Wann fährt die Deutsche Bahn wieder pünktlich?
27. März 2025
Bahnchef Richard Lutz ist ein Mann, der eine grundsätzlich optimistische Gelassenheit ausstrahlt. Vielleicht muss man das in seinem Job. Trotzdem wird er bei der Vorstellung der Jahresbilanz für 2024 in Berlin ungewohnt deutlich.
"Die Deutsche Bahn ist in der größten Krise seit 30 Jahren", so Lutz, der seit 2017 Vorstandsvorsitzender des Staatskonzerns ist. "Wir sind in wesentlichen Bereichen weit weg von dem, was wir uns vorgenommen haben und was unsere Kunden von uns erwarten."
Im vergangenen Jahr war die Deutsche Bahn so unpünktlich unterwegs wie noch nie in ihrer langen Geschichte. Nur 62,5 Prozent der Fernzüge kamen ohne Verspätung an - und diese Statistik ist noch geschönt. Denn wenn ein Zug ausfällt, und das kommt oft genug vor, geht das nicht in die Zählung ein. Bei Zügen, die vorzeitig enden, ihre Fahrt also vor dem Zielbahnhof abbrechen, übrigens auch nicht. Als verspätet gilt ein Zug ab einer Verzögerung von sechs Minuten.
Die Uhr nach der Bahn stellen? Das ist lange her
Ihre Ankunftszeiten gibt die Bahn inzwischen mit dem schätzenden Zusatz "voraussichtlich" an. Fast 200 Millionen Euro musste die Bahn 2024 als Entschädigung für Verspätungen und Zugausfälle an ihre Kunden zahlen, knapp 70 Millionen Euro mehr als im Jahr davor.
Doch die Verspätungsquote ist nicht das einzige Problem. 2023 fuhr die Bahn 2,7 Milliarden Euro Verlust ein. 2024 ist in der Bilanz ein Minus von 1,8 Milliarden Euro ausgewiesen. Insgesamt sitzt die Bahn auf einem Schuldenberg von 32,6 Milliarden Euro.
Gut zwei Millionen Euro verdient Richard Lutz pro Jahr
Wer ist dafür verantwortlich? Der Bahnvorstand? Seit Jahren verspricht Bahnchef Lutz eine Trendwende, 2019 startete er die Strategie "Starke Schiene". Damit sollte "ein Beitrag zum Erreichen der klima- und verkehrspolitischen Ziele" in Deutschland geleistet werden, wie er sagt. Dieses Ziel bleibe. "Gleichzeitig müssen wir feststellen, wir sind heute in den Qualitäts- und Wachstumszielen, die wir uns damals vorgenommen hatten, weit, weit weg."
Die in der Corona-Pandemie dramatisch eingebrochenen Fahrgastzahlen, die Inflation, vor allem aber die marode Infrastruktur machten einen Strich durch die Trendwende. Man habe die Probleme mit der Infrastruktur schlicht unterschätzt, heißt es bei der Bahn. Von einem zentralen "Krisenherd" spricht Lutz. Ein Großteil der Verspätungen gehe darauf zurück. "Auf einer störanfälligen und veralteten Infrastruktur können wir keinen stabilen Betrieb sicherstellen."
Infrastruktur aus dem 19. Jahrhundert
Das Zeitalter der Bahn begann in Deutschland 1835. Noch heute finden sich Streckenabschnitte, auf denen Gleise, Weichen, Stellwerke aus dem 19. Jahrhundert stammen. Rund 33.500 Streckenkilometer umfasst das Netz der Deutschen Bahn. Teile davon sind so verschlissen, dass Störungen und Ausfälle alltäglich sind.
2023 investierte die Bahn den Rekordbetrag von rund 7,6 Milliarden Euro in Reparaturen. Doch der überwiegende Teil der Anlagen ist inzwischen so veraltet, dass er für den digital gesteuerten Bahnbetrieb, wie er in Zukunft Standard werden soll, nicht zu gebrauchen ist.
Das größte Infrastrukturprogramm in der Geschichte der Bahn
Am Neubau geht kein Weg vorbei. Für 40 Hauptstrecken, die für den Betrieb eines Hochleistungsnetzes unverzichtbar sind, ist er bereits fest geplant. Rund 4.200 Streckenkilometer sollen es bis 2030 sein. Die erste Hauptstrecke ist bereits geschafft: Die sogenannte Riedbahn, wie die 70 Kilometer lange Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim heißt.
