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Wahljahr '22: Den Trend halten, den Trend brechen

Ben Knight
17. Januar 2022

In diesem Jahr stehen gleich vier Landtagswahlen in Deutschland an. Die derzeit erfolgreichen Sozialdemokraten wollen ihre Macht stärken. Die Christdemokraten müssen verloren gegangene Wähler zurückgewinnen.

Kugelschreiber der großen Parteien und Schatten des deutschen Bundesadlers...
Bild: Christian Ohde/chromorange/picture alliance

Wahlen in vier Bundesländern im Jahr 2022 bedeutet auch: vier Chancen für die Christlich Demokratische Union (CDU), den Schaden zu beheben, den das für sie katastrophale Bundestagswahl-Ergebnis im vergangenen September angerichtet hat.

Denn im Herbst gab die Partei von Angela Merkel in den Umfragen einen ordentlichen Vorsprung auf und verzeichnete ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten. Das stürzte die CDU nach 16 Jahren in die Opposition. Der Schock führte zu internen Schuldzuweisungen, zum Rücktritt hochrangiger Parteimitglieder und zu einem neuen Führungskampf, der jetzt im Januar beigelegt werden soll.

Für die Wahlsiegerin, die SPD mit ihrem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz, können die nächsten Wahlen allerdings nicht früh genug kommen: Jetzt wäre ein hervorragender Zeitpunkt für die Mitte-Links-Partei, ihren Erfolg zu nutzen und ihre Macht im Bundesrat, der Vertretung der 16 Landesregierungen, auszubauen.

Vier Bundesländer, vier unterschiedliche Situationen

Die CDU hofft, dass ihr nächster Vorsitzender, der erzkonservative und ehemalige Merkel-Rivale Friedrich Merz, bis zum 27. März die Wende schaffen kann, wenn im Saarland ein neues Parlament gewählt wird. Ist diese Hürde genommen, winken im Mai Wahlen im einwohnerstärksten Bundesland Nordrhein-Westfalen und im Norden in Schleswig-Holstein, bevor im Herbst im mittelgroßen, aber wirtschaftsstarken Niedersachsen gewählt wird.

Die Mitgliederbefragung der CDU ergab: Friedrich Merz soll neuer Parteichef werdenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Alle vier Wahlen sind vor allem für die CDU wichtig: "Sie sind eine große Bewährungsprobe für den neuen Vorsitzenden", sagt Wolfgang Seibel, Lehrstuhlinhaber für Politik und öffentliche Verwaltung an der Universität Konstanz. "Die Partei hat viele Wähler verloren, die früher reine Merkel-Wähler waren, also nicht Stammwähler der CDU. Die kommenden Wahlen werden bei dem Richtungsstreit der CDU eine Rolle spielen. Merz gibt sich große Mühe, sein Image als wirtschaftsliberaler Vertreter des konservativen Flügels herunterzuspielen."

Manche Wahlen erscheinen offener als andere. Das Saarland ist zwar ein kleines Bundesland, aber seine symbolische Bedeutung für den kommenden CDU-Chef Merz ist groß: Die konservative Partei regiert das Land an der Grenze zu Frankreich seit 1999, liegt aber derzeit in Umfragen inzwischen knapp fünf Prozentpunkte hinter der SPD. Eine Niederlage dort könnte für einen Spitzenkandidaten, der versucht, die Partei wieder aufzubauen, ein echter Stimmungskiller sein.

Die SPD hingegen würde ein Sieg der CDU nicht allzu sehr beunruhigen, so Ulrich von Alemann, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Düsseldorf, weil dies einfach als Bestätigung des aktuellen CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans dargestellt werden könnte. Ein Sieg für die SPD aber "könnte eine Bestätigung für die jetzige Bundesregierung sein."

Für Merz: viel zu verlieren, weniger zu gewinnen

Die Aussichten für die CDU sind in anderen Grenzregionen, wo im Frühjahr gewählt wird, ähnlich unsicher. In Schleswig-Holstein an der dänischen Grenze führt die CDU derzeit ebenfalls die Regierung, liegt aber in den Umfragen fünf Punkte hinter der SPD. Doch dank der Stärke der Grünen in diesem Bundesland kann selbst eine zweitplatzierte CDU auf eine Fortsetzung ihrer aktuellen Koalition mit Grünen und FDP hoffen.

Aber sogar Siege für die CDU in beiden Bundesländern könnten für die Karriere des 66-jährigen Friedrich Merz keine guten Nachrichten sein, denn ein Sieg für die CDU wäre auch ein Sieg für die regionalen Parteichefs. Der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident Daniel Günther zum Beispiel ist wie Tobias Hans im Saarland noch in seinen Vierzigern und ein ehrgeiziger Spitzenkandidat. Günther gilt zudem als gemäßigter, kompromissbereiter Konservativer in der Tradition Angela Merkels: "Wenn sie in der Zukunft gut abschneiden, und wenn sie Ministerpräsidenten bleiben, würden sie durchaus die Generation nach Merz bilden können. Das wäre für Merz auch nicht sehr angenehm", sagt Politikwissenschaftler Alemann.

NRW: ein enges Rennen

Das bislang engste Rennen in diesem Wahljahr ist zugleich auch das größte. Nur eine Woche nach Schleswig-Holstein, am 15. Mai, wählt Nordrhein-Westfalen sein nächstes Parlament. Hier könnte ein CDU-Sieg für Merz besonders gewinnbringend sein: Rund ein Viertel der Einwohner Deutschlands lebt in diesem Bundesland mit dem größten Bruttoinlandsprodukt. Nach den jüngsten Umfragen liegen SPD und die CDU fast gleichauf: beide zwischen 27 und 28 Prozent. "Wer hier Ministerpräsident ist, der hat auch immer ein gewichtiges Wort auf Bundesebene mitzureden", lautet die Einschätzung von Professor Alemann.

Jahrzehntelang, von 1966 bis 2005 und dann noch einmal von 2010 bis 2017, galt Nordrhein-Westfalen als SPD-Hochburg, Heimat der traditionellen Industrie-Arbeiter. Doch in jüngerer Zeit ist die CDU in der Region erfolgreich, seit 2017 stellt die Partei den Ministerpräsidenten. Die vierjährige Regierungszeit von Armin Laschet endete zwar mit seinem gescheiterten Versuch, Merkels Nachfolger als Kanzler zu werden. Doch wird die Regierung jetzt von einem weiteren jungen CDU-Nachwuchsmann geführt: dem 46-jährigen Hendrik Wüst.

Hendrik Wüst (re.) übernahm von Armin Laschet (li.)Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Wüst war früher Verkehrsminister, ist in dem Bundesland noch wenig bekannt und unerfahren in einem größeren Wahlkampf. Das gilt aber auch für seinen SPD-Widersacher Thomas Kutschaty, den ehemaligen Justizminister des Landes. "Wüst hat als junger, frischer Kopf schon eine Chance in NRW zu gewinnen", sagt Politikwissenschaftler Alemann. "Aber es wird schwer werden, besonders, wenn die neue Bundesregierung in den nächsten drei, vier Monaten keine großen Fehler macht. Da kann viel passieren in der Politik. Wenn Wüst die Wahl gewinnt, dann ist seine Position in der CDU deutlich gestärkt."

Für die SPD, die derzeit auf einer Welle des Optimismus reitet, scheint die letzte Wahl des Jahres, im Oktober in Niedersachsen, die sicherste zu sein. Die Sozialdemokraten halten derzeit einen dreizehn Punkte-Vorsprung in den Umfragen und mit Stephan Weil haben sie einen ruhigen, soliden Ministerpräsidenten, der schon seit neun Jahren regiert und noch Anfang 60 ist. "Ich könnte mir vorstellen, dass die CDU-Strategen diese Wahl schon aufgegeben haben", so Alemann zur DW. "Da kann man nicht viel machen, aber an der Regierungsarchitektur in Berlin wird es nicht viel ändern."

Im DW-Interview: Kanzlerin Angela Merkel

21:01

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Neben ihrer Funktion als Seismograf für die politischen Parteien auf Bundesebene spielen die Landtagswahlen auch eine wichtige Rolle für die deutsche Gesetzgebung. Der Bundesrat, die Vertretung der 16 Landesregierungen, muss nämlich alle Bundesgesetze beschließen.

Ein bunter Bundesrat

Anders als etwa US-Senatoren werden die Bundesratsmitglieder nicht direkt gewählt, sondern von ihren Parteien im Verhältnis zur Größe ihrer Rolle in den verschiedenen Koalitionen nominiert. Da mittlerweile in allen 16 Bundesländer Koalitionen regieren, hat keine Partei die Mehrheitsmacht im Bundesrat.

Das war nicht immer so. Professor Alemann erklärt: "Der Bundesrat war in der Vergangenheit dem US-Senat ähnlich. Weil es zwei große Blöcke gab: Die SPD-geführten Länder und die CDU-geführten Länder. Und es war nicht selten so, dass einer der beiden Blöcke im Bundesrat die Mehrheit hatte gegen die amtierende Bundesregierung. Eine Art Blockadesituation".

Der niedersächsische Ministerpräsident Weil wird die Wahl vermutlich gewinnenBild: Political-Moments/imago images

Das hat sich in den vergangenen Jahren geändert, seitdem auch Parteien wie die Grünen und die FDP oder auch Landesparteien wie die Freien Wähler in Bayern eine größere Rolle in den Landesregierungen spielen. Die Sitzverteilung im Bundesrat ähnelt jetzt einem verblüffenden, bunten Schachbrett. Nur zwei Bundesländer haben genau dieselbe Koalition (Berlin und Bremen).

Darüber hinaus gibt es die Tradition im Bundesrat, die besagt, dass sich die Parteien einer Landesregierung bei der Abstimmung dann der Stimme enthalten müssen, wenn sie sich auf ein bestimmtes Bundesgesetz nicht einigen. "Aus diesem Grund ist die Abstimmungsabsicht im Bundesrat nicht mehr wirklich vorhersehbar", erklärt Politikwissenschaftler Seibel. "Man sollte die Rolle des Bundesrates nicht überschätzen." 

Wenn die CDU nicht gerade in allen vier Bundesländern haushohe Siege einfahren sollte, stehe fest, so Seibel: "Die Bundesratsfrage wird für die Regierungsfähigkeit der Ampelkoalition in Berlin so gut wie keine Rolle spielen." 

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