Machen Wald und Natur uns schneller gesund?
19. Mai 2025
An einem Samstag vor zehn Jahren machte sich Sarah Allely von ihrem Haus in Sydney auf den Weg zu einem Fitnesskurs. Sie fuhr mit dem Fahrrad durch ruhige Straßen, nicht ahnend, wie sich ihr Leben in Kürze verändern würde.
Wenig später kam sie mitten auf der Straße zu sich – mit stechenden Schmerzen, umgeben von Passanten und Rettungskräften. Ein Auto hatte sie angefahren.
Aus dem Krankenhaus wurde sie noch am selben Tag wieder entlassen – mit einer Gehirnerschütterung, einer Schulterverletzung und dem Glauben, dass alles in Ordnung sei. Zurück zu Hause, bei ihrem Partner und ihren zwei kleinen Töchtern, wollte sie ein Buch zur Entspannung lesen – doch sie merkte schnell, dass etwas nicht stimmte.
"Ich konnte die Wörter zwar mit den Augen erfassen, aber sie ergaben keinen Sinn. Es fühlte sich an, als könne ich nicht lesen", erinnert sie sich.
In den folgenden Tagen hatte Sarah Allely anhaltend Kopfschmerzen und ein benebeltes Gefühl, der Alltag zu Hause wurde zur Herausforderung. Sie wurde krankgeschrieben. Ihr Terminkalender, sonst gefüllt mit Arbeit, Familie und sozialen Aktivitäten, füllte sich plötzlich mit Arztterminen. Das Einzige, was ihr wirklich half, war unter einem Baum im Garten zu sitzen, erzählt sie.
"Ich glaube nicht, dass irgendjemand verstanden hat, wie schwer ich verletzt war – ich selbst nicht, aber auch die Ärzte nicht", sagt Allely. Sie bekam verschiedene Medikamente, sogar Botox-Injektionen gegen die Schmerzen. Als nichts half, folgten schließlich ein Gehirnscan und kognitive Tests.
"Die Spezialistin für Hirnverletzungen konnte anhand meiner Reaktionen eine leichte traumatische Hirnverletzung diagnostizieren." Eine Diagnose, die ihr Erleichterung brachte. Man sagte ihr, sie werde sich vollständig erholen. Allerdings: Einen Therapieansatz gab es nicht. Sie solle die Lage akzeptieren und nicht dagegen ankämpfen, das war der einzige Rat.
Eine unerwartete Therapie durch die Natur
Doch auch Monate nach dem Unfall konnte Sarah Allely nicht arbeiten, die Kopfschmerzen blieben. Bis sie eines Tages mit ihren Kindern zu einem Spaziergang in die Natur eingeladen wurde.
"Das war der erste Tag seit dem Unfall, an dem ich keine Kopfschmerzen hatte – und es war unglaublich", sagt sie. "Es war etwas an der Natur, das mir wirklich gutgetan hat. Ich wusste nicht genau, was, aber ich spürte, dass sich etwas verändert hatte."
Also begann sie, regelmäßig langsame Spaziergänge durch die Nachbarschaft zu machen – durch Gärten, am Fluss entlang. Auch das zeigte Wirkung: "Es war, als würde ein Nebel verschwinden – und auch der Druck im Kopf. Danach war ich deutlich entspannter."
Gibt es wissenschaftliche Belege für die Heilkraft der Natur?
Die positiven Auswirkungen von Natur auf die psychische Gesundheit sind mittlerweile gut belegt. Eine Metastudie zum "Waldbaden" – eine in Japan entwickelte Praxis des bewussten Aufenthalts im Wald – zeigt, dass sich Symptome von Depressionen und Angst deutlich verbessern.
Frühe Studien deuten auch darauf hin, dass Natur auch Menschen mit körperlichen Schmerzen oder Verletzungen helfen kann – wie im Fall von Sarah Allely. Eine europäische Studie zeigte kürzlich, dass selbst kurze Naturerfahrungen die Schmerzempfindung senken können.
In einer weiteren Studie aus Dänemark berichteten 17 Patientinnen und Patienten mit Hirnverletzungen, in deren Nachsorge-Behandlung Aufenthalte in der Natur integriert wurden, von einem gesteigerten Aktivitätsempfinden sowie einem Zuwachs des Gefühls von Selbstwirksamkeit, Autonomie, aber auch von Gemeinschaft und Kooperation – sowie Freude und innerem Frieden.
Wie unser Gehirn auf Natur reagiert
Holli-Anne Passmore, Psychologieprofessorin an der Concordia University im kanadischen Edmonton, erforscht die Beziehung zwischen Natur und Wohlbefinden. Sie sagt: Die Natur helfe dem Gehirn, sich von der hektischen Welt zu erholen.
Aus evolutionärer Sicht gebe es zwei Arten der Aufmerksamkeit: eine "harte" und eine "weiche", erklärt Passmore. "Ein blinkendes Neonschild schreit uns quasi an, während Dinge in der Natur unsere Aufmerksamkeit sanft auf sich ziehen, ohne aufdringlich zu sein," sagt sie.
Die sogenannte Neurobildgebung, eine Technik, mit der man Struktur und Funktion des Gehirns sichtbar macht, zeigt, dass "weiche" Aufmerksamkeit weniger mentale Ressourcen beansprucht – das Gehirn kann sich erholen. Und das, so Passmore, habe weitreichende Auswirkungen.
"Körper und Geist sind eng miteinander verbunden. Wenn das Gehirn eine Pause bekommt, wirkt sich das positiv auf die Genesung aus." Außerdem seien auch Emotionen ein wichtiger Faktor: "Unsere Gefühle beeinflussen unser körperliches Wohlbefinden enorm. Wer emotional stabiler ist, heilt besser, egal, welche Verletzung vorliegt."
Wie viel Natur brauchen wir für unsere Gesundheit?
Sarah Allelys Geschichte bestätigt das. Nach ihrer Genesung, beginnt sie, in einem Podcast über ihre Erfahrungen zu berichten, um anderen Betroffenen Mut zu machen – und erhält seitdem immer wieder Nachrichten von Menschen, die ähnliches berichten.
Auch heute verbringt Allely regelmäßig Zeit in der Natur – oft am selben Ort, um Veränderungen im Licht, bei Pflanzen oder Tieren zu beobachten. Das hebe ihre Stimmung und stärke ihr Wohlbefinden, sagt sie.
Laut Psychologieprofessorin Passmore kommt es nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität der Naturerfahrungen an. Das Ergebnis ihrer großangelegten Studien: "Wer bewusst auf Natur achtet und beobachtet, wie sich das für die eigene Person anfühlt, erlebt große Verbesserungen in verschiedenen Bereichen des Wohlbefindens – bei den eigenen Emotionen, wie auch in Bezug auf Verbundenheit mit anderen, dazu Dankbarkeit, Ehrfurcht, und ein tiefes Berührtsein."
Für Sarah Allely war die Verbindung mit der Natur nicht nur Heilung, sondern auch ein Anstoß zu mehr Verantwortung: "Ein Grund, warum ich meine Geschichte teile, ist die Hoffnung, dass Menschen sich mehr um die Natur kümmern."
Redaktion: Jennifer Collins. Adaption aus dem Englischen: Anne-Sophie Brändlin
Dieser Artikel wurde aus einer Folge des DW-Podcasts "Living Planet" adaptiert. Die Audioversion finden Sie hier.