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"Wahre Sieger gibt es bei dieser Wahl nicht"

Das Interview führte Steffen Leidel18. September 2005

Deutschland hat einen neuen Bundestag gewählt. Klarheit brachte der Urnengang aber nicht, sondern komplizierte Mehrheitsverhältnisse. Der Parteinforscher Klaus Detterbeck bewertet das Ergebnis der Wahl.

DW-WORLD: Wer ist eigentlich der wahre Sieger dieser Wahl?

Klaus Detterbeck: Wahre Sieger scheint es nicht zu geben. Die FDP hat im positiven Sinne ein erstaunliches Ergebnis abgeliefert. Das hätte wohl niemand erwartet. Wenn wir die Wählerwanderung anschauen, scheinen sehr stark Stimmen von der Union zur FDP gewandert zu sein. Das sind die so genannten Leihstimmen, also Wähler, die eine Schwarz-Gelbe Koalition wollten und deshalb die FDP gewählt haben. In diesem Sinne ist die FDP der Gewinner der Wahl. Doch dieses Ergebnis wird getrübt, da sie eventuell bei einer großen Koalition in die Opposition wandern muss. Die Union ist offensichtlich stärkste Kraft und daher in gewisser Weise Sieger. Sie hat jedoch viel, viel schlechter abgeschnitten, als es die Union selbst erwartet hatte.

Ist das nicht sogar ein Desaster für die Union?

Die rund 35 Prozent sind sicher ein große Enttäuschung für die Union. Am Anfang der Wahlkampagne ist sie ja mit fast 50 Prozent gestartet. In diesem Sinne ist es ein Desaster.

Was sagen Sie zum Abschneiden des SPD?

Die hat sicherlich Grund zufrieden zu sein. Die SPD hat es geschafft, durch den Wahlkampf diese sehr, sehr schlechte Ausgangssituation zu verbessern. Der Wahlkampf hat sich jetzt doch als effektiv erwiesen. Den ganzen Abend über konnte man ja auch die verschiedenen SPD-Politiker sehen, da war viel Grinsen und Zufriedenheit zu sehen.

Schröder hat aber doch etwas überrascht mit der Ankündigung, weiter Kanzler bleiben zu wollen.

Das war eine sehr erstaunliche Ankündigung. Es gibt wohl offenbar zwei Möglichkeiten, wie das funktionieren kann (eine weitere ist ja grundsätzlich ausgeschlossen, nämlich ein Bündnis mit der Linkspartei). Erstens: eine Ampel mit der FDP und den Grünen. Das schien mir das Wahrscheinlichere zu sein. Doch die FDP sagt ja jetzt ganz rigoros, dass sie nicht will. Damit ist das nun wohl auch ausgeschlossen. Und ich sehe auch nicht, dass sich die FDP da noch bewegen wird. Dafür steht das Führungspersonal der FDP zu stark in inhaltlicher Gegnerschaft zu den Grünen. Die letzte Möglichkeit wäre, dass die SPD durch Überhangmandate doch noch stärkste Kraft wird um in einer großen Koalition dann eben den Kanzler stellen zu können.

Was bedeutet das schlechte Ergebnis der Union nun für Angela Merkel?

Bleibt die CDU stärkste Kraft, dann wird es wohl zu einer großen Koalition kommen und Angela Merkel wird Kanzlerin. Dann ist sie in einer ganz anderen Situation als heute Abend. In zwei Jahren wird dann niemand mehr nach diesem schlechten Wahlergebnis fragen. In der Kanzlerschaft hat sie die Chance, ihre Fähigkeit zur politischen Führung zu beweisen. Davon wird abhängen, ob ihre politische Karriere gefährdet ist oder nicht. Intern werden sich sicherlich alle Kritiker von Merkel bestätigt fühlen. Die Union scheint die gleichen Probleme zu haben wie 2002 mit Stoiber. Sie hat im Osten und Norden schlecht abgeschnitten, sie hat bei den jungen Wählern schlecht abgeschnitten. Diese Probleme hat Merkel offensichtlich nicht beseitigen können. Intern ist Merkel sicher geschwächt.

Gäbe es Alternativkandidaten?

Im Moment sicher nicht. Es ist nicht vorstellbar, dass jemand aus der Ministerpräsidentenriege vorprescht und sagt, ich wäre doch der geeignetere Führer einer großen Koalition. Das wird wohl erst der Fall sein, wenn sich Merkel nach ein, zwei Jahren als schwach erweist, dann werden Leute wie Koch und Wulff ihr den Führungsanspruch streitig machen.

Wie bewerten Sie das Ergebnis der Linken?

Die Linkspartei ist wohl mit dem Ergebnis zufrieden. Sie hat im Osten rund 25 Prozent, das ist ein ordentliches PDS-Ergebnis, im Westen fünf Prozent. Das ist ein ganz gutes Ergebnis, das sicher mit Lafontaine zu tun hat. Das ist auf jeden Fall eine Konsolidierung dieser neuen Partei.

Klaus Detterbeck (Jahrgang 1966) lehrt und arbeitet am Institut für Politikwissenschaft der Universität Magdeburg.