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Politik

"Wir werden eine Überraschung erleben"

Doris Pundy
12. April 2017

Die Umfragen zur bevorstehenden französischen Präsidentenwahl sehen einen klaren Favoriten: Emmanuel Macron. Doch es gibt zahlreiche Unwägbarkeiten, warnt der Pariser Politologe Stéphane Wahnich im DW-Interview.

Frankreich Konservative wählen ihren Präsidentschaftskandidaten
Bild: picture alliance/AA/Str

Deutsche Welle: Sowohl beim Brexit-Referendum als auch bei den Wahlen in den USA und in den Niederlanden lagen Meinungsforscher falsch. Was bedeutet das für die Wahlen in Frankreich?

Stéphane Wahnich: Wir Meinungsforscher wissen aktuell nicht so recht, was wir messen. Anders als in Großbritannien oder den USA werden in Frankreich Umfragen auf der Basis der letzten Wahlen, also 2012, errechnet. Vor fünf Jahres haben grob überschlagen 50% Prozent der Wähler rechts und 50 Prozent links gewählt. Heute sieht das ganz anders aus. Deshalb laufen wir Gefahr, auch in Frankreich eine große Überraschung zu erleben.

Der Pariser Politologe Wahnich warnt davor, Umfragen zu viel Gewicht zu gebenBild: privat

 

Die letzten Umfragen sehen die rechtspopulistische Kandidatin Marine Le Pen Kopf an Kopf mit dem liberalen Kandidaten Emmanuel Macron in der ersten Runde, aber chancenlos im zweiten Wahlgang. Rechte Kandidaten werden aber in Umfragen oft unterschätzt. Kann das auch in Frankreich passieren?

Ja, das ist sogar sehr wahrscheinlich. Marine Le Pen vom Front National werden aktuell etwa 24% der Stimmen zugesprochen. Ich gehe davon aus, dass sie in der ersten Runde eher bei 30% liegen wird. Das liegt auch daran, dass rechtsextreme Wähler bei Umfragen nicht zugeben, für wen sie stimmen. Le Pen und Macron gehören beide nicht dem traditionellen politischen System Frankreichs an. Deshalb ist es möglich, dass sich einige Wähler in den Umfragen für den gemäßigteren der beiden, also für den Zentristen Macron, aussprechen am Wahltag dann aber doch für Le Pen stimmen.

Sieht man sich die Umfragen an, scheint Emmanuel Macron der sichere Gewinner einer Stichwahl mit Le Pen zu sein. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?

Wir werden mit Sicherheit eine Überraschung erleben. Das muss nicht heißen, dass Marine Le Pen gewinnen wird. Umfragen zu einer möglichen Stichwahl zwischen dem liberalen Macron und der Rechtspopulistin Le Pen sehen Macron etwa bei 60% und Le Pen bei 40%. Das Endergebnis wird trotzdem viel knapper ausfallen. Das hat zwei Gründe. Einerseits werden viele linke Wähler in der Stichwahl anstatt Macron zu wählen gar nicht zur Urne gehen. Andererseits werden etliche konservative Wähler, die in der ersten Runde für François Fillon stimmen werden, in der Stichwahl doch Le Pen wählen. Das wird in den Umfragen stark unterschätzt.

Kann man trotzdem davon ausgehen, dass Marine Le Pen nicht Frankreichs nächste Präsidentin sein wird?

Nein, mit Sicherheit kann man das nicht ausschließen. Sollten Umfragen weiterhin Emmanuel Macron als klaren Sieger einer Stichwahl gegen Marine Le Pen sehen und sollte die Presse das auch so wiedergeben, dann könnte es tatsächlich anders kommen. Ich bin da sehr vorsichtig. Die Prognosen, die Macron als klaren Gewinner sehen, könnten dazu führen, dass viele potentielle Macron-Wählen in der zweiten Runde nicht zur Wahl gehen. Macron hat als Politik-Neuling keine Stammwähler, auf die er sich verlassen kann. Marine Le Pen und ihr "Front National" haben hingegen sehr treue Wähler. Das könnte sogar dazu führen, dass wir eine große Überraschung erleben und Marine Le Pen zur Präsidentin gewählt wird.

