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Lage der Christen in der Türkei

Stefan Dege19. Mai 2014

Weniger als ein Prozent der Türken sind Christen. Sie werden diskriminiert. Vor allem die griechisch-orthodoxen haben Probleme in dem muslimischen Staat - sagt der Religionsexperte Walter Flick im DW-Interview.

Walter Flick, Referenz für Religionsfreiheit bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte
Bild: IGFM

Herr Flick, werden die Christen in der Türkei unterdrückt?

Walter Flick: Die Türkei hat knapp 80 Millionen Einwohner. Es gibt nur knapp 120.000 Christen, also deutlich unter ein Prozent der Bevölkerung. Die Christen sind sicher Staatsbürger zweiter Klasse. Und es gibt so etwas wie eine islamisch-türkische Symbiose. Ein richtiger Staatsbürger ist Moslem. Alle, die nicht Moslems sind, sind schon verdächtig. Christen sind nicht gleichberechtigt. Man kann nicht von einer Verfolgung von Christen in der Türkei sprechen, aber sie haben nicht die vollen Rechte, vor allem nicht in Sachen Religionsfreiheit.

Die Lage der griechisch-orthodoxen Christen ist dann noch einmal besonders schwierig?

Ja, es gibt Schwierigkeiten. Nach dem Lausanner Vertrag von 1923 - nach dem Ersten Weltkrieg und dem griechisch-türkischen Krieg - haben die griechisch-orthoxen Christen einen Sonderstatus, dass sie auch Schulen und eigene Einrichtungen haben können. Der Staat lässt ihnen aber nicht die vollen Rechte. Es gibt zwar Schulen und Zeitungen der griechisch-orthodoxen Christen in Istanbul. Es gibt das Patriarchat. Aber das Seminar der griechisch-orthodoxen Christen zur Theologenausbildung ist 1971 geschlossen worden und kann seit dieser Zeit - trotz aller Versprechungen - nicht geöffnet werden.

Wie kann der Patriarch seiner Rolle gerecht werden, wenn schon sein Titel der türkischen Regierung nicht gefällt?

Er ist der Ökumenische Patriarch. Er vertritt 300 Millionen orthodoxe Christen. Aber er darf diesen Titel nicht führen, wie es sein soll - einen historischen Titel, den es seit dem 6. Jahrhundert gibt. Also wird er im Inland nicht als Ökumenischer Patriarch bezeichnet. Im Ausland wird es zwar geduldet, dass er sich so nennt. Aber in der Türkei darf er seinen Titel nicht führen, wie es ihm zukommt etwa aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Staat hat angefangen, Eigentum der griechisch-orthodoxen Christen zu konfiszieren. Über Jahrzehnte sind viele Immobilien verloren gegangen, z.B. Geschäftshäuser, Waisenhäuser und andere Einrichtungen. Das trifft natürlich den Nerv dieser Kirche. Die immer weniger werdenden griechisch-orthodoxen Christen in der Türkei, vielleicht noch 5000, sind auf die Einnahmen von Immobilien angewiesen. Wenn Gemeindeglieder Eigentum vererben, kann die Kirche das nicht ohne weiteres bekommen. Ministerpräsident Erdogan hat 2011 die Rückgabe von enteigneten Immobilien versprochen. Teilweise ist das auch geschehen. Aber die vollständige Rückgabe steht noch aus.

Batholomaios gilt ja als ein Mann des verbindlichen Wortes und der ausgestreckten Hand. Hat er eine Chance, die Probleme seiner Glaubensgemeinschaft in der Türkei zu regeln?

Ich hoffe. Diese Öffnung des Seminars ist ja schon seit Jahrzehnten versprochen worden. Dann gab es Meldungen über Reformgesetze, dass beispielsweise das Privatschulrecht geändert würde. Aber es gibt kein Datum. Man sollte vielleicht im nächsten Jahr zum Jahrestag des Pogroms gegen die Griechen in der Türkei - im September 1955 war das - alles zurück geben.

Im Jahr 2016 könnte das panorthodoxe Konzil in Istanbul stattfinden. Ein historisches Ereignis. Welche Geste erwarten Sie dazu von der türkischen Regierung?

Natürlich die Öffnung des Seminars von Chalki. Dann auch die vollständige Rückgabe des Eigentums an die griechisch-orthodoxe Kirche. Wichtig wäre es auch, daß die Kirchen in der Türkei Rechtspersönlichkeit bekommen - das fordert der Patriarch auch immer. Damit könnten sie Eigentum erwerben, Grundbucheinträge würden möglich. Das schafft Sicherheit und sollte auf jeden Fall passieren.

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Walter Flick ist Religionsexperte bei der "Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte - Deutsche Sektion" (IGFM) in Frankfurt. Die Nichtregierungsorganisation wurde 1972 gegründet und zählt rund 3.000 Mitglieder.