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"Wahlen in Haiti bezeugen Demokratiewillen des Volkes"

Das Interview führte Geraldo Hoffmann10. Februar 2006

Entgegen mancher Erwartungen sind die Wahlen in Haiti relativ ruhig verlaufen. Brasilien wirkt federführend bei der UN-Stabilisierungsmission Minustah in Haiti mit. DW-WORLD sprach mit dem Beauftragen Ricardo Seitenfus.

Große Wahlbeteiligung zeugt von großen HoffnungenBild: AP

DW-WORLD: Angesichts der Spannungen im Vorfeld und am Wahltag sprach der Chef der EU-Beobachtermission in Haiti, Johann van Hecke, von einem "Wunder", dass die Wahlen überhaupt stattgefunden haben. Sehen Sie das auch so?

Ricardo Seitenfus: Diese Einschätzung ist sicherlich eine Folge der Missverständnisse, die die internationale Presse, vor allem in Nordamerika und Europa, über Haiti verbreitet hat. Es gab eine regelrechte Dämonisierung - man sprach von einem Inferno, einem Chaos, von einem Land, das nicht demokratisch sein kann. Die Wahlen aber waren eine außergewöhnliche Demonstration des Friedens- und Demokratiewillens der Haitianer.

Kann man trotzt der Unruhen und der vier Todesfälle am Wahltag von einem friedlichen Urnengang sprechen?

Die Todesfälle waren absolut nichts im Vergleich zu den Vorfällen bei früheren Wahlen in Haiti. Die internationalen Medien hatten Attentate, reihenweise erschossene Wähler und Bomben auf Wahlzentren erwartet. Nichts davon ist passiert. Die Wahl war ein großer Erfolg, wie die massive Beteiligung zeigt, obwohl keine Wahlpflicht besteht.

Die Ergebnisse der Wahl werden erst in ein paar Tagen vorliegen. In den Umfragen galt René Préval als Favorit unter den 33 Kandidaten für das Präsidialamt. Ist schon abzusehen, wie die Verlierer regieren werden?

Die Reaktion der Verlierer wird davon abhängen, wie viele Stimmen sie bekommen haben. Ich glaube, 25 der 32 Verlierer werden nichts sagen, weil sie nur eine geringe Zahl an Stimmen auf sich vereinen konnten. Was die anderen betrifft, empfehle ich einen Dialog, der eventuell in eine Regierung der nationalen Einheit münden könnte. Wir werden sehen, ob so etwas zustande kommt. Sehr sensibel wird die Zeit bis zur Amtseinführung der neu gewählten Regierung am 29. März sein – da muss die internationale Gemeinschaft hellwach bleiben.

Préval wird als Strohmann des gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide gesehen. Was passiert, wenn Aristide aus dem Exil zurückkehrt?

Meiner Meinung nach ist Préval kein Strohmann von Aristide. Aber es gibt in der Tat ein Problem, was die Zukunft des Ex-Präsidenten betrifft, sollte er zurückkommen. Ich habe jedoch den Eindruck, dass er nicht zurückkehrt. Die Sicherheitslage in Haiti ist noch zu prekär und er hat sich hier viele Feinde gemacht.

Wird die Gewaltspirale bald ein Ende haben?

Die Gewaltspirale war sehr lokalisiert auf den Stadtteil Cité Soleil in der Hauptstadt Port-au-Prince, wo in den letzten Monaten eine regelrechte Entführungsindustrie entstanden ist. Um die Wahlen zu ermöglichen, gab es eine inoffizielle Vereinbarung mit den 34 Banden. Deshalb gab es in den letzten zwei Wochen keine Entführungen mehr. Vorher waren es durchschnittlich sieben, acht pro Tag. Préval hat vor, die kriminellen Banden zu eliminieren.

Wie will er das machen?

Wenn es nicht zur Stichwahl kommt, wird die Zerschlagung der Gangs schon in den nächsten Tagen passieren. Die Minustah wird die Cité Soleil besetzen. Sie wartet nur auf den Abschluss der Wahlen, dann wird sie eingreifen.

Kritiker in Brasilien, Kanada, aber auch in Europa sagen, die Minustah sei zum Scheitern verurteilt. Sehen Sie auch diese Gefahr? Kann die neue Regierung die Truppen wegschicken?

Keiner der konkurrenzfähigen Kandidaten hat für ein Ende der Mission plädiert. Préval sagte, er möchte die internationale Gemeinschaft mindestens noch zehn Jahren im Lande haben. Aber die UN-Mission muss agiler werden und sich mehr dem Wiederaufbau der Infrastruktur und dem Kampf gegen die Armut widmen.

Die UNO hat die Entwaffnung Haitis für gescheitet erklärt. Ist das nicht ein Zeichen des Scheiterns der Minustah?

Ich glaube nicht, dass die Mission gescheitert ist. Die Organisation der Wahlen vom 7. Februar ist der endgültige Beweis für positive Ergebnisse. Klar, die Übergangszeit war viel zu lang, das UN-Mandat ambivalent, und es wurde fast nichts im sozialen Bereich getan. Dies war aber auch nicht der Auftrag. Es handelt sich hier um eine Stabilisierungsmission, die den Machtkampf für zwei Jahre eingefroren hat. Es ist kein Entwicklungshilfe-Einsatz.

Sie werden der brasilianischen Regierung Vorschläge unterbreiten, wie die Minustah nach den Wahlen weiter arbeiten soll. Was wird sich konkret ändern?

In der nächsten Phase, unter einer legitimen haitianischen Regierung, werden der Wiederaufbau und die Entwicklung des Landes im Mittelpunkt stehen, das heißt, das Militärische wird durch den zivil-kooperativen Einsatz ersetzt.

Soll das heißen, die Militärs gehen, die Entwicklungshelfer kommen?

Das würde ich nicht so sagen. Die sicherheitsbezogene Präsenz wird bleiben, mit weniger Militärs und mehr Polizei. Hinzu kommt die zivile Dimension, mit einem Sofortprogramm soll das Problem der Unterernährung und schlechten Versorgung im Gesundheitsbereich gemildert werden. In einem zweiten Schritt wird dann der Wiederaufbau und die Schaffung von Arbeitsplätzen dran kommen.

Welche Alternative bleibt, wenn auch dieser erneute Demokratisierungsversuch in Haiti nicht klappen sollte?

Es wird klappen, wenn die internationale Gemeinschaft in Haiti nicht ihre alten Fehler wiederholt. Normalerweise ist man hierher gekommen, hat Wahlen organisiert, so wie jetzt auch, und sobald die Wahlergebnisse veröffentlicht waren, hat man das Land verlassen. Das wäre der schlimmste Fehler, den man diesmal machen könnte. Denn die Demokratie wird in Haiti nur Bestand haben, wenn sie Antworten auf die Forderungen der Menschen geben kann.

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