Die Kosten waren rund 1,5 Milliarden Euro und damit 15 Prozent mehr als veranschlagt. Schienen und Schotter, 152 Weichen und 140 Kilometer Oberleitung wurden herausgerissen und neu installiert. Erneuert wurden auch die 20 Bahnhöfe auf der Strecke, die Signaltechnik und der Schallschutz. Dafür war die Strecke fünf Monate lang komplett gesperrt.
Die Fahrgäste brauchen noch lange sehr viel Geduld
In diesem Jahr betrifft es unter anderem die rund 280 Kilometer zwischen Hamburg und Berlin. Mit 30.000 Fahrgästen am Tag ist es die meistgenutzte Städte-Direktverbindung im deutschen Fernverkehr. Rund 230 Regional-, Fern- und Güterzüge fahren täglich auf der Strecke.
Im August beginnen die Bauarbeiten, für die 2,2 Milliarden Euro veranschlagt sind. Voraussichtlich neun Monate wird die Strecke gesperrt sein. Die notwendige Umleitung verlängert die Fahrzeit zwischen Berlin und Hamburg um eine Stunde.
Neuer Infrastrukturfonds weckt Hoffnung
Der Bahnvorstand verspricht sich viel von dem Mega-Sanierungsprogramm bis 2030, auch wenn damit nur die wichtigsten Hochleistungskorridore instand gesetzt werden. "Als Deutsche Bahn machen wir unsere Hausaufgaben", so Lutz. Das allein reiche aber nicht aus. Auch die Politik sei gefragt, sie müsse die richtigen Rahmenbedingungen setzen.
Planungs- und Genehmigungsverfahren müssten verkürzt werden, zentral sei aber vor allem das Geld, sprich "die langfristige, stabile Finanzierung der Infrastruktur-Sanierung und die damit verbundene Planungssicherheit", so Lutz. Dem Vorstand sei angesichts des 500 Milliarden Euro schweren neuen Infrastrukturfonds "ein Stein vom Herzen gefallen". CDU/CSU und SPD, die Koalitionsverhandlungen über eine neue Bundesregierung führen, haben das schuldenfinanzierte Finanzpaket kürzlich auf den Weg gebracht.
Sanierung der Bahn auch für militärische Zwecke
Die Bahn will sich aus dem Finanzpaket kräftig bedienen. 150 Milliarden Euro seien nötig, um die Bahn um- und auszubauen und zu digitalisieren. Wohlgemerkt, zusätzlich zu den ohnehin geplanten mehr als 50 Milliarden Euro für das Sanierungsprogramm bis 2030.
"Die gesellschaftliche Bedeutung einer leistungsfähigen Infrastruktur ist immens", betont Lutz. "Ihre Zuverlässigkeit und Belastbarkeit ist für Deutschland als zentrales Transitland im Herzen Europas, insbesondere auch unter dem Aspekt der europäischen Sicherheitslage, unverzichtbar." Damit spielt der Bahnchef darauf an, dass sein Unternehmen auch beim Transport von militärischem Gerät eine wichtige Rolle spielt.
Neue Führung für die Bahn?
Die Frage ist nur, ob Richard Lutz derjenige sein wird, der die Deutsche Bahn auf dem Weg in die Zukunft weiter begleiten wird. Aus den Koalitionsverhandlungen wurde bekannt, dass die künftige Bundesregierung eine "Neuaufstellung von Aufsichtsrat und Vorstand" bei der Bahn anstrebt.
Doch auch bei diesem Thema bleibt Bahnchef Lutz gelassen. "Ich leide jeden Tag ein Stück weit mit, mit unseren Fahrgästen, unseren Kunden und unseren Kollegen im Betrieb, die jeden Tag viele Zumutungen haben, weil Schichtpläne nicht mehr funktionieren und weil sie zusätzliche Belastungen haben."
Um das zu überwinden, dafür sei er angetreten. "Dafür werde ich auch meine Energie verwenden - zumindest mal, solange ich diesen Job mache, der mir nach wie vor jeden Tag Spaß macht."