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GesellschaftNepal

Warum bevorzugen Nepalesen Europa gegenüber Golfstaaten?

Swechhya Raut
23. August 2024

Immer mehr nepalesische Arbeitskräfte entscheiden sich für Europa als Ziel. Traditionell suchten sie Jobs in den Golfstaaten. Arbeit in Europa verspricht aber mehr Einkommen und Prestige.

Portugal Gastarbeiter aus Nepal in São Teotónio
Gastarbeiter aus Nepal in PortugalBild: Patricia De Melo Moreira/AFP/Getty Images

Narendra Bhattarai war einst Schriftsteller, Dichter und aufstrebender Filmemacher in Nepal, bevor er 2007 in der Hoffnung auf bessere Möglichkeiten nach Katar zog. Bhattarai bereitete seinen Umzug sorgfältig vor und zahlte einem Agenten eine beträchtliche Summe, um sich einen gut bezahlten Job als Fahrer zu sichern.

Doch nach seiner Ankunft musste er als Bauarbeiter schuften und erhielt statt des versprochenen Gehalts von 900 katarischen Riyal (damals ca. 247 US-Dollar) nur 600 Riyal. "Ich träumte davon, meiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, aber am Ende wurde ich ein Opfer von Arbeitsausbeutung", erzählt Bhattarai der DW. Um seine Schulden für die Vermittlung zurückzuzahlen, musste er mehrere Jahre hart in Katar arbeiten. Schließlich kehrte Bhattarai nach Nepal zurück, wo er seine Leidenschaft für Poesie und Filmemachen wieder aufnahm. Doch der finanzielle Kampf setzte sich fort.

Im Jahr 2019 reiste Bhattarai für eine Filmvorführung nach Portugal und erfuhr, dass er dort eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und legal arbeiten konnte. Er beschloss zu bleiben. "Ein langfristiger Aufenthalt in Europa bedeutet Zukunftssicherheit für mich und meine Familie", sagt er.

Portugals offene Türen ab Ende der 2010er Jahre

Bhattarai ist einer von mehreren hundert Nepalesen, die 2019 in Portugal Arbeit fanden. Nach offiziellen Angaben der nepalesischen Regierung erhielten 2018 nur 25 Personen eine Arbeitserlaubnis in Portugal; im folgenden Jahr stieg die Zahl jedoch auf 461. Portugal benötigte Arbeitskräfte mit geringerem Qualifikationsniveau und bietet vor allem in der Landwirtschaft und im Tourismus Stellen an, so die europäische Studie "Rethinking Approaches to Labor Migration - Full Case Study Portugal".

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12:36

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Der Trend, in Europa einen Job zu suchen, setzt sich fort: Viele europäische Staaten berichten, dass sich zwischen 2019 und 2024 die Zahl der nepalesischen Arbeitenden mehr als verdoppelt habe, wobei Rumänien sogar einen Anstieg von 640 Prozent verzeichnet.

Warum gewinnt Europa an Beliebtheit?

Obwohl Länder wie Kuwait im gleichen Zeitraum mehr nepalesische Arbeitsmigranten aufnehmen, verschieben sich die Präferenzen vieler Arbeitnehmer hin zu Europa. Gründe dafür sind ein leichterer Zugang zu Arbeitsplätzen und bessere Verdienstmöglichkeiten. "Weil die Globalisierung den Arbeitsmigranten mehrere Alternativen bietet, wählen sie Ziele, wo sie mehr verdienen können", erklärt der Soziologe Tikaram Gautam der DW. "Unsere soziokulturelle Struktur hat unsere Psychologie geprägt, um für die Zukunft zu sparen".

Zudem haben Job ins Europa ein höheres Ansehen. Die nepalesische Gesellschaft sieht in den europäischen Ländern bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Chancen.

Der Nepalese Dipak Gautam arbeitet schon seit einem Jahrzehnt als Sicherheitsmann in Dubai und verdient genug, um einen Teil seines Gehalts nach Hause schicken zu können. Er beklagt aber, dass er immer noch verachtet wird, weil er nicht in Europa arbeitet. "Die nepalesische Gesellschaft betrachtet die Arbeit in Europa als prestigeträchtig, während diejenigen von uns, die in der Golfregion arbeiten, als Versager angesehen werden", sagte er. Er habe versucht, ein Arbeitsvisum für Polen zu beantragen, sei aber zweimal abgelehnt worden, sagt Dipak.

Warum verlassen junge Nepalesen ihre Heimat?

Laut dem Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD) machten Rücküberweisungen von Wanderarbeitern 2023 bis zu 26,6 Prozent des nepalesischen BIP aus, was etwa 11 Milliarden US-Dollar entspricht. Der nepalesische Arbeitsmarkt leidet unter politischen Unruhen, dem Fehlen groß angelegter Beschäftigungspläne und einem unzureichenden Personalmanagement. Gleichzeitig ist das Land ziemlich liberal im Bezug auf das politische System, Bildung und Zugang zu Technologie.

Diese Faktoren, so die Arbeitsexpertin Meena Poudel, haben die Nepalesen zu informierten Weltbürgern gemacht und ihre Erwartungen an die Regierung erhöht. "Sie sind sich der globalen Entwicklungen bewusst, aber sie können diese Erfahrungen nicht mit denen vergleichen, die sie in Nepal machen", erklärte sie. In den vergangenen Jahren hätten Länder wie Malaysia oder die Golfstaaten die Messlatte für Arbeitsmigranten höher gelegt. "Die Arbeitgeber haben auch begonnen, qualifizierte Arbeitskräfte zu suchen, was angelernte und ungelernte Menschen dazu zwingt, nach Alternativen zu suchen", sagte Poudel.

Gleichzeitig haben mehrere europäische Länder ihre Einwanderungsgesetze gelockert und es ausländischen Arbeitnehmern erleichtert, Visa zu erhalten, insbesondere in Bereichen wie Landwirtschaft, Haushaltsführung, Gastgewerbe und Bauwesen. Die europäischen Länder werden auch als Staaten angesehen, die mehr Freiheit bei geringerem Risiko der Ausbeutung von Arbeitskräften bieten.

Den Traum von einem besseren Leben in Europa verwirklichen

Seit dem vergangenen Jahr ändert Deutschland sein Fachkräfteeinwanderungsgesetz und führt das Konzept einer "Chancenkarte" für arbeitssuchende Drittstaatsangehörige ein. Bijay Limbu hatte in Katar gearbeitet, bevor er vor einem halben Jahr nach Malta zog mit dem Traum, irgendwann für einen Job nach Deutschland zu kommen. "Ich verbessere meine Fähigkeiten und lerne die Sprache, damit ich die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen kann", sagt er der DW. Gleichzeitig warnte er, dass "die Arbeit von Migranten immer unsicher ist".

Portugal, die neue Heimat des nepalesischen Schriftstellers Narendra Bhattarai, ist ein gutes Beispiel: Die jüngsten Gesetzesänderungen legen Einwanderern, die sich in dem Land niederlassen und arbeiten wollen, mehr Hindernisse in den Weg. Bhattarai sagt aber, er sei "mental und finanziell zufrieden" mit seinem Leben in Portugal, das es ihm ermögliche, seine Leidenschaft für das Schreiben wieder aufzunehmen. "Ich glaube, ich bin zur richtigen Zeit nach Europa gekommen."

Aus dem Englischen adaptiert von Shabnam von Hein

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