Vom Vize zum Premier?
16. März 2014Eisig kalt ist es draußen, doch er hat nicht einmal eine Mütze an. Er stolpert im tiefen Schnee, setzt seinen Marsch aber entschlossen fort. Aleksandar Vučić, Vizepremier und Chef der stärksten Partei Serbiens, der Fortschrittspartei, befreit eigenhändig ein Kind aus der Autokolonne, die wegen Schneestürmen in Norden des Landes festsitzt. Die Erwachsenen müssen noch auf Hilfe warten. Aber der schätzungsweise Zehn- bis Zwölfjährige wird vom Vizepremier persönliche vom Auto weggetragen und dann einem Soldaten übergeben, der den Jungen zu einem Helikopter bringt.
Eine Erfolgsmission für den 44-Jährigen - vor laufender Fernsehkamera. Und wie bestellt für den Start des Wahlkampfs für die vorgezogenen Parlamentswahlen in Serbien am 16.03.2014. Die Bilder nach Art eines Hollywood-Actionfilms zogen denn auch zahlreiche Parodien nach sich, in denen “Übermensch Vučić“ ein Superman-Kostüm trägt. Doch trotz sarkastischer Kommentare weiß der versierte Politiker, dass auch eklatanter Populismus ihm vor den Wahlen nicht schaden kann. Im Gegenteil.
Vom Nationalisten zum Reformer
Ausgerechnet Vučić traf die Entscheidung, das Volk des Balkanlandes früher als geplant zu den Urnen zu rufen. Der frühere Radikalnationalist gilt heute als überzeugter Europäer, statt über Großserbien redet er lieber über Reformen oder über sein aktuelles Lieblingsthema: den Kampf gegen die Korruption. Auf Vučić' Initiative hin wurde Ende 2012 Miroslav Mišković verhaftet, ein milliardenschwerer Geschäftsmann, der angeblich in illegale Aktivitäten bei der Privatisierung von Staatsvermögen verwickelt war. Seitdem wächst die Popularität von Vučić - laut Umfragen kann seine Serbische Fortschrittspartei mit 45 Prozent der Stimmen rechnen.
Bisher teilt sich die Fortschrittspartei die Macht mit den Sozialisten von Ivica Dačić. Um diesen für die aktuelle Koalition zu begeistern, musste Vučić den Premierministerposten bislang Dačić überlassen. Nach dem 16. März könnte Vučić selbst Chef der Regierung sein. Die Versuchung, allein oder fast allein zu regieren sei einfach überwältigend gewesen, so Zoran Stojiljković, Professor an der Belgrader Fakultät der politischen Wissenschaften. Deshalb habe Vučić auf Neuwahlen gedrängt. "Diese Chance ist einmalig für die Fortschrittspartei. Sie wollte die Wahlen durchziehen vor der erwartetern Asuweitung der Rezession, notwendiger Jobstreichungen im staatlichen Sektor und Protesten der Gewerkschaften“, sagt Stojiljković im Gespräch mit der DW.
Große Versprechungen
Das Land leidet unter einer Arbeitslosenquote von 27 Prozent. Der öffentliche Sektor gilt als aufgebläht - von 7,1 Millionen Bürgern arbeiten 800.000 als Staatsangestellte. Viele davon haben ihren Job der Gnade der Parteien zu verdanken. "Die größten Parteien warnen zwar sporadisch davor, dass die Erholung der Wirtschaft schmerzhaft sein wird", mahnt Đorđe Vlajić, Redakteur beim staatlichen "Radio Belgrad". "Gleichzeitig aber versprechen sie zahlreiche Arbeitsplätze, besseres Leben und Investitionen", so Vlajić zur DW.
Die Fortschrittspartei etwa verkündete triumphierend den Bau von "Belgrad auf dem Wasser", einem Hightech-Viertel auf dem Fluss Save im Zentrum der Hauptstadt. Fast drei Milliarden Euro soll der Investor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten für das Projekt bereitstellen. Von rund 200.000 neuen Arbeitsplätzen ist die Rede. Das Prestigeprojekt gilt als wichtigster Trumpf von Aleksandar Vučić für die Lokalwahlen in Belgrad, die parallel zu den Parlamentswahlen stattfinden.
Kosovo war gestern
Großzügige Versprechungen scheinen eine Konstante im Wahlkampf der verschiedenen Parteien zu sein. Ein Wort ist hingegen nur selten zu hören: Kosovo. Die frühere serbische Südprovinz erklärte 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit und wird mittlerweile von mehr als einhundert Staaten anerkannt. Obwohl Serbien die Souveränität des Kosovos offiziell nicht akzeptiert, schlossen die Regierungen beider Länder jüngst mehrere Abkommen. Damit war eine der wichtigsten Forderungen der Europäischen Union erfüllt und Serbien konnte im Januar EU-Beitrittskandidat werden.
Ein Kurswechsel weg von Europa sei nun so gut wie ausgeschlossen, sagt Journalist Vlajić. "Nur stark patriotisch geprägte Parteien sind gegen den EU-Beitritt. Die anderen halten am eingeschlagenen Europakurs fest." Die Nationalen können mit etwa 10 bis 15 Prozent der Wählerstimmen rechnen - nicht genug um eine entscheidende Rolle bei der Regierungsbildung zu spielen.
Zerfleischte Opposition
Der frühere Präsident Serbiens, Boris Tadić, der nach seiner Wahlniederlage 2012 auch den Posten als Chef der Demokratischen Partei aufgeben musste, gründete zuletzt die Neue Demokratische Partei. Anders als die alte Partei, haben die neuen Demokraten um Tadić eine mögliche Zusammenarbeit mit Vučić bereits dezent angedeutet. Da ein Sprung über die Fünfprozenthürde als garantiert gilt, wird Tadić schon als künftiger Außenminister gehandelt.
"Die ganze demokratische Opposition scheint unvorbereitet und zerstritten zu sein. Temperament und politische Eitelkeit beherrschen die Szene", sagt der Politologe Branko Radun. Höhst fraglich sei, so Radun weiter, ob die so zersplitterte Opposition genug Wähler an sich binden kann. "Für ein gutes Wahlergebnis reicht es nicht, bloß aus einem Haufen winziger Parteien etwas zusammenzubasteln."
Die Zerrissenheit innerhalb der Opposition ist Wasser auf den Mühlen von Aleksandar Vučić. Dazu kommt sein Einfluss auf die Medien. Die Boulevardpresse macht Jagd auf Politiker der Opposition, täglich wird über angebliche schmutzige Geschäfte der Vučić-Herausforderer berichtet. Gleichzeitig sind über Vučić fast überall nur Superlative zu lesen. Den starken Mann und voraussichtlich nächsten Regierungschef zu loben, könne keine schlechte Idee sein, so denken wohl die Medienbosse, die stark auf öffentliche Aufträge angewiesen sind.
Während in Sozialen Netzwerke viel über Vučić' Auftritt als Held im Schneegestöber gespottet wurde, schrieb ein auflagenstarkes Blatt: "Vučić rettet Kinder aus dem Schnee und Oppositionspolitiker sitzen beim Kaffee vor dem Fernseher."