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War der erste Christ nördlich der Alpen ein Frankfurter?

Suzanne Cords mit Infos der Stadt Frankfurt
20. Dezember 2024

Archäologen haben in einem Grab in Frankfurt ein Skelett mit einem Amulett entdeckt. Das 1800 Jahre alte Schmuckstück mit einer verborgenen Botschaft war einst womöglich der Glücksbringer eines frühen Christen.

Eine aufgerollte Silberfolie
Diese 1800 Jahre alte Folie versetzte die Wissenschaft in Aufregung Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Wo heute die Wolkenkratzer der Stadt Frankfurt am Main in den Himmel ragen, herrschten einst die Römer. Das von den Germanen eroberte Gebiet war Teil des Römischen Reichs, das sich von Britannien bis zum Schwarzen Meer und von Spanien bis Ägypten erstreckte. Nida hieß die Römerstadt, und noch im 21. Jahrhundert stoßen Archäologen bei Grabungen regelmäßig auf antike Überreste. Amphoren, Skulpturen, Reste von Wohnbauten  - nichts, was die Öffentlichkeit sonderlich interessiert.

Anfang Dezember allerdings verkündete die Stadt Frankfurt am Main, bei Grabungen sei ein "Sensationsfund" freigelegt worden, der laut "einhelliger Expertenmeinung verschiedener Forschungseinrichtungen maßgeblich dazu beitragen wird, die Wissenschaft - auch auf internationaler Ebene - auf den Kopf zu stellen".  

Ein geheimnisvolles Amulett 

Daraufhin wurde wild spekuliert: Hatten die Archäologen prähistorische Saurierknochen oder gar Spuren außerirdischen Lebens entdeckt? Ein paar Tage später dann wurde das Geheimnis gelüftet. Bei dem Sensationsfund handelt es um ein für den Laien recht unscheinbares 3,5 Zentimeter großes silbernes Amulett, darin verbarg sich ein Röllchen aus hauchdünner Silberfolie. Darauf zu lesen sind u.a. die lateinischen Worte: "Dieses Rettungsmittel(?) schütze den Menschen, der sich hingibt dem Willen des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn".

Im Amulett (l.) steckte die Silberfolie mit lateinischer Inschrift Bild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Diese "Frankfurter Silberinschrift", verkündeten die Forscher, sei das älteste christliche Zeugnis nördlich der Alpen. Denn das Grab, in dem sie gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 270 nach Christus datiert. Alle bis dato bekannten Funde sind mindestens 50 Jahre jünger.

Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef war begeistert: "Die 'Frankfurter Inschrift' ist eine wissenschaftliche Sensation", schwärmte er. "Durch sie wird man die Geschichte des Christentums in Frankfurt und weit darüber hinaus um rund 50 bis 100 Jahre zurückdrehen müssen."

War der Träger des Schmuckstücks ein "Frankfurter"? 

Ob er recht hat, lässt sich nicht beweisen. Entdeckt wurde das Amulett samt Inschrift auf dem ehemaligen römischen Friedhof in Nida: Im Grab mit der Nummer 134 lag das Skelett eines Mannes, unter seinem Kinn fand man das Amulett. Vermutlich trug er es einst an einem Band um den Hals. Doch stammte der Mann überhaupt aus Nida, oder war er nur auf der Durchreise? Oder war das Amulett ein Souvenir, das er irgendwo erstanden hat, ohne die Inschrift zu verstehen? Die These, ein Frankfurter - bzw. Nidaner - Christ kann stimmen, bewiesen ist sie nicht.

Der Pfeil markiert die Fundstelle des Amuletts unter dem Kinn des Verstorbenen Bild: Denkmalamt der Stadt Frankfurt am Main/Michael Obst/Archäologisches Museum Frankfurt

Fakt ist: Die Forscher datieren das Alter des Amuletts auf rund 1800 Jahre. Damals war es im Römischen Reich noch gefährlich, sich zum Christentum zu bekennen, man huldigte den Göttern der Antike von Zeus bis Aphrodite - und konnte leicht als Märtyrer den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Erst im Jahr 313 verkündete Kaiser Konstantin der Große, Herrscher über das Römische Reich, im sogenannten "Toleranz-Edikt" von Mailand, dass das Christentum fortan eine gleichberechtige Religion sei.

