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Wahlen in Argentinien: Gegenwind für Präsident Javier Milei

25. Oktober 2025

Der libertäre Staatschef Javier Milei trat vor zwei Jahren mit dem Versprechen an, das hochverschuldete Land umzukrempeln und die Wirtschaft zu stabilisieren. Doch seine Bilanz vor den Parlamentswahlen ist durchwachsen.

Der argentinische Präsident Javier Milei singend mit einer Lederjacke
Am Sonntag entscheidet sich, ob Javier Milei sein radikales Sparprogramm fortsetzen kann wie bisher fortsetzenBild: Natacha Pisarenko/AP Photo/picture alliance

Am 21. August beschließt Marcela Pagano, zwei Jahre lang Abgeordnete der Regierungspartei "La Libertad Avanza" (Die Freiheit schreitet voran), nichts weniger als eine politische Bombe platzen zu lassen. Kurz nachdem sie mit drei weiteren Parlamentariern die Partei verlassen hat, schickt sie über die sozialen Medien noch eine knallharte Abrechnung hinterher.

Adressat ist der ultrarechte Systemsprenger, der für viele der 46 Millionen Argentinier immer noch Retter, Hoffnungsträger und Heilsbringer in einer Person ist: Argentiniens Präsident Javier Milei.

Pagano nimmt in ihrem Brandbrief kein Blatt vor den Mund: Milei habe sich mit Opportunisten, Jasagern und Schmeichlern umgeben, während konstruktive Kritik mit der Guillotine bestraft würde. Großeltern müssten sich zwischen Essen und Medikamenten entscheiden, während die Universitäten zerfielen und Korruption nicht bekämpft werde. Milei müsse seinen Kurs ändern, sonst würde das Land und die Industrie vor die Hunde gehen. 

Enttäuschung: Marcela Pagano, ehemaliges Mitglied von Mileis Partei "La Libertad Avanza", kritisiert die Machtkonzentration "in einem kleinen geschlossenen Kreis" Bild: Privat

Über ihre Beweggründe sagt Pagano der DW: "Ich war überzeugt davon, dass wir einen echten Wandel vorantreiben können, aber leider ist das Projekt vom Weg abgekommen."

Die Regierung habe die Bedürfnisse der Mittelschicht und benachteiligter Gruppen wie Menschen mit Behinderungen und den Rentnern ignoriert. Und: "Bei möglichen Korruptionsfällen wurden die Verdächtigen nicht wie versprochen entlassen, sogar noch beschützt," sagt sie empört.

Experten feiern argentinisches Wirtschaftswunder

Kurz vor den Parlamentswahlen am Sonntag (26.Oktober), bei dem die Hälfte der Abgeordnetenkammer und ein Drittel des Senats neu gewählt werden, trifft die 39-Jährige damit einen Nerv. Denn das "argentinische Wunder", von dem viele Wirtschaftswissenschaftler auf der ganzen Welt angesichts der massiv gesunkenen Inflation schwärmen (im September 2025 lag sie bei gerade einmal 2,1 Prozent gegenüber dem Vormonat), hat einen ziemlich hohen Preis.

"Mehr als 25.000 kleine und mittlere Unternehmen mussten aufgrund mangelnder Nachfrage und der gestiegenen Energie- und Finanzkosten ihren Betrieb einstellen oder aussetzen. Die Kaufkraft der formellen Löhne sank real um rund 20 Prozent, während informelle Einkommen und Mindestrenten gegenüber der Inflation mehr als 30 Prozent ihres Wertes verloren", berichtet Pagano. "Und Sektoren wie das Baugewerbe, der Einzelhandel und die Dienstleistungen sind fast vollständig zum Erliegen gekommen."

Argentiniens Schattenwirtschaft wächst stetig

02:26

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Schocktherapie mit Nebenwirkungen

Es scheint so, als seien die Nebenwirkungen der Schocktherapie größer als die Genesung. Milei verpasste dem mit 278 Milliarden US-Dollar im Ausland verschuldeten Land ein Schrumpfkur: Der libertäre Ökonom entließ zehntausende Staatsbedienstete, strich Ministerien zusammen und kürzte Subventionen für teils lebenswichtige Medikamente, Strom, Wasser, Gas und den öffentlichen Nahverkehr.

Symbol dieser radikalen Sparpolitik ist eine Kettensäge, mit der er den Staat kurz und klein schneiden kann. Und tatsächlich gibt es Vorzeige-Resultate neben der gebändigten Hyperinflation: Der erste Haushaltsüberschuss seit 2010, ein rasanter Importboom, Rekordgewinne für exportierende Bergbau- und Energieunternehmen.

