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Politik

Serbien: Der Präsident ist das Wahlprogramm

30. März 2022

In Serbien finden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Großer Gewinner wird wohl wieder der Staatschef Aleksandar Vucic. Seine mediale Dominanz ist übermächtig. Auch der Krieg in der Ukraine nutzt ihm.

Serbien Präsident Aleksandar Vucic Wahlkampf
Auf allen Kanälen: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic im WahlkampfBild: N. Rujevic/DW

Egal, wo der serbische Staatspräsident Aleksandar Vucic derzeit auftritt - die Anwesenden feiern ihn mit Nationalfahnen und Beifallsstürmen. Schwer zu sagen, wieviel dabei echt und wieviel inszeniert ist. Organisatorisch wird jedenfalls nichts dem Zufall überlassen. Tausende Anhänger kommen jeweils mit Bussen zu seinen Auftritten. Unabhängige serbische Medien behaupten, für Beschäftigte in kommunalen Verwaltungen gelte Anwesenheitspflicht.

"Wir wollen deutlicher denn je gewinnen und zeigen, dass Serbien Zukunft, Freiheit, Frieden und Stabilität wählt", sagte Vucic jüngst auf einer derartigen Wahlkampfveranstaltung.

Serbiens Staatspräsident Aleksandar VucicBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

Serbien vor den Superwahlen am kommenden Sonntag: In dem Westbalkan-Land finden an diesem Tag die Präsidentschafts-, eine vorgezogene Parlaments- sowie die Belgrader Lokalwahl statt. Der Sieg des Amtsinhabers Vucic und seiner Serbischen Fortschrittspartei (SNS) scheint für viele schon festzustehen. Ein großes Belgrader Wettbüro bietet lediglich zwei Euro Gewinn bei hundert Euro Einsatz auf Sieg für Vucic. Auch Umfragen suggerieren, dass Serbiens starker Mann die Präsidentschaftswahl in der ersten Runde gewinnen könnte. Sicher scheint auch die absolute Mehrheit für die SNS zu sein. Der zersplitterten Opposition werden höchstens Chancen in der Hauptstadt Belgrad eingeräumt.

Wie ein Lagerkommandant

Die beiden Wörter "Frieden" und "Stabilität" wiederholt Vucic täglich in Fernsehinterviews. Eine unmissverständliche Botschaft, die seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine seine Kampagne zusätzlich flankiert. Der EU-Beitrittskandidat Serbien verurteilte zwar den Bruch der territorialen Integrität der Ukraine, schloss sich aber den westlichen Sanktionen gegen Moskau nicht an. Nicht nur, weil die meisten Serben Russland als kulturellen und historischen Bruderstaat sehen. Serbien hat aus Sicht seiner Staatsführung auch aktuell gute Gründe, auf Moskau zu setzen: Energiepolitisch ist es vollständig von Russland abhängig. In der Kosovo-Frage vertraut es auf die Unterstützung der Großmacht. Weder Belgrad noch Moskau erkennen die Unabhängigkeit der einstigen serbischen Südprovinz an.

Russlands Präsident Wladimir Putin zusammen mit dem serbischen Staatschef Aleksandar Vucic in Belgrad am 17.01.2019Bild: Reuters/G. Tomasevic

Dass der Ukraine-Krieg die Schlagzeilen dominiert, passt Vucic gut ins Konzept. Wie ein Lagerkommandant beziffert er, wie viele Tonnen Weizen, Mais oder Sardinenkonserven das Land in Reserve hat. Er verspricht, dass es mit ihm auf dem balkanischen Pulverfass weiterhin nur Frieden geben werde.

"Die Propaganda soll den Menschen Angst einjagen", meint der Philosoph Vladimir Milutinovic, der ein Buch über die rhetorischen Techniken von Vucic geschrieben hat. "Die Boulevardblätter schreiben, dass anderswo ein wirtschaftlicher Kollaps bevorstehe, dass in Deutschland sogar eine Hungersnot drohe. Mit solchen Aussagen soll Serbien zu einer Oase der Stabilität stilisiert werden."

Keine Jobs ohne Parteibuch

Seit zehn Jahren hält Aleksandar Vucic in Serbien alle Zügel in der Hand. Seine Fortschrittspartei kontrolliert die größten TV-Sender und Boulevardblätter, staatliche Firmen und kommunale Verwaltungen. Politische Gegner werden in Talk-Shows regelmäßig als Diebe und Verräter verteufelt. Vucic selbst beschreibt seine Partei als "Catch-all"-Bewegung - ein Sammelbecken für alle, weitgehend befreit von jeder Ideologie. Die SNS hat rund 700.000 Mitglieder - das ist ein Zehntel der Landesbevölkerung. Aus triftigem Grund: Ohne Parteibuch ist ein Job in Staatsverwaltung, öffentlichem Dienst oder Staatsunternehmen kaum zu haben. Und das Parteiprogramm? Es heißt Vucic.

