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PolitikPolen

Wanda Traczyk-Stawska: "Krieg bringt immer Hass"

31. Juli 2024

Wanda Traczyk-Stawska, heute 97 Jahre alt, kämpfte als 17-Jährige im Warschauer Aufstand gegen die Deutschen. Seit Jahren setzt sie sich für die deutsch-polnische Freundschaft ein und sieht jetzt Russland als Aggressor.

Bild einer älteren Frau (Wanda Traczyk-Stawska)
Wanda Traczyk-Stawska kämpfte als 17-Jährige gegen die deutschen Besatzer in PolenBild: Monika Sieradzka /DW

DW: Frau Traczyk-Stawska, Sie haben sich der polnischen Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer bereits vor dem Ausbruch des Warschauer Aufstands angeschlossen. Was war ausschlaggebend für diese Entscheidung?

Traczyk-Stawska: Ich wollte Rache nehmen. Ich weiß, es ist kein schönes Gefühl, aber ich konnte mich damit nicht abfinden, dass meine Landsleute bei öffentlichen Hinrichtungen erschossen wurden, und wir gezwungen waren, dem zuzuschauen. Ich wollte zeigen, dass wir nicht wehrlos sind, und dass die Besatzer kein Recht haben, uns als Untermenschen zu behandeln.

Waren Sie selbst als Kind Augenzeugin der Gräueltaten?

Ja, und das bereits in den ersten Tagen des Krieges. Während der Schlacht um Warschau (im September 1939) traf eine Bombe ein Haus in der Nachbarschaft. Aus der brennenden Ruine rannte eine Frau mit einem Säugling auf dem Arm auf uns zu. Die Deutschen, die im Garten ihre Stellung hatten, schossen absichtlich nicht auf die Frau, sondern auf ihr Kleinkind. Ihr Arm wurde von der Kugel zertrümmert, das Kind war sofort tot. Dieses Erlebnis bewirkte, dass ich entschlossen war, weiter zu kämpfen.  

Welche Möglichkeiten hatte ein Teenager wie Sie, am Untergrundkampf aktiv teilzunehmen?

Ich war bereits vor dem Kriegsausbruch beim Pfadfinderverband, der nach 1939 als "Graue Reihen" (Szare Szeregi) sehr schnell den Untergrundkampf aufgenommen hat. Wir hatten keine Waffen, aber wir haben antideutsche Parolen an den Hauswänden gemalt. Und ich brachte den Polen, die mit den Deutschen kollaborierten und Juden verrieten, Briefe, in denen vor Folgen bis zum Todesurteil gewarnt wurde.

Soldaten der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa) kämpfen im August 1944 in Warschau gegen die deutschen BesatzerBild: AFP/Getty Images

Am 1. August 1944 meldeten Sie sich - Tarnname "Pfannkuchen" - mit der weiß-roten Armbinde bei Ihrer Einheit.

Ja, ich habe zuhause zwei jüngere Schwestern allein gelassen - unsere Mutter lebte nicht mehr und Vater sowie mein Bruder waren auch beim Aufstand - und ihnen versprochen, in drei Tagen zurückzukehren. Denn wir wollten die Deutschen in drei Tagen besiegen. Daraus wurden 63 Tage.

Wie war die Stimmung in Warschau? Hatten Sie die Einwohner auf Ihrer Seite?

Mein Gott, das war wie ein nationales Fest. In allen Hauseingängen flatterten die weiß-roten Fahnen. Die Menschen standen in den Straßen und weinten. Ich denke, die wahren Helden waren nicht die bewaffneten Aufständischen, sondern die Zivilbevölkerung. Die Menschen harrten mit uns aus, verlangten von uns nicht, dass wir aufgeben, obwohl sie mehr litten als wir Kämpfer.

Als wir nach der Kapitulation am 2. Oktober 1944 in die deutsche Gefangenschaft gingen, hatte ich Angst, dass die Zivilisten auf uns schimpfen und spucken werden, weil Warschau zerstört und viele Menschen tot waren. Nichts davon - die Leute standen nur und weinten.

Sie hassten die Deutschen so sehr, dass sie den Sanitäterinnen übel nahmen, dass sie sich auch um deutsche Verwundete kümmern und knappes Verbandsmaterial "verschwenden".

Ich sah das pragmatisch. In der Tat fehlte uns in der späteren Phase der Kämpfe Verbandsmaterial. Die Sanitäterinnen waren übrigens wahre Heldinnen - ohne sie wären die Verluste noch grösser gewesen.

