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Politik

Meinungsfreiheit in Zeiten des Coronavirus

William Yang
16. Februar 2020

Der tragische Tod des Arztes Li Wenliang habe Chinas Bürgern die Augen geöffnet, meint die Menschenrechtsanwältin Wang Yu. Li hatte früh die Gefahr des neuen Coronavirus erkannt, durfte das aber nicht publik machen.

China Anwältin Wang Yu
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Schiefelbein

DW: Nach dem Tod des Arztes Li Wenliang, der als einer der ersten vor dem neuen Coronavirus warnte und sich selbst ansteckte, gab es in den chinesischen sozialen Netzwerken vielfach Forderungen nach mehr Meinungsfreiheit. Sie, Wang Yu, haben nun zusammen mit anderen Aktivisten einen Aufruf, der im Internet zu finden ist, an den chinesischen Nationalen Volkskongress veröffentlicht, einen "Tag der Meinungsfreiheit" zu beschließen. Was war der Anlass für diesen Schritt?  

Wang Yu: Der plötzliche Tod von Li Wenliang machte vielen Bürgern klar, dass die Regierung Angst vor denjenigen hat, die die Wahrheit sagen. Die Behörden versuchten nicht nur, Informationen über das Ausmaß der Epidemie zu unterdrücken, sondern verschleierten auch die Umstände des Todes von Li Wenliang. Gleichzeitig ließen sie zwei Bürger-Journalisten, die über die Epidemie in Wuhan  berichteten, verschwinden. Weiterhin werden Informationen über die Epidemie in den sozialen Netzwerken zensiert, indem Posts gelöscht oder Accounts gesperrt werden. Das Zensursystem ist der eigentliche Grund für die nicht zu stoppende Epidemie.

Eine normale Gesellschaft sollte offen und transparent sein, und dafür ist Meinungsfreiheit die Voraussetzung. Deshalb hat (der Historiker) Zhang Li-Fan von der Peking-Universität die chinesische Führung zur Einführung des Tages der Meinungsfreiheit aufgefordert. Gleichzeitig hat eine Gruppe von Menschenrechtsanwälten sich an die chinesische Regierung mit der Bitte gewandt, den Bürgern Meinungsfreiheit zu gewähren und nicht weiter Leute einzusperren, weil sie sich kritisch zu Wort melden. Der Tod von Li Wenliang war für viele in China ein Moment des Aufwachens.

In die Trauer im Li Wenliang mischen sich Forderungen nach Transparenz und Meinungsfreiheit Bild: AFP

Könnten Sie das noch etwas näher ausführen?

In Li Wenliangs Schicksal verdichtet sich exemplarisch die Lebenswirklichkeit der meisten Chinesen. Jedem könnte das Gleiche widerfahren. Sein Ableben hat die Menschen nachhaltig bewegt, das ist sehr wichtig. Lis tragisches Ende hat auch die Position der chinesischen Regierung ad absurdum geführt, der zufolge das Recht auf die Sicherung der eigenen Existenz ein Menschenrecht ist und über jedem anderen Recht steht. Denn Lis Schicksal zeigt ja gerade, und macht jedem Bürger und Internetnutzer klar, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung von höchster Relevanz für das Recht auf die Sicherung der eigenen Existenz ist! Viele Bürger haben jetzt verstanden, dass freie Meinungsäußerung ein Recht und von großer Bedeutung für Leben und Unversehrtheit eines jeden ist.

Was kritisieren Sie am Krisenmanagement der Regierung?

Durch die anfängliche Vertuschung des Ausmaßes der Epidemie kamen Ärzte und medizinisches Personal ohne entsprechenden Schutz mit Patienten in Berührung, was die Ansteckungsgefahr für diesen Personenkreis erhöhte. Als die Epidemie außer Kontrolle geriet, ordnete die Regierung landesweit Ausgangssperren und ähnliche Maßnahmen an. Aber kann das Virus auf diese Weise wirklich gestoppt werden? Ich bezweifle das stark. Meiner Meinung nach hat die Strategie der Absperrung von Provinzen, Städten und Wohnsiedlungen nur zu noch katastrophaleren Zuständen geführt. Hinzu kommt, dass die Regierung keine ausländischen Experten zulässt, die bei der Bekämpfung der Epidemie helfen könnten, aus rein politischen Gründen.

Checkpoint in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan, wo die Epidemie ihren Anfang nahmBild: Reuters/China Daily

Kurz vor Neujahr gab es erneut eine konzertierte Welle von Festnahmen kritischer Bürger und Anwälte in China. Die meisten Festgenommenen wurden nach Verhören wieder freigelassen, aber es "verschwanden" auch mindestens zwei Personen von der Bildfläche. Was können Initiativen von Intellektuellen überhaupt bewirken?

Solche Initiativen können Mitbürger dazu ermutigen, ebenfalls ihre Stimme zu erheben. Das ist angesichts der Verschlechterung der Menschenrechtslage und der Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren besonders wichtig. Solche Initiativen können die Zivilgesellschaft ermutigen. Die Intellektuellen verkörpern die Ideale und den Geist eines Landes.

Nachdem China die Entwicklung verschiedener Denkschulen in begrenztem Maße zugelassen hat (im Zuge der Reform- und Öffnungspolitik von Deng Xiaoping – Anm. d. Red.), ist eine neue Generation von Intellektuellen entstanden, die nicht davor zurückschrecken, gesellschaftliche Missstände zu kritisieren. Sie sind allerdings in den letzten Jahren verstärkt Repressionen ausgesetzt.

Die Menschenrechtsanwältin Wang Yu gehört zu den prominentesten Opfern einer landesweiten Verhaftungswelle im Juli 2015, bei denen Berufskollegen und andere Aktivisten zu teilweise langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.  

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