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PolitikPolen

Wahlkampf in Polen: Jagd auf Oppositionsführer Tusk

Jacek Lepiarz Warschau
27. April 2023

In diesem Herbst wird in Polen ein neues Parlament gewählt. Die Regierung muss um ihre Wiederwahl fürchten. Sie zieht deshalb alle Register, um ihren gefährlichsten Herausforderer auszuschalten: Donald Tusk.

Der Chef der Partei Bürgerplattform bei einem Wahlkampfauftritt in Rzeszow
Der Chef der Partei Bürgerplattform bei einem Wahlkampfauftritt in RzeszowBild: Artur Widak/AA/picture alliance

Der polnische Oppositionsführer Donald Tusk wird seit Jahren in allen von der Regierung kontrollierten Medien in Polen als Bösewicht dargestellt. Mal diskreditieren sie ihn als Sachwalter deutscher Interessen, mal als "russische Socke". Doch die brutale Diffamierungskampagne gegen den Chef der liberalen Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, PO) reicht offensichtlich nicht aus, um ihn so sehr zu schwächen, dass er für das rechte Regierungslager mit Jaroslaw Kaczynski an der Spitze keine Gefahr mehr darstellt. 

Weil der Ausgang der Parlamentswahl im Herbst ungewiss ist und die Nervosität im Regierungslager mit jeder Woche steigt, versucht jetzt die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), den gefährlichen Rivalen mit anderen Methoden auszuschalten.

Ermittlungen gegen den Oppositionsführer

Nun hat die Staatsanwaltschaft in Warschau Ermittlungen gegen Tusk aufgenommen. Das teilte am Montag das Portal tvp.info mit, das als Sprachrohr der Regierung gilt. Der Unternehmer Marek Falenta hatte im November 2022 Anzeige gegen Tusk erstattet. Er wirft ihm vor, als Regierungschef im Jahr 2014 seine "Kompetenzen überschritten" zu haben. Die Regierung Tusk hatte nach der Annexion der Krim durch Moskau eine Untersuchung der Steinkohleimporte aus Russland durch Falentas Firma angeordnet. Der Geschäftsmann behauptet, Tusk habe ohne Rechtsgrundlage in die Wirtschaft eingegriffen und seinem Unternehmen geschadet.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sieht in Donald Tusk den gefährlichsten Gegner für die Rechts-Regierung in PolenBild: Hubert Mathis/ZUMA/dpa/picture alliance

Die liberale Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" machte am Mittwoch darauf aufmerksam, dass die Ermittlungen erst ein knappes halbes Jahr nach der Anzeige aufgenommen wurden - ausgerechnet zu Beginn der entscheidenden Phase des Wahlkampfes. Die Redaktion betonte, dass Falenta vorbestraft und seine Glaubwürdigkeit mehr als zweifelhaft sei.

In der Tat hat der Geschäftsmann wegen einer Abhöraffäre zwei Jahre im Gefängnis verbracht. Von ihm bezahlte Kellner hatten in zwei Warschauer Restaurants Spitzenpolitiker aus Tusks Regierung abgehört und den Inhalt der Gespräche an die Medien weitergegeben. Die Aktion, hinter der der russische Geheimdienst stehen könnte, trug wesentlich zur Wahlniederlage Tusks im Jahr 2015 bei.

Das Ziel: Tusk zur Strecke bringen

"Es geht darum, den wichtigsten politischen Gegner des Regierungslagers vor der Herbstwahl zu erwischen, auch wenn dabei die Staatsanwaltschaft und ihre politischen Aufseher kompromittiert werden sollten", kommentierte der Publizist Wojciech Czuchnowski in der "Gazeta Wyborcza". Doch Tusk, der von 2014 bis 2019 Vorsitzender des Europäischen Rates war und seit Oktober 2021 wieder die oppositionelle Bürgerplattform führt, zeigt sich von den Angriffen ungerührt. "Ich lasse mich nicht einschüchtern", versicherte er auf einer Sitzung seiner Partei am Dienstag. Die Vorwürfe nannte er "absurd".  