Das war über 100 Jahre nach dem Tod des Mannes im Grab Nummer 134, zu Lebzeiten war sein Bekenntnis zu Jesus also nicht ganz ungefährlich. "Im 3. Jahrhundert nach Christus, in einer Zeit, in der das Christentum noch ein Repressalien ausgesetzter, aber sich stetig ausbreitender Kult war, war es durchaus ein Risiko, sich als Christ zu erkennen zu geben. Einem Mann aus Frankfurt war sein Glaube jedoch offenbar so wichtig, dass er ihn mit ins Grab nahm. Inwieweit er seinen Glauben auch hatte praktizieren und bekennen können oder ob der Inhalt des Amuletts sein Geheimnis blieb, muss offenbleiben", so die Stadt Frankfurt.

Die Statue zeigt Kaiser Konstantin den Großen, der das Christentum als gleichberechtigte Religion anerkannte Bild: Jason Friend/LOOP/Uig/imago images

Artefakte scannen statt zerbröseln 

Das kleine Silberamulett ist ein sogenanntes Phylakterium: So nennt man einen am Körper getragenen Behälter, dessen Inhalt den Träger beschützen sollte. In diesem Fall also eine Silberfolie mit lateinischer Huldigung Christi.

Die "Frankfurter Silberinschrift" konnte dank modernster Computertomographie-Technik entschlüsselt werden. Bild: Leibniz-Institut für Archäologie in Mainz (LEIZA)/Archäologisches Museum Frankfurt

Das Amulett war bereist 2018 geborgen worden. Bei der Restaurierung im Archäologischen Museum Frankfurt entdeckte man dann bei mikroskopischen Untersuchungen und Röntgenaufnahmen die Inschrift. Das uralte millimeterdünne Relikt konnte allerdings nicht einfach entrollt werden, dann wäre es zerbröselt. Eine genauere Untersuchung war nur dank modernster Technik möglich.

"Die Herausforderung bestand darin, dass das Silberblech zwar gerollt, aber nach rund 1800 Jahren natürlich auch zerknickt und gepresst war. Mittels einer Computertomographie  konnten wir es in einer sehr hohen Auflösung scannen und ein 3D-Modellerstellen", erklärt Ivan Calandra, Laborleiter im Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz. 

Entschlüsselung der Inschrift dauerte ein Jahr 

Die zweite Herausforderung war, den Text zu entziffern. Die Buchstaben waren kaum leserlich und Teile der Folie waren im Laufe der Jahrhunderte in ihrem irdenen Grab stark angegriffen. Der Frankfurter Archäologe und Latein-Experte Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität stellte sich der Aufgabe. Fast ein Jahr lang tüftelte er über den 18 Zeilen, bis er sie entschlüsselte. "Manchmal hat es Wochen, ja Monate gedauert bis ich den nächsten Einfall hatte. Ich habe Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen und Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert", erzählt er. Ungewöhnlich sei, dass die Inschrift komplett auf Latein verfasst sei. "Normalerweise waren solche Inschriften in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst", so Scholz. Zudem sei der Text sehr ausgefeilt. "Der Verfasser muss ein elaborierter Schreiber gewesen sein." 

Der Text preist Jesus Christus Bild: Prof. Dr. Markus Scholz/Archäologisches Museum Frankfurt

Meisterleistung der modernen Archäologie

Der Fund mag Laien nicht spektakulär vorkommen, doch die digitale Aufarbeitung und Entschlüsselung des Textes ist eine Meisterleistung der modernen Archäologie. Sie macht es möglich, immer mehr Geheimnisse der Vergangenheit zu lüften. Vielleicht entschlüsseln die Forscher des 21. Jahrhunderts eines Tages auch, woher der Mann aus dem Grab 134 stammte. War er wirklich einer der ersten Christen nördlich der Alpen oder doch eben ein "Tourist" aus südlicheren Gefilden? Die Auswertung des Fundes durch Fachleute für das frühe Christentum steht erst am Anfang. Solange bleibt es das Geheimnis des Mannes, der vor rund 1800 Jahren in Nida begraben wurde.

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