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Erobert die rechte AfD auch Städte im Westen Deutschlands?

Oliver Pieper Gelsenkirchen
11. September 2025

Bei der Bundestagswahl war die in Teilen rechtsextreme AfD in Gelsenkirchen stärkste Kraft, jetzt greift sie bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen nach dem Oberbürgermeisteramt. Für viele ein Schreckensszenario.

Wahlplakat der AfD mit dem Text "Zeit für sichere Grenzen" - rechts davon Hinweisschild mit dem Text "Schalke"
AfD-Wahlplakat in Gelsenkirchen - die Alternative für Deutschland hofft auf noch mehr Sitze im StadtratBild: Christoph Reichwein/dpa/picture alliance

Der gelbe Bagger macht mit dröhnendem Geräusch die letzten Reste einer weiteren Schrottimmobilie im Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck dem Erdboden gleich. Ein ganzer Straßenzug mit sieben Häusern wird in der Stadt im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) platt gewalzt, neue Häuser und ein Kindergarten sollen hier entstehen. Wenn man so will, lautet das Signal: "Wir packen es endlich an und graben gleichzeitig der Alternative für Deutschland die Themen ab!"

Abriss an der Straße Ahlmannshof in Gelsenkirchen - Neubauten statt SchrottimmobilienBild: Oliver Pieper/DW

Denn die Schrottimmobilien und vielen Müllhaufen in der Straße sind und waren nicht nur ein riesiges Ärgernis für die Anwohner, sondern auch ein absolutes Gewinnerthema für die AfD, Stichwort Arbeitsmigration aus Südosteuropa. Kriminelle lockten Menschen vor allem aus Rumänien und Bulgarien mittels eines mafiösen Ausbeutungssystems nach Bismarck, brachten sie in den heruntergekommenen Häusern unter teils katastrophalen Bedingungen ohne Strom und Wasser unter, boten ihnen Minijobs an und kassierten zusätzlich das Bürgergeld ab. Die Stadt, in der jeder Vierte von der Grundsicherung lebt, hat Dutzende marode Häuser gekauft und lässt sie jetzt abreißen.

Die Abrissarbeiten sind an dem Kiosk gleich um die Ecke noch schwach zu hören, nur scheint es, als käme die Botschaft des Neuanfangs viel zu spät. "Die etablierten Parteien brauchen endlich einen Denkzettel" heißt es dort, "Die Lage wird immer schlechter" oder auch "Wir haben keine Hoffnung mehr", ohne dass jemand seinen Namen nennen will. Ihr Kreuz in der langjährigen SPD-Hochburg bei den Sozialdemokraten machen? Ein nervöses Lachen. Doch auf die Frage, was sie am Sonntag sonst wählen werden, will sich niemand äußern.

AfD-Oberbürgermeisterkandidat peilt Stichwahl an

Aber keine Antwort dürfte auch eine Antwort sein: Nachdem die in Teilen rechtsextreme AfD bei der Bundestagswahl im Februar mit 24,7 Prozent schon zur stärksten Kraft in der 265.000-Einwohner-Stadt wurde, hofft sie nun auf einen weiteren Achtungserfolg tief im Westen Deutschlands. Es ist der erste Stimmungstest in der Amtszeit der neuen schwarz-roten Bundesregierung.

Die AfD feierte ihre größten Wahlerfolge bislang vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Doch auch in der Stadt mit der höchsten Armutsquote und Arbeitslosigkeit Deutschlands sammelt sie  - scheinbar mühelos - die Stimmen der von der Politik Enttäuschten ein, die sich abgehängt fühlen. Unterstützung für die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, dem mit 18 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Bundesland, bekommt die AfD sogar von Tech-Milliardär Elon Musk.

Vor fünf Jahren holte die Partei knapp 13 Prozent und damit elf Sitze für den Stadtrat in Gelsenkirchen, den Prognosen zufolge dürfte der Rat nach diesen Kommunalwahlen noch deutlich blauer werden. Die rechtspopulistische AfD schickt außerdem den 72-jährigen Norbert Emmerich in das Rennen um das Oberbürgermeisteramt.

Der Finanzberater und ehemalige Zeitsoldat, der ganz auf das Thema Sicherheit setzt, hat beste Chancen, in die Stichwahl gegen die SPD-Kandidatin Andrea Henze zu kommen. Ein AfD-Oberbürgermeister im Westen Deutschlands wäre ein Novum – aber sehr unwahrscheinlich, weil die anderen Parteien in einer Stichwahl die Sozialdezernentin der Stadt unterstützen würden.

"Lalok libre" - bald keine Gelder mehr für die Anlaufstelle für arme Kinder?

