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Retter der Juden

Michael Marek5. August 2012

Es gibt Bücher über ihn, Filme und Dokumentationen. Schulen in aller Welt haben sich nach ihm benannt. Raoul Wallenberg rettete 1944 Tausenden ungarischer Juden das Leben. Dafür wurde er postum weltweit mehrfach geehrt

Undatiertes Schwarz-Weiß-Foto von Raoul Walenberg (Foto: AP)
Raoul WallenbergBild: AP

Budapest 1944: Während die Alliierten in der Normandie gelandet sind und die Rote Armee sowjetische Gebiete zurückerobert hat, ist Ungarn von der deutschen Wehrmacht besetzt. Mit Beharrlichkeit und Brutalität treibt SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann die Deportation der ungarischen Juden voran. 437.000 Kinder, Frauen und Männer sind bereits ermordet worden, als Raoul Wallenberg in der ungarischen Hauptstadt eintrifft.

Raoul Wallenbergs DiplomatenpassBild: AP

Kein Politprofi

Raoul Wallenberg wird am 4. August 1912 geboren. Der Sohn einer berühmten schwedischen Unternehmer- und Diplomatenfamilie soll Bankier werden, doch dazu besitzt er weder Lust noch Begabung. Raoul studiert stattdessen Architektur in den USA, bricht das Studium ab und steigt während des Zweiten Weltkriegs in Schweden in den Delikatessenhandel ein - mit Erfolg, dank seines erfahrenen ungarischen Kompagnons Kálmán Lauer. Der aber sucht vor allem Beistand für seine in der Heimat verbliebenen jüdischen Verwandten. Von der schwedischen Regierung erhält Wallenberg einen Geheimauftrag: Ausgestattet mit 150.000 Dollar des US-amerikanischen Kriegsflüchtlingskomitees soll der 32-Jährige die letzten verbliebenen Juden retten. "Raoul Wallenberg war kein Politprofi", resümiert der Hamburger Journalist und Historiker Ulrich Völklein, sondern "ein junger Mann, der sich entschlossen hatte, sich für die Menschlichkeit einzusetzen".

Schwedischer Schindler

Im Rang eines Attachés der schwedischen Gesandtschaft verfügt Wallenberg über diplomatische Immunität. Und er weiß sie zu nutzen: Er kauft Gebäude, in denen die Geretteten unter schwedischer Flagge Unterschlupf finden. Er besticht Beamte, lockt mit Millionenkrediten - und droht mit politischen Konsequenzen, wenn man ihm nicht helfen will. Dann entwickelt der junge Schwede das System der sogenannten Schutzpässe und Schutzbriefe, mit deren Hilfe ungarische Juden zu schutzwürdigen Angehörigen neutraler Staaten erklärt werden. Das rettet einige Tausend Juden vor dem unmittelbaren Zugriff der SS und der Gestapo. "Raoul Wallenberg hat auf allen Ebenen gearbeitet", so Historiker Völklein."Er hat mit SS-Kommandanten Verbindung aufgenommen, er hat mit Eichmann verhandelt. Er hat mit den deutschen politischen Vertretern in Budapest gesprochen. Er hat Druck auf sie ausgeübt."

Über einen eigenen Informationsdienst versucht Wallenberg an die Termine von Transporten in die Vernichtungslager heranzukommen. Er stoppt persönlich Eisenbahnzüge nach Auschwitz, rettet Juden aus den Todesmärschen, behindert Erschießungskommandos der sogenannten Pfeilkreuzler, wie sich die ungarischen Nationalsozialisten nennen. Wallenberg ist mehr als ein ungewöhnlicher Diplomat, er ist ein Mann von außerordentlichem Mut. Das beeindruckt gelegentlich sogar SS-Leute.