Favorit Emmanuel Macron war 2012 noch weitgehend unbekannt, seine Bewegung "En Marche" wurde erst im Vorjahr gegründet. Vor welche Probleme stellt sie diese Konstellation?

Shootingstar Emmanuel Macron könnte in Umfragen überschätzt werden, warnt Meinungsforscher WahnichBild: DW/D.Pundy

Für unsere Berechnungen zu Emmanuel Macron fehlt uns die Basis aus dem Jahr 2012. Die aktuellen Zahlen zeigen, dass es einen Trend hin zu ihm und seiner Bewegung "En Marche" gibt. Allerdings wissen wir nicht genau, was wir berechnen. Ich persönlich befürchte, dass Emmanuel Macron in den Umfragen überschätzt wird. Er liegt aktuell bei 24%. Das müsste heißen, dass auch zahlreiche Wähler, die 2012 für die Konservativen gewählt haben, jetzt für Macron stimmen. Das kann ich nur schwer glauben. Sollten die Umfragen tatsächlich falsch liegen, könnte Macron am Ende acht bis zehn Prozentpunkte weniger bekommen als vorhergesagt.

Der Wahlkampf war bislang von den zahlreichen Skandalen rund um einige Präsidentschaftskandidaten sowie der Zerrissenheit der Linken geprägt. Welche Rolle spielen unentschlossene Wähler oder Nichtwähler bei dieser Wahl?

In Frankreich haben wir haben mehr unentschlossene Wähler. Etwa ein Viertel aller Franzosen entscheidet erst am Wahltag. Das heißt, wir befragen Leute, wen sie wählen werden, obwohl sie noch lange nicht entschieden haben, wem sie ihre Stimme geben werden. Das stellt Meinungsforscher vor große Probleme. Die französische Wählerschaft ist nicht mehr stabil. Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Das macht es schwierig, zuverlässige Prognosen zu erstellen. Wenn man das bedenkt, werden Umfragen im aktuellen Wahlkampf komplett überbewertet.

Die zahlreichen Skandale rund um einige Kandidaten haben dazu geführt, dass es bislang noch keine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen gab. Erst jetzt fangen Wähler an, sich mit den Inhalten zu beschäftigen. Das sehen wir daran, dass sich in den letzten Tagen die Stimmverteilungen zwischen den Kandidaten leicht verschieben. Macron und Le Pen, die beiden "Anti-System-Kandidaten", verlieren leicht, während andere Kandidaten einzelne Prozente gewinnen. Wir können nicht vorher sagen, in welche Richtung sich dieser Trend weiterentwickelt. Das wird sich wohl erst in der letzten Woche vor der Wahl herauskristallisieren.

Wie richtig lagen Umfragen bei den letzten Wahlen in Frankreich?

Marine Le Pen ist allen Prognosen zum Trotz noch nicht aus dem Rennen für den ElyséeBild: Reuters/R. Prata

Bei den letzten Wahlen 2012 lagen die Umfragen daneben. Die Prognosen für die gemäßigte Linke und die gemäßigte Rechte waren korrekt, während die Prognosen für die extreme Linke und die extreme Rechte falsch waren. Dem Linken Jean-Luc Melenchon wurden mehr Stimmen prognostiziert, als er dann tatsächlich erhielt. Diese Stimmen kamen dann Marine Le Pen zu Gute. Das führte dazu, dass Marine Le Pen schon vor fünf Jahren einen historischen Wahlerfolg erzielte, obwohl das in den Umfragen nicht so schien. Ich befürchte, dass wir 2017 ein ähnliches Szenario erleben werden.


Stéphane Wahnich ist Generaldirektor des Meinungsforschungsinstituts "SCP Communication" in Paris und außerordentlicher Professor für politische Kommunikation an der Universität Paris Est - Creteil (UPEC)

Das Gespräch führte Doris Pundy.