1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikBrasilien

Wahlen in Brasilien: Was Sie wissen sollten

29. Oktober 2022

Wer Brasiliens neuer Staatspräsident wird, entscheidet sich in der Stichwahl an diesem Sonntag. Hier erfahren Sie, wer die Spitzenkandidaten sind und wie das Wahlsystem funktioniert.

Handtücher mit Aufdrucken der Präsidentschaftskandidaten
Erbitterte Gegner: Luiz Inácio Lula da Silva (l) und Jair Bolsonaro (r)Bild: Silvia Izquierdo/AP/picture alliance

An diesem Sonntag (30. Oktober) gehen die Präsidentschaftswahlen in Brasilien in die zweite Runde, denn beim ersten Wahlgang konnten weder der amtierende Präsident Jair Bolsonaro noch sein Herausforderer, der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, einen eindeutigen Sieg erringen. Am 2. Oktober gingen die Brasilianerinnen und Brasilianer erstmals zur Urne, um den Präsidenten, ein Drittel der Senatsabgeordneten, alle 513 Mitglieder der Abgeordnetenkammer sowie 27 Gouverneure und Landesparlamente zu wählen. Dominiert wurde die Abstimmung von der Wahl des Staatschefs, bei der Amtsinhaber Bolsonaro gegen seinen Erzrivalen Lula da Silva antrat.

Dieses Superwahljahr fällt in eine Zeit, in der Brasilien unter den wirtschaftlichen Einbrüchen in der Corona-Pandemie leidet, die noch verstärkt werden durch die Auswirkungen des russischen Einmarsches in der Ukraine.

Wie funktioniert das Wahlsystem in Brasilien?

Es besteht Wahlpflicht. Wer Lesen und Schreiben kann und zwischen 18 und 70 Jahre alt ist, muss in Brasilien zur Wahl gehen. Auf Wunsch können auch Personen ihre Stimme abgeben, die zwischen 16 und 17 oder über 70 Jahre alt sind oder die nicht Lesen und Schreiben können. Für diese Wahl waren in Brasilien mehr als 156 Millionen Wahlberechtigte registriert.

Der Präsident wird ebenso wie die Mitglieder der Abgeordnetenkammer für vier Jahre gewählt. Auch die Wahlen zum 81-köpfigen Senat finden alle vier Jahre statt. Es werden jedoch im Wechsel jeweils nur ein Drittel oder zwei Drittel der Senatoren neu gewählt. In diesem Jahr stellten sich 27 Senatoren, also ein Drittel der Senatsmitglieder, zur Wahl. Außerdem wurden im ersten Wahlgang 27 Gouverneure sowie die Landesparlamente für 26 Bundesstaaten und den Bundesdistrikt Brasilia bestimmt.

Sowohl bei den Präsidentschaftswahlen als auch bei den Gouverneurswahlen gibt es einen zweiten Wahlgang, falls keiner der Kandidaten in der ersten Runde mehr als 50 Prozent der Stimmen erringt.

Wer möchte Präsident werden?

Zwei Spitzenkandidaten lagen in Umfragen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen weit vor den anderen Kandidaten. Sie treten jetzt in der Stichwahl gegeneinander an.

Jair Bolsonaro, Liberale Partei

Der als rechtspopulistisch geltende Bolsonaro trat sein Amt als Präsident im Januar 2019 an, nachdem er die Wahl 2018 in einer Stichwahl gewonnen hatte. Zuvor hatte er den Bundesstaat Rio de Janeiro 27 Jahre lang in der Abgeordnetenkammer des Nationalkongresses vertreten.

Hat die Unterstützung evangelikaler Christen: Jair BolsonaroBild: Buda Mendes/Getty Images

Die konservativen Versprechen des ehemaligen Offiziers, der auf Recht und Ordnung pocht, fanden im Wahlkampf  vor vier Jahren großen Anklang bei evangelikalen Christen, Geschäftsleuten und Landbesitzern. Nach der Amtseinführung blieb Bolsonaro seinem Programm treu und senkte Steuern, ließ dem Militär mehr Unterstützung zukommen, lockerte die Gesetze zum Waffenbesitz und weichte die Vorschriften zum Umweltschutz auf.

Besonders geprägt wurde seine Amtszeit durch die Corona-Pandemie. Bolsonaro spielte die Gefahren der Erkrankung herunter und sorgte mit der Empfehlung nicht erprobter Heilmittel für Bestürzung. Die unzulänglichen Präventionsmaßnahmen zu Beginn der Pandemie trugen dazu bei, dass Brasilien mit rund 685.000 Todesfällen die vierthöchste COVID-19-Todesrate der Welt aufweist.

