Streit um CDU-Integrationskonzept
15. Februar 2016Knapp vier Wochen trennen die Parteien noch von den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Drei Wahlen, bei denen - nach derzeitigen Umfragen - der Newcomerin "Alternative für Deutschland" gute Chancen auf zweistellige Ergebnisse eingeräumt werden - trotz oder gerade wegen der teilweise rassistischen und rechtsextremen Botschaften der AfD. Die Flüchtlingspolitik wird bei den Landtagswahlen eine entscheidende Rolle spielen. Welcher Partei trauen die Wähler am ehesten zu, die Probleme zu lösen, die sich aus dem Zuzug hunderttausender Asylbewerber ergeben?
CDU und SPD haben in dieser Frage in den vergangenen Monaten deutlich an Boden verloren. Das wurmt vor allem die CDU, die in Sachsen-Anhalt den Ministerpräsidenten stellt und in den beiden anderen Ländern an die Macht will. Die Partei setzt nun auf ein Integrationskonzept, das Flüchtlinge nicht nur fördern, sondern vor allem auch fordern will. Beschlossen wurde es vom CDU-Bundesvorstand in Berlin. Doch die politischen Köpfe hinter dem Konzept sind nicht zufällig die rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin der Christdemokraten, Julia Klöckner, und der baden-württembergische CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl, die beide auch stellvertretende Bundesvorsitzende der Merkel-Partei sind.
Bleiben darf, wer fleißig und rechtschaffen ist
Zwölf Seiten umfasst das Konzept, das dem Leitmotto folgt, Integration dürfe nicht nur freiwillig geschehen, sondern sei eine Pflicht für den deutschen Staat und für Migranten. Über allem steht die deutsche Leitkultur. Schon in den Aufnahmeeinrichtungen sollen Flüchtlinge verpflichtend einen Basissprachkurs und einen Kurs zu den "Grundregeln unseres Zusammenlebens", sowie einen entsprechenden Abschlusstest absolvieren. Allen Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und anderen Schutzberechtigten soll ein Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Handlungsbedarf sieht die CDU bei Flüchtlingen ohne Schulabschluss. Es soll geprüft werden, ob ob sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen lassen, indem die Schulpflicht verlängert wird, die derzeit mit 18 Jahren endet.
Doch auch für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte plant die CDU Einschränkungen: Sie sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland nur dann ein unbefristetes Bleiberecht erhalten, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen: Sie müssten dann nachweisen, dass sie ausreichend Deutsch sprechen, Grundkenntnisse der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung haben, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Bislang wird die unbefristete Erlaubnis unabhängig davon erteilt, ob sich jemand um Sprachkenntnisse und Arbeit bemüht hat.
Wird der Mindestlohn teilweise ausgesetzt?
Im Mittelpunkt des Konzepts steht die Frage, wie Asylberechtigte möglichst schnell einen Job finden können. Um sie für Unternehmen attraktiv zu machen, hätte die CDU gerne durchgesetzt, dass Flüchtlinge für sechs Monaten auch weniger als den Mindestlohn verdienen können. "Wenn das für Langzeitarbeitslose gilt, so muss es erst recht für Flüchtlinge gelten, die in vielen Fällen nicht einmal Sprachkenntnisse haben", argumentiert Thomas Strobl. "Wir wollen, dass Menschen schnell in Arbeit kommen, weil wir glauben, dass nach Spracherwerb und Bildung Arbeit die beste Integration ist."
Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland flächendeckend ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Ausgenommen sind allein Auszubildende, Ehrenamtler und Praktikanten, wenn sie das Praktikum im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums absolvieren. Auch Langzeitarbeitslose haben beim Wiedereinstieg in einen Job nicht sofort Anspruch auf den Mindestlohn. Erst sechs Monate nach Beginn der Beschäftigung muss sich der Arbeitgeber daran halten.
Die Wirtschaft will mehr, die SPD schäumt
Eine Regelung, die schon jetzt manchem Arbeitgeber ein Dorn im Auge ist. Die Wirtschaft nutzt daher die Gunst der Stunde, um sogar eine weitergehende Verschärfung einzufordern. "Allen Menschen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben, muss der Weg in Beschäftigung erleichtert werden", heißt es vonseiten der deutschen Arbeitgeberverbände. "Ihnen sollte zwölf Monate lang eine von den strikten Bedingungen des Mindestlohngesetzes befreite Beschäftigung ermöglicht werden."
Sechs oder sogar zwölf Monate kein Mindestlohn für Flüchtlinge? Für die SPD ist das unvorstellbar. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und SPD-Chef Sigmar Gabriel sind strikt gegen Ausnahmen von der Lohnuntergrenze. Die gelte für alle, unabhängig vom Pass. So sehen es auch die Gewerkschaften. Verdi-Chef Frank Bsirske warnt davor, "einen tiefen Graben zwischen den Menschen im Niedriglohnbereich und den Flüchtlingen aufzureißen". Der Vorschlag mache Flüchtlinge wider Willen zu Lohndrückern und spiele sie gegen andere aus, die eine Beschäftigung im Niedriglohnbereich hätten und anstrebten.
Beifall aus Bayern
Eine Gefahr, die bei der Schwesterpartei der CDU, der bayerischen CSU ebenfalls gesehen wird. Man müsse auf der einen Seite erreichen, dass Zuwanderer, die bleiben dürfen, in den Arbeitsmarkt finden. "Auf der anderen Seite wollen wir auch keine Dumpinglöhne und das ist der Punkt, wo man sehr klug in der Umsetzung sein muss", sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer in München. 20 Prozent der Flüchtlinge seien Analphabeten, 80 bis 90 Prozent müssten erst qualifiziert werden, damit sie eine Ausbildung machen könnten. "Da müssen wir doch überlegen, wie überwinden wir die ganzen Hürden."
Prinzipiell sei seine Partei mit dem Integrationspapier der CDU aber einverstanden, so Seehofer. "Alles ist abgestimmt, und wir begrüßen diese Initiative der CDU im Prinzip sehr."
Sozialdemokratischer Dreisprung
Und wie geht es jetzt weiter? Droht ein neuer Koalitionskrach zwischen Unionsparteien und SPD? "Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Sozialdemokraten es kategorisch ablehnen, über mögliche Veränderungen beim Mindestlohn zu sprechen", sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber nach der Sitzung des Bundesvorstands am Montag. Daher sei man im CDU-Bundesvorstand übereingekommen, dass für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge lediglich Praktikumszeiten, bei denen vom Mindestlohn abgewichen werden kann, auf mindestens sechs Monate verlängert werden sollen.
Was nicht heißt, dass die Befürworter einer schärferen Regelung in der CDU nicht hinter den Kulissen weiter daran arbeiten, den Mindestlohn auszusetzen. Julia Klöckner, die in Rheinland-Pfalz die von der SPD gestellte Ministerpräsidentin ablösen will, hofft auf "den klassischen sozialdemokratischen Dreisprung". Der laufe ihrer Meinung nach so ab: "Erst ein Problem negieren und nicht erkennen wollen, dann einen Vorschlag von der Union ablehnen und nach einer gewissen Schamfrist dann doch dafür sein." Ganz Wahlkämpferin setzt CDU-Kandidatin Klöckner noch nach: "Es dauert immer ziemlich lange, bis bei der SPD der Realitätscheck da ist."