Donald Tusk steht an der Spitze der größten polnischen Oppositionspartei BürgerplattformBild: Wojciech Olkusnik/PAP/dpa/picture alliance

Die Aktion der Staatsanwaltschaft ist kein Einzelfall. Der Kampf gegen die PO wird auf allen Ebenen geführt. So beschloss die rechte Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, am 14. April 2023 die Schaffung einer "Staatlichen Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse auf die innere Sicherheit der Republik Polen in den Jahren 2007 bis 2022". Das Regierungslager soll in diesem Ausschuss fünf, die Opposition vier Vertreter haben. Der Vorsitzende soll vom Regierungschef ernannt werden. Das neue Gremium soll jeden Politiker mit einem zehnjährigen Verbot belegen können, Posten zu bekleiden, die mit der Verteilung öffentlicher Mittel verbunden sind - ein wirksames Mittel, um die Opposition zu schwächen. Mehrere Verfassungsrechtler halten dies für verfassungswidrig. "Das Ziel dieses Gesetzes ist die Beseitigung von Donald Tusk aus der Politik", erklärt der Generalsekretär der PO, Marcin Kierwinski. Die Opposition hofft nun, dass Staatspräsident Andrzej Duda seine Unterschrift unter das Gesetz verweigert. 

Polens Regierung verliert Zustimmung

Grund für diese Maßnahmen: Die Regierung steht unter Druck. Der russische Angriff auf die Ukraine und die spontane Solidarität der Polen mit dem überfallenen Land und den ukrainischen Flüchtlingen hatten das Regierungslager im Jahr 2022 zwar zunächst gestärkt. Auch das gewachsene internationale Prestige Polens hatte zu guten Umfragewerten der PiS beigetragen.

Der polnische Staatschef Andrzej Duda (r.) pflegt gute Beziehungen zu seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj, hier bei dessen erstem offiziellen Besuch in Warschau am 5. April 2023Bild: Radek Pietruszka/PAP/picture alliance

Doch dann nahmen die Probleme zu. Die Menschen leiden unter der anhaltend hohen Inflation (16,2 Prozent im März 2023). Mehr als eine Million geflohene Ukrainer im Land stellen das Schul- und Gesundheitswesen vor enorme Herausforderungen. Zwischenfälle wie das Problem mit dem ukrainischen Getreide, das über polnische Häfen in die Welt transportiert werden sollte, doch stattdessen in den polnischen Silos geblieben war und zu einem dramatischen Preisverfall in Polen selbst geführt hatte, sorgen für Wut, nicht nur unter den Landwirten.

Tusk auf Wählerfang

Hinzu kommt, dass Oppositionsführer Tusk einen engagierten Wahlkampf führt. Er reist seit Wochen durch Polen, um seine Anhänger zu mobilisieren und neue Wähler zu gewinnen. Zu seinen Veranstaltungen kann jeder kommen und dem Politiker Fragen stellen - anders als bei seinem Rivalen Kaczynski, dessen Wahlveranstaltungen von Hunderten Polizisten abgeschirmt werden. Das Regierungslager sieht daher in Tusk, der in den Jahren 2007 bis 2014 Polen regierte und später als Vorsitzender des Europäischen Rates zum Gesicht Europas aufstieg, einen gefährlichen Herausforderer.

In ihrer Auseinandersetzung mit der liberalen Opposition beschränkt sich die PiS nicht auf die Verfolgung von Tusk selbst. Auch Deutschland dient als Mittel zum Zweck. Die Bürgerplattform wird als eine "deutsche Partei" diffamiert, die im Gegensatz zur "polnischen Partei" PiS "fremde Interessen" vertrete. Deutschland wird dabei als ein verdächtiger Nachbar dargestellt, der die Europäische Union dominieren will und die Zahlung der Kriegsreparationen an Polen verweigert.

Um seine Anhänger zu mobilisieren, hat Tusk für den 4. Juni zu einer Großdemonstration in Warschau aufgerufen. "Gegen Preissteigerungen, Diebstahl und Lügen, für freie Wahlen und ein demokratisches europäisches Polen", schrieb der PO-Chef auf Twitter. Das Datum ist symbolträchtig: Am 4. Juni 1989 fanden in Polen die ersten teilweise freien Wahlen statt, die zum Sturz der Diktatur geführt hatten.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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