"Ich habe richtig Angst davor, dass die AfD am Sonntag ein sehr gutes Resultat erzielt. Weil wir uns hier um die Menschen kümmern, welche sie am liebsten mit einer Briefmarke drauf abschieben würde, in den Bus, aufmachen, weg", sagt Venetia Harontzas der DW. "Und die AfD gibt sich siegessicher, ohne viel Wahlkampf zu machen. Nach dem Motto: 'Wir haben schon alles im Sack, wir müssen nur noch zählen.'"

Die 69-jährige Sozialarbeiterin ist eine Institution in der Stadt, viele kennen sie nur unter ihrem Spitznamen "Mutter Lalok". "Lalok libre" (freies Ladenlokal) heißt der Jugend- und Familientreff, der nur einen Katzensprung von den Schrottimmobilien entfernt ist und der jeden Tag 30 Kindern und Jugendlichen aus zwölf Nationen einen Halt und eine Perspektive gibt. Denjenigen, an die sonst kaum einer glaubt.

"Unser Leitmotiv: Integration durch Kultur, weil Kultur das einzige ist, wo Du keine Sprache brauchst" - Venetia HarontzasBild: Oliver Pieper/DW

So wie die elfjährige Estera aus Rumänien, die unbedingt ihr Abitur machen und danach Tänzerin werden will. "Venetia ist wie eine zweite Mutter für mich, sie kümmert sich um Papiere und sorgt dafür, dass wir tanzen, dass wir Schultaschen und Kleider bekommen. Und wir machen viele Ausflüge", sagt sie.

Harontzas sieht ihre Arbeit und ihr Lebenswerk in Gefahr, sollte die AfD in Gelsenkirchen tatsächlich ans Ruder kommen. Die Partei habe schon durchklingen lassen, dass die Stadt keine paritätischen Organisationen oder integrativen Projekte mehr brauche, erzählt sie. Ein Aus für das seit mehr als 40 Jahren bestehende "Lalok libre" hätte fatale Konsequenzen.

"Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was dann aus den Kindern wird. Sie würden auf der Straße landen oder zu Hause vergammeln", sagt Venetia Harontzas, die gerade wieder einen Jugendlichen in die Ausbildung gebracht hat. "Ich weiß nicht, was mit uns passiert. Aber ich befürchte Schlimmeres, weil das Geld, das wir von der Kommune bekommen, eine freiwillige Leistung ist."

Einschüchterungen gegen AfD-kritische Politiker und Politikerinnen

Jan Specht heißt der Mann, der im Stadtrat und auch auf der Straße wie kaum ein Zweiter dafür kämpft, dass die AfD in der früheren Bergbaumetropole nicht noch stärker wird. Der 44-jährige Ingenieur sitzt seit sechs Jahren für die linke AUF-Partei im Gremium und hat schon zwei Demonstrationen gegen die AfD organisiert.

Deren Arbeit im Stadtrat sei nicht sehr konstruktiv, sagt er der DW: "Sie übernehmen häufig Anträge aus anderen Kommunen zu Genderthemen, frühkindlicher Erziehung oder Sexualkunde, die wenig realen Bezug zu Gelsenkirchen haben. Oder Themen wie die Arbeit des Ausländeramtes, wie Abschiebungen beschleunigt werden können."

"Arbeitsplatzvernichtung und gescheiterter Strukturwandel sind hier das Hauptproblem" - Jan Specht und Martina Reichmann von AUFBild: DW/Oliver Pieper

Bei der Stadtratssitzung im Juni sei es zu einem Eklat gekommen, berichtet die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung": Der AfD-Politiker Tobias Obernyer habe die amtierende Oberbürgermeisterin Karin Welge mit den Worten "Halt die Fresse" beleidigt. Welge wollte ihn des Saals verweisen, Obernyer bestritt die Äußerung. Auch Specht wird angefeindet, auf ein von ihm gedrehtes AfD-kritisches Video habe er gleich 500 Kommentare von deren Anhängern bekommen. Spechts Vorgängerin im Stadtrat, Monika Gärtner-Engel, erhielt sogar Morddrohungen.

Seine Erfahrung im Haustür-Wahlkampf: Viele Gelsenkirchener wüssten, was bei dieser Kommunalwahl auf dem Spiel steht, und wollten kein Erstarken der AfD. Den unschlüssigen Wählern gebe er immer Folgendes auf den Weg: "Die AfD ist gegen den Mindestlohn, gegen den Spitzensteuersatz und Erbschaftssteuern, und sie wollen die Gewerbesteuer in den Kommunen abschaffen. Sie ist keine Partei der kleinen Leute."

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