Doch längst schwant vor allem dem ärmeren Teil der Bevölkerung, dass sie sich für diese makroökonomischen Erfolge im wahrsten Sinne des Wortes nichts kaufen können. Der Satz "Mein Monat endet am 20." ist für viele Argentinier zum geflügelten Wort geworden, das Gehalt reiche schlichtweg nicht für die verbleibenden zehn Tage.

Jeder zweite Argentinier, schätzen Experten, müsse Monat für Monat an seine Ersparnisse heran, um über die Runden zu kommen. Der Grund: Ein überbewerteter argentinischer Peso mit Preisen wie in den USA und Europa auf der einen Seite, der Anstieg der Arbeitslosigkeit, eingefrorene Gehälter und immens gestiegenen Mieten durch den liberalisierten Wohnungsmarkt andererseits.

"Viele Menschen arbeiten noch mehr, andere verschieben das, was sie kaufen wollten, in die Zukunft. Wer früher den Artikel der besten Marke gekauft hat, nimmt jetzt die zweit- oder drittbeste. Familien verschulden sich. Wir sind seit zwei Quartalen in einer Rezession, die dazu führt, dass der Verbrauch eingebrochen ist", sagt der Politik-Analyst Sergio Berensztein der DW.

"Ich sehe nicht, dass sich die Gesellschaft erneut voller Begeisterung in ihren Präsidenten verliebt" - Sergio BerenszteinBild: privat

Donald Trump will Milei aus der Patsche helfen

Wegen der Wirtschaftskrise suchte der ultrarechte Staatschef gerade erst die Hilfe von einem seiner größten politischen Freunde: US-Präsident Donald Trump, der Milei im Gegenzug als seinen "Lieblingspräsidenten" umschmeichelte. Washington will ein Finanzpaket in Form eines Währungsaustausches (Swap) in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar für das erneut kriselnde Land schnüren.

Nicht jedoch, ohne sich in den argentinischen Wahlkampf einzumischen: "Wenn er gewinnt, bleiben wir bei ihm. Und wenn er nicht gewinnt, sind wir weg", knüpfte Trump die Finanzhilfen an einen Erfolg Mileis bei den Parlamentswahlen.

Es könnte knapp werden: Meinungsumfragen sehen für diesen Sonntag ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Mileis Partei "La Libertad Avanza" und den wieder erstarkten Peronisten von "Fuerza Patria" voraus.

Ohne Erfolg keine Freundschaft: "Wenn Milei nicht gewinnt, werden wir nicht großzügig mit Argentinien sein," sagt Trump bei Mileis Besuch in Washington am 14.Oktober Bild: Jonathan Ernst/REUTERS

Diese haben nach der siegreichen Provinzwahl von Buenos Aires Anfang September enormen Rückenwind. Sie bauen darauf, dass die Popularitätswerte des Präsidenten auf 40 Prozent abgestürzt sind und die Euphorie der Jungwähler als seine größten Unterstützer spürbar abgeebbt ist.

"2023 wurde die Präsidentschaftswahl durch die Stimmen der Jugend entschieden. Zwar kann Milei immer noch auf eine große Unterstützung bei ihnen bauen, doch längst nicht mehr in dem Ausmaß", meint Berensztein.

Viele junge Menschen seien von Mileis Leistung ziemlich desillusioniert. Generell wählten außerdem mehr Männer als Frauen Milei. "Im Landesinneren wird er immer noch als Stimme gegen das System wahrgenommen, obwohl er viele dieser Provinzen kein einziges Mal besucht hat", so Berensztein.

Korruptionsskandale belasten Mileis Wahlkampf

Viel wird auch davon abhängen, ob Javier Milei, der bei einem seiner jüngsten denkwürdigen Wahlkampfauftritte einen singenden Rockstar statt den Präsidenten gab, die jüngsten Korruptionsskandale abschütteln kann.

Seine Schwester Karina, Generalsekretärin seiner Partei, mächtigste Person der Regierung und Mileis engste Vertraute, soll bei staatlichen Aufträgen an eine Pharmafirma drei Prozent abkassiert haben, was sie vehement bestreitet.

Zum "Karinagate"-Skandal um geleakte Audioaufnahmen kam noch der Eklat um Mileis Parteifreund José Luis Espert hinzu. Dieser tritt wegen Kontakten zu einem Drogenhändler nicht mehr bei den Wahlen an.

"Das Ergebnis dieser Parlamentswahlen ist am Ende nicht so ausschlaggebend, sondern eher, wie die Regierung mit diesem Resultat umgeht. Natürlich ist es wichtig für Milei, bei der Wahl zu siegen, selbst mit wenigen Stimmen Vorsprung, um politisches Kapital zu gewinnen und das Momentum der Peronisten zu stoppen", sagt Politikwissenschaftler Sergio Berensztein.

"Aber ein Triumph löst Argentiniens Probleme nicht. Milei muss lernen, Brücken zu bauen und vor allem seinen konfrontativen Stil zu ändern."