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Politik

"Walesas Unterschrift ist echt"

Gerhard Gnauck
31. Januar 2017

Die Kritiker des Arbeiterführers in Polen jubeln: Mit Hilfe von Schriftproben sei es gelungen zu beweisen, dass der spätere Friedensnobelpreisträger und Präsident zeitweise Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen sei.

Lech Walesa
Bild: M. Biedrzycki /Lech-Walesa-Institut

Der Walesa-Thriller in Polen nimmt kein Ende: Der Streit, ob der oppositionelle Arbeiterführer der 1980er Jahre in der Zeit davor Mitarbeiter der kommunistischen Geheimpolizei SB, gewesen ist, hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Am Dienstag wurde in Warschau ein Gutachten präsentiert, das genau das beweisen soll. Seine Aussage: Die Unterschriften Lech Walesas unter belastenden SB-Dokumenten stammen von seiner Hand. 

Belastendes Gutachten

Die Untersuchung der Unterschriften wurde in die Wege geleitet, nachdem der berüchtigte Innenminister des Kommunistischen Regimes in Polen, General Czeslaw Kiszczak, Ende 2015 gestorben war. In seinem Haus fanden sich wichtige Dokumente, die der Herrscher über Polizisten und Agenten aus seiner Behörde einfach "mitgenommen" hatte. Wegen des Verdachts, dass SB-Mitarbeiter selbst Dokumente gefälscht  haben könnten, um Walesa, die Führungsfigur der Opposition, zu belasten, eröffnete Polens SB-Akten-Behörde ein Verfahren.

Das in diesem Rahmen erstellte Gutachten über die Unterschriften kommt allerdings zu einer anderen Aussage: belastend für Walesa. Damit bestätigt sich ein weiteres Mal die bittere Logik der Öffnung von Akten der Geheimpolizei nach einem Regimewechsel: Nicht die Täter von damals, sondern ihre Opfer müssen die Aktenöffnung am meisten fürchten, weil sie ständig überwacht wurden und jeder Fehltritt registriert wurde. 

Wałęsa als Streikführer in Danzig im Jahr 1980 Bild: picture-alliance/dpa/Lehtikuva Oy

Graphologen bestätigen Handschrift

Nach Angaben der staatlichen polnischen Nachrichtenagentur PAP haben die Graphologen 52 belastende Dokumente aus den SB-Materialien untersucht, in denen Walesas Handschrift vorkommt. Zum Vergleich wurden 142 andere Schriftsätze Walesas herangezogen. Die untersuchten Dokumente sollen demnach aus den Jahren 1971 bis 1974 stammen; es soll sich um Berichte handeln, die Walesa für den SB geschrieben hat, sowie um 17 Quittungen für Summen, die Walesa dafür bekommen haben soll (insgesamt 11.700 Zloty, was damals mehreren Monatsgehältern entsprach).

Der historische Kontext war dramatisch: Nachdem kurz vor Weihnachten 1970 die Regierung Erhöhungen der Lebensmittelpreise von bis zu 30 Prozent verkündet hatte, kam es in Danzig und anderen Städten zu Demonstrationen und Straßenschlachten. Beim Einsatz von Polizei und Armee wurden 45 Demonstranten, vor allem Arbeiter, erschossen. Tausende wurden verhaftet, darunter Walesa, schon damals einer der Anführer der Arbeiter. Etwa 130 der Verhafteten wurden dazu gedrängt, sich zu einer Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei zu verpflichten. Auch Walesa sah offenbar keinen anderen Ausweg für sich und seine Familie, als zu unterschreiben. Danach hat er - sollten die Dokumente tatsächlich echt sein - dem SB auch mehrfach über Kollegen und die Stimmung am Arbeitsplatz berichtet.

Held mit Schrammen

Darüber wird allerdings schon seit langem diskutiert, der Inhalt dieser Dokumente ist bekannt. Walesa selbst hat eingeräumt, dass er "nicht ganz sauber" aus der Haft herausgekommen sei und etwas "unterschrieben" habe. Was die jetzt untersuchten Dokumente betrifft, hat er allerdings seine Autorenschaft bestritten. Walesas Anwalt Jan Widacki sagte am Dienstag zu dem Gutachten: "Der Fall ist nicht abgeschlossen." Die offenen Fragen seien "weder im Lichte der Regeln des Strafprozesses noch der Kriminalistik" beantwortet. Er kündigte weitere rechtliche Schritte an.

So wird der Streit vermutlich weitergehen. Walesa-Biograf Jan Skorzynski weist auf das hin, was zu seinen Gunsten spricht: "Alle seine Kontakte zum SB waren Jahre vor seinem Beitritt zur Oppositionsbewegung (Ende der 1970er) beendet. Wenn er also nach Dezember 1970 in eine Zusammenarbeit mit der Polizei verstrickt war, so hat er sich von dieser Abhängigkeit losreißen können." Von 1976 bis zum Ende der Diktatur habe er klar als "Feind" gegolten.

Auch der Historiker und frühere Europa-Abgeordnete Pawel Kowal warnt vor einem Schwarz-Weiß-Denken im Fall Walesa: "Das ist eine für die Geschichte Polens und der Polen individuell so bedeutende Gestalt, dass jeder sich zu Walesa selbst seine Meinung bildet. Und die Mehrheit der Polen hat sich ihre Meinung bereits gebildet." In diesem Fall werde es wohl so sein wie in manchen anderen in der polnischen Geschichte: "Wir haben das Bild eines 'Helden mit Schrammen'. Die Menschen werden geteilter Meinung sein, ob Walesas spätere Verdienste seine Schuld reingewaschen haben oder nicht."

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