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PolitikIndien

Wahlen in Jammu und Kaschmir: Hoffnung für unruhige Region

Rifat Fareed in Anantnag, Kaschmir
17. September 2024

Das ersten Mal nach einem Jahrzehnt wird im von Indien verwalteten Jammu und Kaschmir gewählt. Die Bewohner der Region sind trotz anhaltender Gewalt vorsichtig optimistisch.

Indien | Parlamentswahlen 2024 | Wähler in Kaschmir
Anstehen vor dem Wahllokal in Kaschmir: Urnengang bei den Wahlen zum indischen Nationalparlament im Frühjahr 2024Bild: Salahuddin Zain/DW

Bei einer Wahlkampfveranstaltung im Süden Kaschmirs lässt die 45-jährige Shameema Jan gemeinsam mit Dutzenden anderer Frauen traditionelle Lieder erklingen. Sie wollen damit eine Kandidatin für die Regionalwahlen in Jammu und Kaschmir unterstützen, die am Mittwoch (18. September, beginnen.

Die Hoffnungen dieser Frauen: Sie möchten eine Person in der Regierung sehen, vorzugsweise eine Frau, die sich um ihre alltäglichen Sorgen kümmert, wie die Wasserknappheit im Dorf, die Inhaftierung einheimischer junger Männer in Gefängnissen außerhalb Kaschmirs und das wachsende Problem der Jugendarbeitslosigkeit in der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Region. 

Für sie ist diese Kandidatin Iltija Mufti, die Tochter der ehemaligen Ministerpräsidentin Mehbooba Mufti, die bis 2018 Regierungschefin von Jammu und Kaschmir war.

"Sie ist jung und energiegeladen", schwärmt Jan nach der Gesangsdarbietung im Gespräch mit der DW. "Wenn wir für sie stimmen, wird sie uns zuhören. Wir haben so viele junge Menschen in Gefängnissen außerhalb Kaschmirs und wir wollen, dass sie freigelassen werden", fügt Jan hinzu, während Mufti von ihrem Geländewagen aus zu den auf der Kundgebung versammelten Menschen spricht. "Diese Wahl könnte unsere Situation verändern", sagt Jan und die Frauen um sie herum nicken zustimmend.

Jung und laut - Rapperinnen in Kaschmir

12:36

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Separatisten fordern etablierte Parteien heraus

Das erste Mal seit einem Jahrzehnt stehen in Jammu und Kaschmir wieder Regionalwahlen an. Die letzte derartige Abstimmung fand 2014 statt, als die Bharatiya Janata Party (BJP) des indischen Premierministers Narendra Modi und die regionale Peoples Democratic Party (PDP) eine Koalitionsregierung bildeten.

Die Koalition brach jedoch 2018 auseinander, als die BJP ihre Unterstützung zurückzog und Neu-Delhi die direkte Kontrolle über die Region übernahm, in der die Gewalt durch Separatisten nicht abgenommen hatte.

Nun bietet die bevorstehende Wahl den Menschen in Kaschmir die Chance, nach Jahren der politischen Unsicherheit eine neue Regierung zu wählen. Es ist auch die erste Regionalwahl, seit der Region ihr Sonderstatus entzogen und in zwei Unionsterritorien, Jammu und Kaschmir und Ladakh, aufgeteilt wurde.

Regionale Parteien wie die Jammu und Kaschmir National Conference (NC) und die PDP sowie größere nationale Parteien wie die BJP und der Indian National Congress (INC) treten bei diesen Wahlen an.

Aber es gibt auch viele Separatisten, die als Unabhängige antreten, was eine deutliche Abkehr von ihrer früheren Haltung darstellt, die Wahlen insgesamt zu boykottieren.

"Ingenieur Rasheed"

Bei den nationalen Wahlen in diesem Frühjahr war bereits eine neue Generation von politischen Anführern ins Rampenlicht getreten, darunter Abdul Rasheed Sheikh, bei seinen Anhängern besser als "Ingenieur Rasheed" bekannt.