Wahlplakat in Serbien mit der Aufschrift: "Die Taten sprechen. Aleksandar Vucic - Zusammen schaffen wir alles!"Bild: Ivan Djerkovic/DW

"Die Fortschrittspartei bestimmt die öffentliche Meinung", sagt Dejan Bursac vom Belgrader Institut für politische Studien. "Somit kann Vucic widersprüchliche Botschaften aussenden und Wähler auf allen Seiten ansprechen. Er schließt Abkommen mit Kosovo, verbreitet aber scharfe nationalistische Rhetorik. Oder er brüstet sich damit, dass Serbien als fast erstes Land genug Corona-Impfstoff hatte, um dann schnell alle Maßnahmen gegen die Pandemie aufzuheben."

Katz- und Maus-Spiel

Dagegen hat die Opposition kaum Chancen, bei den Wählern zu punkten. Ihre Hauptthemen - Korruption, Umweltzerstörung und die unterstellte Verflechtung der Regierung mit der Mafia - finden wegen des Ukraine-Krieges derzeit noch weniger Gehör als ohnehin schon.

Noch vor wenigen Monaten hegten Vucic-Gegner Hoffnung, mit ihren Themen durchzudringen. Damals hatten Umweltaktivisten landesweit Schnellstraßen blockiert, um gegen ein geplantes großes Lithium-Bergwerk in Westserbien zu protestieren. Der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto werde die Natur zerstören und die Profite dem Land vorenthalten, sagten Kritiker des Projekts.

Belgrad: Protest gegen das Lithium-Bergbauprojekt am 4.12.2021Bild: imago images/Aleksandar Djorovic

Es war das erste Mal, dass Vucic auf Krisenmanagement umschalten musste. Mit dem sicheren Gespür für ein Thema, das den Wahlkampf gefährden könnte, zog er die Genehmigungsgesetze für Rio Tinto zurück. Das öffentliche Interesse an dem Aufreger-Thema ließ schlagartig nach.

"Das Regime hat alles in der Hand"

Ohne die Gleichschaltung der meisten Medien und der fast grenzenlosen Finanzmittel der Regierungspartei wäre so eine politische Dominanz nicht möglich gewesen, schreibt die unabhängige Wochenzeitung Vreme. Jüngst enthüllten investigative Journalisten, dass die Fortschrittspartei zwischen 2015 und 2021 rund 23 Millionen Euro allein für Wahlkampf ausgab - dreimal mehr als alle Oppositionsparteien zusammen. "Das Regime hat so alles in der Hand und kann mit den politischen Gegnern Katz und Maus spielen", kommentierte Vreme.

Übermächtige Medienpräsenz: Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic bei einer Corona-Impfung am 6.04.2021 Bild: ZORANA JEVTIC/REUTERS

Nachdem die Opposition die vorherige Parlamentswahl im Jahr 2020 wegen unfairer Bedingungen weitgehend boykottiert hatte, werden es einige Bündnisse nun dennoch ins Parlament schaffen. Die Koalition Vereint für den Sieg Serbiens (US), bestehend aus einem breiten Spektrum von demokratischen Parteien links und rechts der Mitte, könnte zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen holen. Sogar noch etwas besser könnte ihr Präsidentschaftskandidat Zdravko Ponos abschneiden, der ehemalige Chef des Generalstabs der Armee. Auch das neue links-grüne Bündnis Moramo (Wir müssen) könnte den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde ins Parlament schaffen. Bis vor Kurzem noch unvorstellbar in Serbien, bekamen die Umweltparteien durch den Kampf gegen das Lithium-Bergwerk Aufwind.

Nationalismus als Zusatz

Weitaus schwerer tut sich die rechte und nationalistische Szene, die mit fünf Präsidentschaftskandidaten und fünf Listen antritt. Zwar sind viele Wähler für patriotische und nationalistische Parolen empfänglich. Über 80 Prozent der Bürger im Land lehnen einen NATO-Beitritt ab, rund zwei Drittel betrachten Russland als wichtigsten Partner. Dennoch haben Rechte und Nationalisten keine wirklich guten Chancen, ins Parlament einzuziehen.

Wahlplakat des serbischen Ultranationalisten und verurteilten Kriegsverbrechers Vojislav Seselj von der Serbischen Radikalen Partei (SRS)Bild: Ivan Djerkovic/DW

Der Politologe Bursac hat eine Erklärung dafür. Themen wie die Kosovo-Frage interessierten die Menschen mittlerweile weniger als soziale und wirtschaftliche Themen. Nationalismus sei heute keine Grundlage für Populismus, sondern lediglich ein Zusatz.

Massive Neuverschuldung

"Vucics Hauptwähler sind seit 2012 die Verlierer der Wirtschaftskrise - Rentner, Hausfrauen und Arbeiter mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Im Wahlkampf verspricht der Präsident neue Fabriken, Autobahnen und Krankenhäuser. Die Botschaft ist klar: Es gibt Hoffnung für Serbien und jeden Einzelnen", sagt Bursac der DW.

Manche Beobachter warnen, dass die Regierung auf die aktuelle Krise nur mit massiver Neuverschuldung reagieren könne. Nach den Wahlen drohten die Preise für Lebensmittel und Energie noch deutlicher zu steigen. Analysten sind zudem davon überzeugt, dass der Druck aus Brüssel immens werden wird, sich endlich an den Sanktionen gegen Russland zu beteiligen.

Mitarbeit: Radmilo Markovic