Wann - Ein Versuch über die Zeit
30. Dezember 2021
Die Zeit ist ein Phänomen, das, je länger man es betrachtet, umso komplizierter wird. Beginnen wir mit etwas einfachem: Zunächst mal gibt es drei Zeitformen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber schon wird es schwierig. Wie lange ist eigentlich Gegenwart?
Professor Ernst Pöppel forscht seit Jahrzehnten zu dem Gefühl, das wir Gegenwart nennen: "Es gibt ja so etwas wie die subjektive Gegenwart, die in der Tat in dem besten Buch, was es über Zeit und Zeitlichkeit gibt, beschrieben wurde, nämlich von Augustinus, [im Jahr] 397, in den "Confessiones". Da sagt er, es gibt eigentlich nur das Gegenwärtige, die Gegenwart, die subjektive Gegenwart, und das können wir als Augenblick bezeichnen, der ungefähr 2-3 Sekunden dauert, nach unseren Messungen."
Alle 2 bis drei Sekunden werden Informationen, die im Gehirn ankommen, neu gebündelt und abgespeichert. Dieser Takt, sagt Pöppel, zeigt sich überall, zum Beispiel bei Berührungen. Etwa dem Händeschütteln: 2-3 Sekunden werden als normal empfunden. Oder bei einem Blick: wir schauen einen Fremden 2-3-Sekunden an, länger wäre aufdringlich.
Und was ist mit Vergangenheit und Zukunft? Woran merken wir, dass Zeit vergeht? Wir erleben Zeit immer als ein Nacheinander. Würde alles gleichbleiben, stillstehen, gäbe es auch keine Zeit. Zeit ist Veränderung. Das Pendel einer Uhr ahmt das nach. Die Zeit läuft dabei in eine Richtung. Aus Zukunft wird Gegenwart und dann Vergangenheit. Außer in der Kunst - da gelten andere Regeln. Da kann der Mensch mit der Zeit spielen. In der Zeit reisen, sie anhalten, beschleunigen, zurückholen. Marcel Proust hat ja Bände darüber geschrieben, wie man Vergangenes vergegenwärtigt.
Zeitmessung ist relativ. Einstein erklärte das so: Bewegte ich mich mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum, wäre die Sekunde auf meiner Armbanduhr so gedehnt, dass gar keine Zeit verginge. Wirklich erlebbar ist das alles nicht. Der Astrophysiker Harald Lesch sagt: "Meine These wäre, dass uns das Thema Zeit vor allen Dingen deshalb interessiert, weil wir wissen, dass wir sterben müssen. Das heißt, wir wissen, das wird nicht ewig sein."
Vielleicht ist der Mensch deshalb so unruhig und versucht sein Leben zu verdichten. Mehr Leben in der knappen Zeit, die bleibt. Hartmut Rosa, Soziologe an der Universität in Jena, hat ein Buch geschrieben über dieses Phänomen der heutigen Lebens-Beschleunigung: "Wir handeln wirklich schneller. Wir nehmen die Mikrowelle, statt den Herd, dann geht's halt schneller. Oder wir essen Fastfood statt Slow Food sozusagen." "Wenn du es eilig hast, mach einen Umweg", sagt ein japanisches Sprichwort und meint: am meisten Zeit haben wir immer dann, wenn wir die Zeit vergessen, und uns in ihr.
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