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Warten auf Wachstum

Jan D. Walter29. September 2014

Kurz vor den Wahlen schwächelt die brasilianische Konjunktur. Doch trotz Stagnation und steigender Inflation streiten die Kandidaten im Wahlkampf über Sozialprogramme und nicht über Wirtschaftspolitik.

Sao Paulo, Luftaufnahme. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Eigentlich geht es in Brasilien gar nicht um die Systemfrage. Anders als in den Nachbarländern Argentinien und Venezuela ist Planwirtschaft in Brasilien kein Thema. Obwohl die beiden aussichtsreichsten Kandidatinnen der Arbeiterpartei PT (Dilma Rousseff) und der Sozialistischen Partei Brasiliens PSB (Marina Silva) angehören, steht der Kapitalismus in Brasilien nicht zur Disposition.

Und doch werden Wirtschaftsfragen im brasilianischen Wahlkampf so ideologisch diskutiert, als ginge es um den Sieg der Arbeiterklasse. Besonders deutlich wurde dies, als sich Marina Silva Anfang September für eine unabhängige Zentralbank stark machte. Eine Steilvorlage für Rousseff: "Die vierte Gewalt im Staate können nicht die Banken sein", konterte die Präsidentin, deren Kampagne darauf abzielt, ihre Hauptgegnerin als Vertreterin einer neoliberalen Wirtschaftspolitik darzustellen.

Konservativ und sozialistisch

Es gehört zu den zahlreichen Widersprüchen des brasilianischen Wahlkampfes, dass ausgerechnet die "Sozialistin" Marina Silva die konservativere der beiden Spitzenkandidatinnen ist. Und das gilt nicht nur für die moralischen Werte der Freikirchlerin, sondern auch für ihre politischen Pläne.

Marina Silva (Mitte) fordert Amtsinhaberin Dilma Rousseff (rechts) zum zweiten Mal herausBild: picture-alliance/dpa/Sebastião Moreira

Marina Silva will den Staatsapparat, der sich während der zwölfjährigen Regierungszeit der Arbeiterpartei PT vergrößert hat, entschlacken. Sie strebt zudem eine Steuerreform an, die vor allem Unternehmen entlasten und von bürokratischen Auflagen befreien soll.

"Marina Silva will etwas verändern und bringt gute Ideen mit, aber sie ist auch kritikfähig und hat den Willen, dazuzulernen", sagt Ingo Plöger, Präsident des Lateinamerikanischen Unternehmerrates CEAL in Brasilien. Andere Unternehmer misstrauen ihr. Denn die ehemalige Umweltministerin hat angekündigt, von der Wirtschaft mehr Nachhaltigkeit einzufordern.

In Wirtschaftskreisen befürchtet man, dass damit unter anderem die engere Auslegung eines bereits bestehenden Gesetzes gemeint sein könnte, welches die Enteignung von nicht produktiv genutzten Ländereien erlaubt. Diese Flächen würden dann Kleinbauern zugesprochen werden.

Stagnierende Wirtschaft

Doch auch an der Wirtschaftspolitik von Präsidentin Dilma Rousseff gibt es reichlich Kritik. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ging das Wirtschaftswachstum Brasiliens seit Rousseffs Amtsantritt im Januar 2011 von 2,7 Prozent auf 0,3 Prozent (Prognose für 2014) zurück.

Brasiliens Zentralbank: Miniwachstum und InflationBild: picture-alliance/dpa

Die abgekühlte Weltwirtschaft kann als Erklärung dafür nur bedingt herhalten, denn der Außenhandel trägt lediglich rund 20 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Brasiliens bei. Zudem ist die brasilianische Wirtschaft in Rousseffs Amtszeit langsamer gewachsen als der Rest Lateinamerikas. Unter den großen Volkswirtschaften der Region stehen nur die Krisenländer Argentinien und Venezuela wirtschaftlich schlechter da.

Nach Meinung von Experten sind vier Faktoren für die Entwicklung verantwortlich: Fehlende Handelsabkommen, hohe Steuern und Einfuhrzölle, schlechte Infrastruktur und ausuferende Bürokratie. Diese Faktoren würden die Vorteile des Rohstoffreichtums und der wachsenden Kaufkraft im Land neutralisieren.

Die Probleme haben in Brasilien sogar einen Namen: "Custo Brasil", Kostenfaktor Brasilien. Um den Investitionsstau aufzulösen, hat die PT-Regierung deshalb bereits unter Rousseffs Amtsvorgänger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ein 200 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm aufgelegt - mit mäßigem Erfolg.

Im brasilianischen Wahlkampf spielen Wirtschaftsthemen trotz der schwächelnden Konjunktur eher eine untergeordnete Rolle. Staatdessen geht es um Korruptionsskandale beim halbstaatlichen Mineralölkonzern "Petrobras" und die Finanzierung von Sozialprogrammen. Über die Idee einer unabhängigen Zentralbank spricht niemand mehr.

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