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Politik

Wahlen: Erdogans Griff in die Trickkiste

Daniel Derya Bellut | Gülsen Solaker
13. Juni 2020

Schlechte Umfragewerte, eine aufstrebende Opposition. Der türkische Präsident steht unter Druck. Versucht die türkische Regierung mit vorgezogenen Wahlen und Wahlgesetz-Reformen ihr politisches Überleben zu sichern?

Recep Tayyip Erdogan und Ali Babacan
2013 noch einträchtig: Recep Tayyip Erdogan und der damalige türkische Wirtschaftsminister Ali BabacanBild: Getty Images/AFP/A. Altan

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan versuchte in den letzten Monaten so einiges, um seine Beliebtheit in der türkischen Bevölkerung aufrechtzuhalten: In Nordsyrien begann er eine Militäroffensive. Dann schickte er Geflüchtete an die türkisch-griechische Grenze, um Europa unter Druck zu setzen. Beide Aktionen sollten nationalistische Gefühle und somit Zustimmung in der Bevölkerung erzeugen. Die Corona-Krise bot ihm eine weitere Gelegenheit, sich als Krisenmanager zu profilieren. Die türkische Regierung lieferte: relativ wenig Corona-Tote, effiziente Maßnahmen, die Krankenhäuser meisterten den Patienten-Andrang souverän.

Doch es nützte alles nichts: Umfragen von allen großen Meinungsforschungsinstituten zeichnen das gleiche Bild: Erdogans AKP sowie ihr Bündnispartner, die ultranationale MHP, haben deutlich an Zuspruch in der türkischen Bevölkerung verloren. Seit der letzten Parlamentswahl im November 2018 hat die Regierungspartei ungefähr zehn Prozentpunkte verloren. Sie steht jetzt nur noch zwischen 32 und 39 Prozent. Das Oppositionslager liegt vorne, prognostizieren Institute wie MAK, Avrasya oder Area.

Grund für den Beliebtheitsschwund ist die anhaltende Wirtschafts- und Währungskrise, die seit Sommer 2018 der Bevölkerung massiv zusetzt. Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik, wie beispielsweise Zinssenkungen, brachten keine Besserungen: Nach wie vor gibt es hohe Inflation und Arbeitslosigkeit, zu hohe Mieten, teure Grundnahrungsmittel. 

Die Konkurrenz schläft nicht

Erschwerend kommt für Erdogan hinzu, dass dem türkischen Wähler Alternativen geboten werden: Zwei Splitterparteien sitzen dem Präsidenten im Nacken. Ihre Zielgruppe sind vor allem Wähler, die von der AKP enttäuscht sind.

Der ehemalige Wirtschaftsminister Ali Babacan gründete die Partei für Demokratie und Fortschritt (DEVA). Der ausgewiesene Finanzexperte steht für den, teils liberalen, Reformeifer in den Anfangsjahren der Erdogan-Ära. Für manche gilt der Ökonom als idealer Kandidat, um die Türkei wieder aus der Wirtschaftskrise herauszumanövrieren. Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, auch er gehörte zum inneren Zirkel Erdogans, fordert die Regierung mit seiner neu gegründeten Zukunftspartei Gelecek heraus. Er stellt für nationalistische AKP-Wähler eine Alternative dar.

Von Verbündeten zu Gegnern: Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

Zwei Zwergparteien als Zünglein an der Waage

Zwar liegen die Parteien der beiden Abtrünnigen Davutoglu und Babacan bisher lediglich zwischen 3 und 5,5 Prozent. Doch im Falle eines Bündnisses mit dem Oppositionsblock, der sich aus der sozialdemokratischen CHP, der ultranationalen IYI Partei und der linksgerichteten HDP zusammensetzt, könnten sie den Unterschied machen.

In der türkischen Öffentlichkeit gehen schon länger Gerüchte um, dass die türkische Regierung mit Hilfe von vorgezogenen Parlamentswahlen dieses Szenario unterbinden wolle. Türkische Medien spekulieren, dass die Wahlen bereits im kommenden Jahr stattfinden könnten. Eigentlich würde es den nächsten Gang an die Wahlurnen erst im Jahr 2023 geben. Der Schachzug würde DEVA und Gelecek daran hindern, so wird vermutet, sich rechtzeitig zu organisieren. Das türkische Parteiengesetz erlaubt es nur Parteien an der Wahl teilzunehmen, die sich in mindestens der Hälfte aller türkischen Provinzen und einem Drittel der Wahlkreise organisiert haben.

DEVA und Zukunftspartei - ein Kampf gegen die Zeit

Der stellvertretende DEVA-Vorsitzende Idris Sahin Bild: Privat

Der stellvertretende DEVA-Vorsitzende Idris Sahin gibt sich im Gespräch mit der Deutschen Welle dennoch optimistisch: "Wenn wir unsere Organisations-Aktivitäten während der Sommermonate fortsetzen, werden wir uns bereits im September in allen 81 Provinzen organisiert haben. Im selben Monat werden wir einen Parteitag abhalten."

Der Vize-Vorsitzende der Zukunftspartei Ayhan Sefer Üstün kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: Es gebe "Tausende von Möglichkeiten", um bei den Wahlen dabei zu sein. "Alle Versuche, uns zu hindern an den Wahlen teilzunehmen, sind völlig nutzlos." Schon bald werde ein Parteitag stattfinden, das Hauptquartier der Zukunftspartei werde schon bald eröffnet, sagt Üstün.

Reformen als wahlstrategischer Schachzug?

Doch die Regierung könnte sich eines weiteren Tricks bedienen, um die unliebsamen Splitterparteien an einer Teilnahme zu hindern. Wie der Vorsitzende der ultranationalen MHP, Erdogans Koalitionspartner, Devlet Bahceli diese Woche verkündete, überlege man eine Änderung des Wahl- und Parteiengesetzes. Nach den Ausführungen des 72-Jährigen soll es nur Parteien, die über fünf Prozent der Stimmen erhalten, erlaubt sein, Bündnisse mit anderen Parteien einzugehen. Eine Regelung, die den Zusammenschluss von DEVA und Gelecek mit anderen Oppositionsparteien verhindern könnte.

"Wir brauchen Wahl- und Parteiengesetze, die zeitgemäß und fortschrittlich sind und die den Willen der Nation voll und ganz abbilden. Wenn das der Fall ist, unterstützen wir den Vorschlag", so Üstün. Man werde ihn jedoch nicht akzeptieren, wenn es sich um einen Trick der Regierung handelt, um sich möglichst lange an die Macht zu krallen oder "den Gegner während des Spiels aus dem Spielfeld zu drängen."

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Vize-Vorsitzender der Zukunftspartei: Ayhan Sefer ÜstünBild: DW/H. Köylü

Ob die türkische Regierung am Ende tatsächlich die Spielregeln ändert, um sich bei den kommenden Parlamentswahlen Vorteile zu verschaffen, bleibt weiterhin Spekulation. Dass sich die Regierung im Wahlkampf unkonventionellen Methoden bedient, zeigte sich allerdings bereits in der jüngsten Vergangenheit. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Istanbul im vergangenen Jahr ließ die AKP nichts unversucht, die Wahl des Sozialdemokraten Ekrem Imamoglu zu verhindern: Nach dem ersten Wahlgang im März setzte Erdogan die Hohe Wahlkommission (YSK) so lange unter Druck, bis sie erst Neuauszählungen und dann sogar eine Wiederholung der Wahl veranlasste.

Trotz allem sicherte sich Imamoglu am 23. Juni den Bürgermeisterposten - heute ist er nach Erhebungen von Umfrageinstituten einer der beliebtesten Politiker der Türkei. Er und sein sozialdemokratischer Amtskollege aus Ankara, Mansur Yavas, konnten sich während der Corona-Krise durch großes Engagement großen Zuspruch in der Bevölkerung sichern. Ein weiteres Duo, das Erdogan im Nacken sitzt.

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