Wanda Traczyk-Stawska, hier in einer Aufnahme von 2022, signiert ihre ErinnerungenBild: M. Gwozdz-Pallokat/DW

Was fühlt ein junges Mädchen wie Sie, wenn es schießen und töten muss? Wie nimmt man den Gegner wahr? Sieht man in ihm einen Menschen oder nur ein Objekt, das man vernichten muss?

Ich musste nicht mit meiner Maschinenpistole schießen, sondern hatte die Aufgabe, die angreifenden Soldaten aus dem Fenster mit Granaten zu bewerfen. Die Granaten zerfetzten sie. Als die Deutschen die weiße Fahne hissten und baten, das Feuer zu unterbrechen, damit sie die Toten und Verwundeten abtransportieren konnten, sah ich, was meine Granaten angerichtet haben. Ich habe liegende Soldaten in deutschen Uniformen gesehen, die litten, vor Schmerz heulten. Ich habe zum ersten Mal verstanden, dass das auch Menschen sind. Wenn man schießt, geschieht das aus gewisser Entfernung, da sieht man nur den Feind. Aber leidenden Menschen aus der Nähe zu sehen, ist etwas anderes. Aus Hass entsteht Mitleid.

Gab es in diesen 63 Tagen ein Ereignis, das sich Ihnen besonders eingeprägt hat, das bis heute als Albtraum zurückkommt?

Es gab viele Grenzsituationen, in denen mein Leben auf Messerschneide stand. Als wir eine Stellung vor Reinefarths Truppen verteidigten, bat mein Kamerad, dessen Maschinenpistole versagte, ihm meine auszuleihen. Er schickte mich mit dem Auftrag weg, herauszufinden, wie die Situation im Nachbargebäude ist. Ich ging unbewaffnet und prallte plötzlich auf der Treppe auf einen Deutschen. Er warf eine Granate und ich war aus Angst wie lahmgelegt. Erst als die Granate meinen Schuh berührte, gewann ich die Kontrolle über meinen Körper und lief davon. Seitdem plagen mich oft in der Nacht die Träume, dass die Deutschen angreifen und meine Pistole klemmt.

Soldaten der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), die sich nach der Kapitulation im Oktober 1944 ergeben haben und in deutsche Gefangenschaft abgeführt werdenBild: Hulton Archive/Keystone/Getty Images

Sie haben den Hass auf die Deutschen überwunden und wurden inzwischen zur Ikone der deutsch-polnischen Verständigung in Europa.

Der Krieg bringt immer den Hass gegen den Feind nach dem Motto - entweder du tötest ihn, oder er tötet dich. Das Töten ist aber nicht einfach, besonders, wenn man ein junger, denkender Mensch ist, der weiß, dass der andere vielleicht eine Frau und Kinder hat. Wenn man von Angesicht zu Angesicht mit dem Gegner steht, zittert manchmal die Hand. Ich war in einer solchen Situation - wir schauten uns mit einem etwas älteren Deutschen in die Augen und flohen davon, ohne auf uns zu schießen, obwohl wir beide Waffen hatten.

Ich bin gegen den Krieg. Die Menschen müssen verstehen, dass sie einander brauchen, weil sie zusammen viel Gutes erreichen können. Ich habe ein geschlagenes Deutschland gesehen, die schreckliche Erniedrigung der Deutschen. Damals fühlte ich kein Mitleid. Als ich aber durch Deutschland nach Hause wanderte, habe ich das Schicksal der deutschen Frauen gesehen, besonders dort, wo die Sowjets herrschten. Ich bin eine Frau und dachte, was dort geschah, war gemein.

Wanda Traczyk-Stawska mit einer Schleife in den ukrainischen Farben. Sie sieht heute Russland als AggressorBild: M. Gwozdz-Pallokat/DW

Erwarten Sie noch etwas von den Deutschen, eine Wiedergutmachung?

Ich glaube, wir können von den Deutschen kein Geld dafür verlangen, was ihre Großväter getan haben. Wir sollten imstande sein, mit den Deutschen gut zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten, um Europa vor Russland zu schützen. Russland ist jetzt der Aggressor. Ohne die Vergangenheit zu vergessen, sollten wir in die Zukunft schauen.

Mit Wanda Traczyk-Stawska sprach in Warschau Jacek Lepiarz.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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