Der ehemalige Bauingenieur hatte vom Gefängnis aus für das nationale Parlament kandidiert, nachdem er wegen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung festgenommen worden war. Trotzdem gelang es ihm, einen überwältigenden Sieg zu erringen. Es wird erwartet, dass seine Awami Itehad Party (AIP) bei den bevorstehenden Wahlen eine starke Herausforderung für die traditionellen politischen Parteien darstellen wird. 

Sheikhs AIP hat zudem vor den Wahlen ein Bündnis mit der verbotenen Jamat-e-Islami-Fraktion gebildet, deren Kandidaten bei den bevorstehenden Wahlen offiziell als Unabhängige antreten.

"Wir nehmen an der Wahl teil, weil wir nicht in ständiger Angst leben wollen", sagt Manzoor Ahmad der DW, ein Teilnehmer an einer Pro-AIP-Kundgebung in der kaschmirischen Stadt Tral. "Wir sind in großer Zahl gekommen, um Rasheed zuzuhören. Seine Reden spiegeln unsere Ideen und Gedanken wider."

Rasheed Sheikh kann im Wahlkampf nun persönlich auftreten. Er war im September auf Kaution freigelassen worden.

Eine weitere Unterstützerin, Atiqa Jan, klagt gegenüber der DW, ihr Sohn sei in Haft. Sie wolle ihn frei bekommen. "Mein Sohn ist seit einem Jahr im Gefängnis und ich wollte das Rasheed berichten, damit er meinen Schmerz verstehen kann", sagte sie.

BJP will in Kaschmir politisch Fuß fassen

Die BJP von Indiens Regierungschef Narendra Modi hat Schwierigkeiten, im mehrheitlich muslimischen Kaschmir Unterstützung zu gewinnen. Eine bedeutende Wählerschaft hat sie dagegen in der mehrheitlich hinduistischen Region Jammu. Jammu ist ein wichtiger Wahlbezirk für die BJP, in dem sie aus ihrer nationalistischen Rhetorik, ihren Sicherheitsbedenken und ihren Zusagen für Entwicklungsprojekte Kapital schlagen kann.

Am 14. September sagte Premierminister Modi auf einer politischen Kundgebung im Distrikt Doda in Jammu, dass die BJP der gesamten Region Wohlstand gebracht habe. „Wir werden gemeinsam auch Kaschmir zu einem sicheren und wohlhabenden Teil des Landes machen", versprach er auf der Versammlung. Der Terrorismus in Jammu und Kaschmir stehe „vor seinem letzten Atemzug" - der Gewalt von Separatisten zum Trotz.

Lokale Politiker weisen die Behauptungen der BJP über einen Wandel jedoch als "unwahr" zurück.

"Es ist eine Schande für die BJP zu behaupten, die Situation habe sich verbessert, sie aber in den letzten zehn Jahren keine Wahlen in Jammu und Kaschmir abhalten konnte", kritisiert die ehemalige Ministerpräsidentin von Kaschmir, Mehbooba Mufti. "Die Menschen sind verärgert."

Die frühere Ministerpräsidentin von Kaschmir, Mehbooba Mufti (links im Bild), bei einem Treffen mit politischen Führern aus Jammu und Kaschmir am 15. Oktober 2020 (Archiv) Bild: Tauseef Mustafa/AFP

Einfluss einer neuen Regierung 

Die neu gewählte Regierung wird nur über eingeschränkte Befugnisse verfügen. Nach den politischen Veränderungen im Jahr 2019 sind Jammu und Kaschmir nach derzeitigem Status so genannte Unionsterritorien. Viele wichtige Bereiche, wie Recht und Ordnung und Landfragen, bleiben unter der Kontrolle von der Zentralregierung in Neu-Delhi. Die lokale Regierung kann an den Entscheidungen aus der Hauptstadt keine Änderungen vornehmen.

"Die Wahlen sind bedeutsam und unbedeutend zugleich", analysiert daher der Regionalpolitiker Prof. Dr. Noor Muhammad Baba gegenüber der DW. "Sie sind wichtig, weil sie nach langer Zeit stattfinden und die Menschen ihre Vertreter wählen können. Jetzt werden die Menschen entscheiden, ob sie für oder gegen Veränderungen stehen." Aber auch er weist darauf hin, dass die Regierung nur "wenig Macht" haben wird.

Aus dem Englischen adaptiert von Florian Weigand