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Politik

Viele Täter, wenige Polizisten

Marko Langer
2. August 2017

Mehr Sicherheit mit weniger Polizei? Vor den Wahlen warnen Richterbund und Gewerkschaft der Polizei vor einer Erosion des Rechtsstaates. Der akute Personalmangel wird durch eine gewaltige Pensionierungswelle verstärkt.

Symbolbild Taschendiebstahl
Bild: picture-alliance/dpa/F. Rumpenhorst

Man kann dem Bundesjustizminister nicht vorwerfen, er habe keinen Sinn für Stilfragen oder für Timing. Heiko Maas, SPD,  setzte sich rechtzeitig hin, um für die Mittwochsausgabe seines Heimatblattes "Saarbrücker Zeitung" einen Gastbeitrag zu verfassen. Thema: Mehr Personal und eine bessere Infrastruktur für deutsche Gerichte! Tenor: Was nützten mehr Polizei und höhere Aufklärungsquoten, wenn Täter wegen Personalmangels in der Justiz nicht angeklagt und verurteilt werden könnten.

Die Pensionierungswelle kommt

Der schlanke Staat hat in den Amts- und Landgerichten zu problematischen Zuständen geführt. Verfahren dauern zu lange, Richter klagen über Überarbeitung. Und: "Die schon heute sehr angespannte Situation wird sich in den kommenden zehn bis 15 Jahren noch verschärfen, denn auf die deutsche Justiz rollt eine gewaltige Pensionierungswelle zu", sagt der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Jens Gnisa. Der Mann muss es wissen: Gnisa ist von Hause aus Direktor des Amtsgerichts Bielefeld.

Früher, ja früher galt es unter Jura-Studenten noch als erstrebenswertes Ziel: Staatsanwalt zu werden oder Richter. Doch die Aussicht, für Gerechtigkeit sorgen zu können, wird getrübt von der Prognose, manchmal nur ein Drittel dessen zu verdienen, was die Kommilitonen mit Prädikatsexamen in großen Kanzleien geboten bekommen. Wer mag da schon Nein sagen?

Vorsitzender des Deutschen Richterbundes: Jens GnisaBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Vor der Bundestagswahl beeilen sich alle Parteien, dem verunsicherten Bürger mehr Sicherheit zu versprechen. Mehr Polizei, mehr Richter, mehr Staat. Das ist das Horn, in das auch der Justizminister bläst. Der Deutsche Richterbund, vielleicht aus beruflichen Gründen von jeher skeptisch, mag die Kunde kaum glauben und hat sich deshalb mit der deutlich lauteren Gewerkschaft der Polizei (GdP) zusammengetan. Beide Organisationen schlugen vor der Bundespressekonferenz Alarm: "Pensionswelle bei Polizei und Justiz gefährdet Stabilität des "Rechtsstaates", so die gemeinsame Erklärung.

Erodiert unser System?

Bis zum Jahr 2030 scheiden rund 40 Prozent aller Juristen aus dem Dienst aus. Aktendeckel zu, Ruhestand! In den ostdeutschen Bundesländern sind es sogar 60 Prozent. Gnisa hat ausgerechnet, die Justiz verliere so etwa 10.000 Richter und Staatsanwälte. "Wenn die Politik hier nicht aktiv wird, droht der Rechtsstaat zu erodieren", wählt der eher zurückhaltende Jurist ungewöhnlich scharfe Worte. "Besonders alarmierend ist, dass die Gerichte zuletzt immer wieder Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen mussten, weil Strafverfahren unvertretbar lange dauerten."

Und an diesem Punkt - spätestens - kommt die Polizei ins Spiel. Denn die Beamten ärgern sich regelmäßig, wenn sie Kriminellen, derer sie eigentlich schon habhaft wurden, wenig später wieder auf frischer Tat begegnen.

"Nehmen wir den Bereich der Alltagskriminalität", sagt Oliver Malchow, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Der Frust im Dienst steigt - gerade bei wiederholt auffallenden Tatverdächtigen. Unsere Kolleginnen und Kollegen beklagen bereits seit Jahren, dass die von ihnen ermittelten Tatverdächtigen viel zu lange auf die Strafe warten müssen. Und viele Verfahren werden auch eingestellt."

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei: Oliver MalchowBild: picture-alliance/dpa/D. Bockwoldt

In Ruhe eine Zigarette

Neulich war Malchow bei einer Veranstaltung mit Ladenbesitzern am Alexanderplatz in Berlin. "Wenn hier gestohlen wird, kommt die Polizei und nimmt die Personalien auf. Und der Ladendieb steckt sich draußen in Ruhe eine Zigarette an, weil er weiß: Mir passiert ja doch nichts", beschreibt Malchow im Gespräch mit der DW die Erfahrung der Händler. Aus Sicht der Polizei sei zu beklagen: "Der zeitliche Zusammenhang zwischen Fehlverhalten und Strafe ist nicht mehr gegeben." 

Die Forderung nach mehr Beamten kennt man von Malchows Polizeigewerkschaft. 20.000 Vollzugsbeamte mehr müssten es werden bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode. "Es geht um eine Größenordnung von circa 4.000 Personen jährlich mehr."

Mit bloßen Lippenbekenntnissen durch die Politik will sich Malchow nicht mehr abspeisen lassen. Ereignisse wie die Krawalle beim G20-Gipfel in Hamburg verleihen seiner Forderung Rückenwind. Am Ende waren dort 23.100 Beamtinnen und Beamte - mehr als 6.400 aus Hamburg und 16.700 Auswärtige - in der Hansestadt im Einsatz. Für Malchow ein Beleg, "wie angespannt die Personallage ist".

Wo Vertrauen verlorenging: die Silvesternacht auf der Kölner Domplatte 2016Bild: DW/D. Regev

Muss immer erst etwas passieren, bis sich politisch etwas bewegt? "Jetzt vor der Bundestagswahl sagen alle Parteien, dass sie mehr tun wollen für die innere Sicherheit. Aber die Parteivorsitzenden müssen dann auch dafür sorgen, dass dies auf ihrer Landesebene umgesetzt wird", wünscht sich der GdP-Vorsitzende.

Die Kehrtwende seien die Übergriffe in der Silvesternacht 2015/2016 auf der Kölner Domplatte gewesen. "Da haben die Leute gedacht: Die Polizei kann uns ja gar nicht mehr helfen. Sie haben Bürgerwehren gegründet, sich den kleinen Waffenschein besorgt und in vielen Fällen Parteien gewählt, die vorher nicht Teil der Parteienlandschaft waren." Und dann habe die Politik reagiert, berichtet Malchow. "Das ist enttäuschend, aber es ist jetzt wenigstens eine Reaktion darauf."

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