Walther: "Der Mensch wird gläsern"
17. Juli 2013Deutsche Welle: Viele Bundesbürger spekulieren derzeit, wie viel die Bundesregierung von den Abhör-Aktionen der amerikanischen Geheimdienste wusste. Um Informationen über die Internetüberwachung der Bundesbürger zu erhalten, ist Bundesinnenminister Friedrich nach Washington gereist. Die Befürchtungen der Kritiker, er komme mit leeren Händen wieder, scheinen bestätigt.
Wie bewerten sie das Auftreten Friedrichs in Washington?
Florian Walther: Herr Friedrich ist jemand, der versucht, die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland durchzusetzen. Eigentlich wäre er gerne auf einem ähnlichen Niveau, auf dem die Amerikaner bereits seit längerem sind.
Was sorgt Sie am meisten an der langfristigen Speicherung von Kommunikationsdaten?
Die Vorratsdatenspeicherung darf man als demokratischer Rechtsstaat nicht einführen, weil das Missbrauchspotenzial viel zu groß ist. Wir wissen nicht, wie in zehn Jahren die politischen Verhältnisse aussehen.
Wie sähe ein solcher Missbrauch dieser Daten aus?
Die Vorratsdaten, diese sogenannten Metadaten, die die NSA und auch andere Dienste sammeln, sind Verkehrsdaten. Wer hat wann mit wem wie, wie lange und worüber kommuniziert? Das Problem heutzutage ist die mobile Kommunikation. Mit den Metadaten wird zugleich erfasst, wo jemand sich geographisch aktuell aufhält oder aufgehalten hat. So entstehen komplette Bewegungs- und Kommunikationsprofile von Menschen. Die Metadaten sind seit langem für die Geheimdienste viel interessanter als der eigentliche Inhalt der Kommunikation. Man kann aus der Standortsbestimmung auf Umstände der Kommunikation schließen. Man kann über längere Zeiträume Kommandostrukturen innerhalb von Organisationen herausfinden. Das gewährt ganz tiefe Einblicke in das, was jemand denkt, jemand fühlt, wie jemand handelt. Sie ermöglichen so den absolut gläsernen Menschen.
Die Terrorabwehr wird immer als Argument geliefert, um das Abhorchen und das Sammeln von Daten durch die NSA zu rechtfertigen. Worin sehen Sie die größte Gefahr?
Das Vorgehen der Amerikaner rüttelt an den Grundfesten unseres Rechtsstaates. Die Unschuldsvermutung wird abgeschafft. Algorithmen kennen keine Unschuld. Wir werden durch Algorithmen analysiert. Zivile Bürger können durch Zufall ins Visier der Geheimdienste und Polizeibehörden geraten. Ein Algorithmus könnte aus unschuldigen Bürgern Verdächtige machen. Der Algorithmus konstruiert einen Verdacht, weil er nach Merkmalen sucht und einige von diesen Merkmalen bei jemandem zufällig passen, obwohl er damit vielleicht nichts zu tun hat. Das ist eine Gefahr, über die überhaupt nicht diskutiert wird. Es geht um reine Terrorabwehr? Das ist nicht mehr glaubwürdig. EU-Vertretungen in Washington sind bestimmt nicht des Terrorismus verdächtig. Botschaften von Griechenland und anderen Staaten, die auch abgehört wurden, ebenso nicht. Diese Die Welt wird kein sicherer Ort, wenn wir keinen Rechtsstaat haben, sondern sie wird ein Ort der Willkür.
Wie schwer ist es denn, sich in ein System einzuhacken?
Unsere Computersysteme werden immer komplexer. Doch Komplexität ist der größte Feind von Sicherheit. Je komplexer ein System ist, desto leichter wird es tendenziell in dieses einzubrechen. Die Einfachheit ist das, was am besten vor Angriffen schützt. So ist es am ehesten möglich, das System zu kontrollieren. Die NASA zum Beispiel, auch alle anderen Raumfahrtbehörden, bauen keine großen komplexen Systeme, um ihre Raketen zu steuern. Die bauen Systeme, die den Speicher von Taschenrechnern haben. Die arbeiten mit Chips, die vor 20 Jahren in unseren Computern steckten und kaum Ressourcen haben. So ist es leicht, die ganzen Fehler in diesen Systemen überhaupt zu finden. Je komplexer ein System wird, desto mehr potenzielle Fehlerquellen hat dieses System.
Wie können sich zivile Bürger vor der Sammelwut der Amerikaner schützen?
Dagegen, dass zum Beispiel die Metadaten gesammelt und analysiert werden, kann ich als Bundesbürger nichts tun - außer vielleicht nicht zu telefonieren. Man kann sich dagegen technisch nicht schützen. Das ist eine politische Frage, die auch politisch geklärt werden muss.
Helfen denn europäische oder sogar internationale Datenschutzrichtlinien, um das Ausspähen ausländischer Geheimdienste einzudämmen?
Die geplanten Datenschutzrichtlinien in der EU enthalten gute Schutzmechanismen für Bürgerinnen und Bürger. Unsere Bundesregierung bremste in der Vergangenheit die Einführung solcher Richtlinien. Und jetzt öffentlich zu fordern, dass man ein Datenschutzabkommen braucht, ist zum einen Ablenken von der eigenen Verantwortung. Auf der anderen Seite ist das so ein bisschen die Strategie, das auf die lange Bank zu schieben. Frau Merkel weiß ganz genau, dass ein europäisches oder sogar internationales Datenschutzabkommen Jahre oder auch Jahrzehnte braucht, bis es verabschiedet und ratifiziert werden kann. Bis dahin soll alles weitergehen wie bisher? Das kann keine effektive Lösung sein. Es ist vielleicht wirklich so, dass wir ein internationales Datenschutzabkommen brauchen, aber das jetzt als die Lösung für dieses Problem darzustellen, ist daneben gegriffen.
Florian Walther ist selbstständiger Sicherheitsberater. Er ist als Sachverständiger in Fragen der IT-Sicherheit für das Europäische Parlament tätig. Auch die Innenkommissarin der EU-Kommission, Cecilia Malmström, und Abgeordnete des EU-Parlaments berät er in Fragen der IT-Sicherheit.