Walter Jens gestorben
10. Juni 2013Walter Jens gehörte zu den bekanntesten und streitbarsten Intellektuellen der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Tübinger Professor verfasste unter Pseudonym Fernsehkritiken, war zeitweise Präsident der Berliner Akademie der Künste und des PEN-Zentrums und engagierte sich in den 80er Jahren in der Friedensbewegung.
Der Spross aus gutbürgerlichem protestantischem Hause studierte in Hamburg und Freiburg, wurde bereits 1944 promoviert und habilitierte sich 1949 in Tübingen, das zum Mittelpunkt seines Lebens und Wirkens wurde.
Der Altphilologe verknüpfte antike Göttermythen und biblische Gestalten mit modernen Fragestellungen und wurde so zum Musterbeispiel eines poeta doctus, eines "gelehrten Dichters", den er selbst in seiner Darstellung über die "Deutsche Literatur der Gegenwart" (1961) als "Phänomen der Nachkriegsliteratur" charakterisiert hat.
Intellektuelle müssten sich einmischen und warnen, lautete sein Motto. Er demonstrierte gegen die Nachrüstung in der Bundesrepublik ebenso wie gegen den Irak-Krieg und meldete sich auch zur Rechtschreibreform und zur deutschen Einheit zu Wort.
"Juden und Christen in Deutschland" sowie "Feldzüge eines Republikaners" sind zwei seiner Werke und könnten stellvertretend für sein Leben stehen, das er in den Dienst der Aufklärung stellte. Ein Schatten fiel auf seine Vita, als 2003 seine NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde, an die er sich nach eigener Aussage nicht mehr erinnern konnte.
Gegen Ende seines Lebens litt Jens zunehmend an Altersdemenz und wurde in Tübingen von seiner Frau Inge betreut. Gemeinsam mit ihr, der Herausgeberin der Thomas- Mann-Tagebücher, verfasste er die Biografie "Frau Thomas Mann - Das Leben der Katharina Pringsheim", die 2004 zu einem Bestseller wurde.
uh/wl (dpa,kna)