Wahlen aber durchaus eine Möglichkeit, das Land zu stabilisieren: "Sie könnten den Boden für den weiteren Übergangsprozess bereiten und die Zusammenarbeit der Parteien erleichtern.“ Al-Salahi glaubt, dass große Teile der Bevölkerung mit einem "Ja" für Hadi votieren werden, schränkt aber ein, dass die Zustimmung des Volkes weniger dem Kandidaten persönlich, als vielmehr dem geplanten Transformationsprozess gelten könnte. Also ein Votum für einen geordneten Machtübergang in Richtung Demokratie, bei möglichst hoher Stabilität.
Revolutionsaktivisten sehen das ganz anders. Diese Wahlen seien alles andere als demokratisch, meint Wisam Mohammed Samei. Er sieht den Urnengang als ein "Instrument" ausländischer Akteure – namentlich des Westens und der Golfstaaten –, um ihren Wunschkandidaten Hadi im Amt bestätigt zu sehen und der Übergangsregierung einen demokratischen Anstrich zu geben. In einer Sache aber sind sich Samei und Al-Salahi einig: Egal ob die Houthis im Norden oder die Hirak im Süden - alle hätten das Recht, sich zu beteiligen oder eben auch nicht. "Die Jugendbewegung wird zwar nicht mitmachen", sagt Samei, "aber wir werden uns bei diesen Wahlen auch nicht in den Weg stellen."
Auf Putins Spuren?
Sorge bereitet ihm vor allem die weiterhin starke Präsenz von Ex-Präsident Saleh im jemenitischen Macht- und Staatsapparat - auch wenn der Langzeitmachthaber nicht mehr direkt an der Regierung beteiligt ist. "De facto regiert Saleh weiter", kritisiert Samei. "Er und seine Verwandten kontrollieren immer noch die Armee und die Übergangsregierung." Könnte Saleh, der 33 Jahre lang das Land regiert hat und dessen Familie und Verwandte an vielen Schaltstellen des Staates sitzen, durch die Hintertür wieder an die Macht kommen?
Abwegig sei das keineswegs, so die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Al-Salahi. "Saleh könnte quasi eine Art 'russische Variante' nutzen, um wieder an die Macht zu kommen. Er könnte zurückkommen und zum Beispiel für den Parteivorsitz der Regierungspartei kandidieren, um sich nach einer zweijährigen Übergangphase wieder ins Präsidentenamt wählen zu lassen.“ Der Politologe spielt dabei auf den Ämtertausch zwischen den russischen Spitzenpolitikern Dmitri Medwedew und Wladimir Putin an. Letzterer durfte nach zwei Amtsperioden nicht mehr als Präsident kandidieren und ließ sich nach Ansicht von Kritikern nur deshalb zwischendurch zum Ministerpräsidenten des Landes wählen, um bei den nächsten Präsidentschaftswahlen wieder aus einer guten Ausgangslage heraus für das höchste Staatsamt kandidieren zu können.
Jugendbewegung will weiter demonstrieren
Ob Saleh auf "russische Art" zurückkehren will, ob die Wahlen die Sicherheitslage verbessern oder verschlechtern werden – all dies ist derzeit völlig spekulativ. Die Revolutionsjugend will auf jeden Fall aktiv bleiben. "Wir bleiben auf den Straßen und Plätzen, bis unsere Forderungen erfüllt sind", betont Samei. "Und wenn sie nicht erfüllt werden, dann werden wir so lange weiter protestieren, bis das ganze System stürzt – Regierung ebenso wie Opposition."
Der Politologe Al-Salahi empfiehlt ihnen einen anderen Weg: "Die Revolutionsjugend sollte besser an den Wahlen teilnehmen, sich politisch stärker in Parteien und politischen Institutionen organisieren und aktiv an einer neuen Verfassung mitarbeiten", meint er. Dabei sieht auch er die Gefahr, dass die alten politischen Kräfte die Protestbewegung um die Früchte ihres Aufstands bringen könnten. "Die Machteliten in Parteien und Stämmen sitzen noch fest im Sattel", betont Al-Salahi. "Sie werden die Jugend nicht freiwillig an der Macht beteiligen."
Autor: Nader Alsarras
Redaktion: Rainer Sollich