Rettendes Dokument: ein von Wallenberg ausgestellter SchutzpassBild: DW/C. Rabitz

Tod in Moskau

Als die sowjetischen Truppen Budapest schließlich einnehmen, finden sie fast 100.000 Juden am Leben. Am 16. Januar 1945 erfährt die schwedische Regierung, dass man Wallenberg unter sowjetischen Schutz gestellt habe. "Ich weiß nicht, ob ich ihr Gefangener oder ihr Gast bin", soll Wallenberg noch gescherzt haben, als er das letzte Mal lebend im Westen gesehen wird. Dann verliert sich seine Spur. Moskau verbreitet zunächst, Wallenberg sei von ungarischen Faschisten ermordet worden. Tatsächlich aber hat man ihn verhaftet und in die sowjetische Hauptstadt gebracht. Der Vorwurf: Wallenberg habe für die USA spioniert und mit führenden Nationalsozialisten zusammengearbeitet. "Das ergibt sich aus Gesprächen mit ehemaligen Vernehmungsoffizieren des NKWD, die versucht haben, Wallenberg zumindest als Informanten anzuwerben", erklärt Ulrich Völklein, der Zeitzeugen aufgesucht und in russischen Archiven über Wallenbergs Schicksal geforscht hat.

Historikerstreit

Andere Historiker vertreten demgegenüber die These: Nicht Wallenbergs vermeintliche Spionage-Tätigkeit sei ihm zum Verhängnis geworden, sondern die familiäre Beziehung zu einem der größten Konzerne Schwedens, der während des Krieges mit beiden Seiten Geschäfte betrieb. Diesen Mutmaßungen zufolge sollte Wallenberg als eine Art Unterpfand der Sowjets für Verhandlungen mit Schweden und dem Wallenberg-Konzern dienen. Zudem habe es die schwedische Regierung versäumt, sich rechtzeitig für den verschollenen Wallenberg einzusetzen. Ob aus Willfährigkeit gegenüber der Sowjetunion oder aus Sorge um den neutralen Status während des Kalten Krieges ist bis heute nicht geklärt.

Erinnerung an den Judenretter: das Wallenberg-Denkmal in Budapest.Bild: picture-alliance/akg

Am 7. Februar 1957 teilen die Sowjets der schwedischen Regierung offiziell mit, Wallenberg sei 1947 an Herzversagen gestorben - im Hospital der Lubjanka, des Gefängnisses des berüchtigten sowjetischen Geheimdienstes NKWD. Beweise bleibt die Sowjetunion schuldig. 1989 übergibt die russische Regierung den Angehörigen Wallenbergs letzte persönliche Gegenstände, darunter seinen Pass, Kalender und ein Zigarettenetui. 2001 erklärt Alexander Jakowlew, Leiter der Rehabilitierungskommission des russischen Präsidenten, Wallenberg sei erschossen worden.

Fest steht indes nur, dass der Schwede nicht eines natürlichen Todes starb, sondern ermordet wurde. Noch immer sind nicht alle Dokumente, die in russischen Archiven lagern, der Öffentlichkeit zugänglich. Nur sie könnten Aufschluss darüber geben, wie lange Wallenberg wirklich gelebt hat und wer ihn ermordet hat.

Wallenbergs Erbe

Heute gibt es zahlreiche Bücher über ihn, Filme, Dokumentationen, Popsongs und sogar eine Oper. Für seine Rettungstätigkeit wurde Wallenberg von König Gustav Adolf mit der höchsten schwedischen Auszeichnung und in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. 1995 erhielt Wallenberg postum den Europäischen Menschenrechtspreis. An der Großen Synagoge in Budapest findet sich eine Gedenktafel zu Ehren des mutigen schwedischen Diplomaten - den manche auch den Engel von Budapest genannt haben.

Eine Aktentasche, die zum Denkmal wurdeBild: cc-by-sa/Holger.Ellgaard

Buchtipp:
Lew Besymenski, Ulrich Völklein: "Die Wahrheit über Raoul Wallenberg", Steidl Verlag, Göttingen 2000, 220 Seiten