Bolsonaro hat auch verschiedene Maßnahmen vorangetrieben, die den Ärmsten in Brasilien helfen sollen. So verabschiedete der Kongress im Dezember 2021 das Programm Auxílio Brasil. Es ersetzte das Sozialhilfeprogramm Bolsa Família, das Bolsonaros Rivale Lula da Silva während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 eingeführt hatte. Im August, wenige Wochen vor den Wahlen, wurden die Zahlungen an 18 Millionen Leistungsempfänger auf Bolsonaros Anordnung erhöht. Zudem setzte der Präsident eine monatliche Zahlung an Taxi- und LKW-Fahrer durch.

In diesem Wahlkampf hält Bolsonaro an seinem konservativen Programm fest und fährt gleichzeitig heftige Angriffe gegen seinen Rivalen Lula da Silva, den er als Bedrohung für das Land, ja sogar die Existenz des Landes, darstellt.

Im ersten Wahlgang schlug sich Bolsonaro besser als es die Wahlprognosen vorhergesagt hatten. Mit 43 Prozent der Stimmen lag er nur fünf Prozentpunkte hinter Lula. In früheren Prognosen hatte er laut dem Meinungsforschungsinstitut Datafolha noch 21 Prozentpunkte hinter Lula gelegen.

Luiz Inácio Lula da Silva, Arbeiterpartei

Der frühere Gewerkschaftsführer Lula da Silva gewann die erste Wahlrunde mit einem leichten Vorsprung. Er bewirbt sich zum sechsten Mal um das Amt des Präsidenten. Während seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 erfreute er sich großer Beliebtheit. Das Amt verließ er mit Zustimmungswerten von 83 Prozent. Diese hatte er hauptsächlich den von ihm eingeführten Sozialprogrammen zur Unterstützung verarmter Familien zu verdanken, die durch den Rohstoffboom des Landes finanziert wurden.

Will nach seiner Haft erneut das Land führen: Luiz Inácio Lula da SilvaBild: Andre Penner/AP/picture alliance

Seine Kandidatur in dieser Wahl ist ein großes Comeback für Lula, denn im Juli 2017 wurde er wegen einer Reihe von Korruptions- und Geldwäschevorwürfen zu zehn Jahren Haft verurteilt. Seine Haft hinderte ihn daran, bei den Wahlen 2018 gegen Bolsonaro anzutreten. 2019 wurde Lula aus dem Hausarrest entlassen, nachdem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, dass er kein ordnungsgemäßes Verfahren erhalten hatte.

Der Ton seiner aktuellen Kampagne ist religiöser als der früherer Kampagnen, denn sein Rivale Bolsonaro spricht vor allem evangelikale Christen an, die etwa 30 Prozent der Wählerschaft ausmachen. So bezeichnete Lula den amtierenden Präsidenten unter anderem als "vom Teufel besessen". Vor allem betont er, dass er nicht Bolsonaro sei, der sowohl im Inland als auch international umstritten ist. Die Zustimmungswerte seines Gegners betrugen Ende August nur 38 Prozent.

Wer stand sonst noch zur Wahl?

Von den anderen neun Präsidentschaftskandidatinnen und Kandidaten erreichten im ersten Wahlgang lediglich zwei rund sieben Prozent der Stimmen. Ciro Gomes von der Demokratischen Arbeiterpartei und Senatorin Simone Tebet von der Brasilianischen Demokratischen Bewegung zogen beide mit einem Programm in den Wahlkampf, das sich im Gegensatz zu dem der Spitzenkandidaten politisch in der Mitte bewegte.

Die von ihnen vertretenen wirtschaftlichen Programme waren gemäßigter als die des ultrarechten Bolsonaro und des Linken Lula da Silva, aber sie hatten wenig Chancen, einen nennenswerten Anteil der Stimmen zu gewinnen. In der Stichwahl könnte ihre Empfehlung jedoch entscheidend sein.

Was sind die wichtigsten Themen im Wahlkampf?

Wie bereits erwähnt, leidet Brasilien wirtschaftlich noch immer unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Das betrifft insbesondere die staatlichen Subventionen, die ausgezahlt wurden, um die Wirtschaft zu stimulieren. Die Wirtschaftspolitik ist daher das vielleicht wichtigste Thema dieses Wahlkampfes.

Das Land kämpft mit einer zunehmenden Inflation, die zum Teil auf den russischen Einmarsch in der Ukraine zurückzuführen ist. Kraftstoff- und Lebensmittelpreise sind so stark gestiegen, dass viele ärmere Menschen sie kaum bezahlen können. Fragen der sozialen Ungleichheit könnten für viele Bürger ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung sein.

Für viele Brasilianerinnen und Brasilianer hat die Pandemie zudem das Gesundheitssystem in den Vordergrund gerückt.

Bei einigen von ihnen dürften auch Umweltfragen im Vordergrund stehen. Auf nationaler und internationaler Ebene gab es heftige Kritik an politischen Entscheidungen Bolsonaros, die zu einer verstärkten Ausbeutung des Amazonas-Regenwaldes führten.

Aus dem Englischen adaptiert von Phoenix Hanzo.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen