1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Österreich vor Rechtsruck

14. Oktober 2017

Ein Drittel der Wähler in Österreich ist unentschlossen - letzte Chance für die Wahlkämpfer. Wahrscheinlich ist nach der Wahl am Sonntag eine Koalition aus Rechten und ganz Rechten. Bernd Riegert berichtet aus Wien.

FPÖ-Wahlkampf in Wien
FPÖ-Wahlkampf in Wien: Eine Glatze grüßt, mit linksBild: DW/B. Riegert

Rot-weiße Österreich-Fahnen mit schwarzem Adler und Spruchbänder "Aus Liebe zur Heimat" gehören bei Wahlkampfveranstaltungen der FPÖ unbedingt dazu. Die Rechtspopulisten haben eine treue und wachsende Anhängerschaft. Bei den Wahlen zum Nationalrat, dem österreichischen Parlament, könnten sie das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreichen. Die Meinungsforscher sehen die Blauen, wie die FPÖ nach ihrer Parteifarbe auch genannt wird, als zweitstärkste oder drittstärkste Kraft im Parlament. Klar vorne liegt die konservative "Liste Kurz", die aus der österreichischen Volkspartei (ÖVP) hervorgegangen ist. Die FPÖ ringt mit den Sozialdemokraten um den zweiten Platz. SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern hat wohl keine Chance, sein Amt zu verteidigen.

"Endlich tut einmal einer was für uns Österreicher", jubelt ein 19 Jahre Schüler auf der Wahlveranstaltung der FPÖ im Süden von Wien, ganz früher einmal ein Arbeiterbezirk, den die Sozialdemokraten dominierten. Das ist lange vorbei. Die FPÖ ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. In diesem Wahlkampf setzte FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache ganz ausdrücklich auf soziale Themen, Mindestlohn, Rente, Arbeitsplätze. Die klassischen rechtspopulistischen Themen hatte der konservative Sebastian Kurz ihm abgejagt. Kurz formte aus der alten ÖVP eine stramme, ganz auf seine Person zugeschnittene, eher nationalkonservative Partei und besetzt die Themen Einwanderung, Integration und Islam. Er hat die FPÖ quasi rechts umarmt und sie so von ihrem Spitzenplatz in den Meinungsumfragen verdrängt. Im Frühjahr noch lag die FPÖ vor ÖVP und SPÖ, die zehn Jahre lang eine Große Koalition bildeten.

Sieht sich als "Vordenker": Heinz-Christian StracheBild: DW/E. Numanovic

"Es geht nicht mehr"

Auf dem Viktor-Adler-Markt in Wien heizt die FPÖ mit deutschen Stimmungshits, Luftballons und Bier aus Plastikbechern der Menge ein. Der Schüler aus Wien, der seinen Namen nicht nennen will, erzählt, warum er die FPÖ wählen wird: "Bei mir in der Klasse sind wir von 27 Schülern nur drei Österreicher. Da sind wir an einem Punkt angelangt, wo es einfach nicht mehr geht." Er sei ja wie seine Mitschüler hier auf dem Platz sehr tolerant, aber jetzt sei es genug. "Was schiefgelaufen ist, das müssen sie Bundeskanzler Kern fragen. Es kann ja nicht sein, dass meine Oma nach 40 Jahren Arbeit 950 Euro Rente bekommt und ein Flüchtling, der hier nie gearbeitet hat, 830 Euro bekommt. Das geht doch nicht", sagt er und hakt sich bei seien Freunden unter. Einer schwenkt eine Österreich-Fahne. Sie singen lautstark mit. Auf der Bühne röhrt die Live-Band: "Schatzie, schenk mir ein Foto!"

FPÖ-Damen sind selig: Aus Liebe zur Heimat Bild: DW/B. Riegert

FPÖ-Chef "HC" Strache, der Kontakte in die Neonazi-Szene hatte, gibt sich heute moderat, ja staatsmännisch. Austrittsfantasien aus EU und Euro hat er nicht mehr. Allerdings möchte er, dass Österreich Mitglied der Visegrad-Gruppe wird. Wie Ungarn sollte auch Österreich starke nationale Interessen in der EU durchsetzen und Brüssel Widerstand leisten. #

Eine Koalition zwischen der FPÖ und der Kurz-ÖVP halten über 60 Prozent der Wähler für wahrscheinlich. Längst regiert die FPÖ in einigen Landesregierungen in Österreich mit. In zahlreichen Gemeinden stellt sie Bürgermeister. Dabei hatten Parteienforscher vermutet, dass die "Blauen", die sich 2005 spalteten, untergehen würden. Weit gefehlt. Zwölf Jahre später steht die FPÖ knapp vor einer zweiten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Im Jahr 2000 hatte die ÖVP schon einmal mit der FPÖ koaliert. Damals gab es noch Proteste in der Europäischen Union und den Versuch, Sanktionen zu verhängen. Heute sind die Rechtspopulisten in so vielen Ländern der EU normal und an Regierungen beteiligt, so dass sich niemand mehr aufregt.

Türkis schlägt rot

Einwanderung stoppen, den Migranten die Sozialleistungen kürzen, die Islamisierung der Gesellschaft beenden. In diesen Punkten sind sich ÖVP und FPÖ mehr oder wenig einig, wie man in den zahlreichen Fernsehduellen der Spitzenkandidaten in den österreichischen Fernsehsendern sehen konnte. "Die FPÖ ist auch nicht anders als die deutsche AfD", seufzt Uschi Weiner bei einer Wahlkampfveranstaltung der Sozialdemokraten gegenüber vom Wiener Rathaus. Die "Alternative für Deutschland" hatte bei der Bundestagswahl am 24. September auf Anhieb den Sprung auf den Platz der drittstärksten Partei geschafft. Uschi Weiner findet den bevorstehenden Rechtsruck in Österreich "schlimm, ganz schlimm, wenn es denn so kommt". Ihre Hoffnung ist, dass der "rote" Bundeskanzler Kern auf den letzten Metern noch mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit punkten und dann mit den Grünen und den liberalen "Neos" koalieren kann.

Hat noch Hoffnung: SPÖ-Anhängerin Weiner (l.)Bild: DW/B. Riegert

Kern versucht sich als erfahrenen Politiker und Manager gegenüber seinem Außenminister Sebastian Kurz abzugrenzen, der erst 31 Jahre alt ist. Doch die flotten Ideen der Ein-Mann-Partei Kurz kommen offenbar an. Kurz legte kurzerhand als Parteifarbe türkis fest. Das spießige Schwarz für konservativ ist passé. Auf seinen Plakaten wirkt Kurz eher wie ein Anzug-Model. "Er ist halt fesch und jung", sagte dazu ein junge Wahlkämpferin in türkis auf der Wiener Einkaufsmeile, der Kärntner Straße. Sie verteilt türkisfarbene Luftballons und ist kaum jünger als ihr Chef.

Mit neuer Farbe: Schmachtender Blick von Sebastian Kurz vor dem NationalratBild: DW/B. Riegert

"Die Affäre hätten wir nicht gebraucht"

Bei der Wahlkampfveranstaltung am Wiener Rathaus macht Kern sich und seinen Anhängern Mut. "Noch ist nicht entschieden, wer der nächste Bundeskanzler sein wird", ruft er in die Menge. Der Applaus ist verglichen mit der Wahlveranstaltung der FPÖ eher verhalten. Man schaut in skeptische Gesichter.

Uschi Weiner zückt das Handy und macht ein Foto als Erinnerung an die Begegnung mit dem obersten Sozialdemokraten. "Die Schmutzkübel-Affäre war nicht schön. Diese Spin-Doktoren hätten wir nicht gebraucht", sagt die Wahlkämpferin. Sie meint einen Skandal um gefälschte Internetseiten, mit denen die SPÖ versuchte, den jung-dynamischen Sebastian Kurz zu diskreditieren. Kanzler Kern wollte zunächst von all dem nichts gewusst haben und musste scheibchenweise zugeben, dass seine Partei dahinter steckte.

SPÖ-Fans in Wien: Die Kanzler-Partei blickt skeptisch in die ZukunftBild: DW/B. Riegert

Kurz mit F

Diese Affäre und auch die äußerst aggressiven Fernsehduelle der Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ haben - so die Analyse der Zeitung "Der Standard" - viele Wählerinnen und Wähler abgestoßen. Die "Systemverdrossenen" und Unentschlossenen könnten die Wahl entscheiden. Der Skandal habe wahrscheinlich der FPÖ genützt, die Heinz-Christian Strache jetzt als Saubermann präsentieren kann. Etwa 30 Prozent der Wähler wussten am Freitag noch nicht, was sie Sonntag ankreuzen wollen, sagen die Umfragen.

Weil sie die Unentschlossenen offenbar nicht mit inhaltlichen Diskussionen quälen wollen, setzen die drei Spitzenkandidaten der großen Parteien auf enorm schlanke Slogans. Christian Kern (SPÖ) versucht es mit dem Wort "Erfahrung". Heinz-Christian Strache (FPÖ) erklärt sich zum "Vordenker" und Sebastian Kurz (Liste Kurz/ÖVP) textet "Diesmal Kurz". Viele Plakate in Wien sind mit Sprüchen verziert, weil sich gerade der Name Kurz so gut für Wortspielchen eignet. Nur ein Buchstabe macht den Unterschied: Hurz und Furz sind oft zu lesen.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen