Warum boomt die Schwarzarbeit in Deutschland?
22. Juli 2025
Die deutsche Volkswirtschaft ist seit Jahren auf Schrumpfkurs und auch 2025 ist nur ein Mini-Plus in Sicht. Die Schwarzarbeit aber boomt und mit ihr alle Wirtschaftstätigkeiten, die im Schatten stattfinden.
Was aber steckt dahinter, wenn der Anteil dieser Schattenwirtschaft an der Wirtschaftsleistung in Deutschland in nur einem Jahr um mehr als elf Prozent ansteigt?
2024 war der Umfang der Schattenwirtschaft mit rund 482 Milliarden Euro sogar höher als der Bundeshaushalt. Der im Februar 2024 im Bundestag verabschiedete Bundeshaushalt 2024 betrug 476,8 Milliarden Euro.
Für 2025 liegt die Prognose des emeritierten Wirtschaftsprofessors Friedrich Schneider mit 511 Milliarden Euro noch höher, das wäre ein erneutes Plus von 6,1 Prozent. Schneider lehrte bis 2007 an der Johannes-Kepler-Universität in Linz in Österreich und war bis 2010 Präsident des Verbands Österreichischer Wirtschaftsakademiker.
Schneider beschäftigt sich seit mehr als 40 Jahren mit dem Phänomen. Statt von Schwarzarbeit spricht er lieber von Schattenwirtschaft.
"Das sind Wirtschaftstätigkeiten, die zwar legal sind, wie ein Auto reparieren oder putzen. Sie werden aber am Staat vorbei erwirtschaftet, und es werden keinerlei Steuern und Sozialabgaben bezahlt", erklärt Schneider im Interview mit der DW. Gesetzliche Regelungen wie Mindestlohn oder Höchstarbeitszeit fielen dabei unter den Tisch.
Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt Deutschland bei der Schattenwirtschaft mit Werten zwischen elf und zwölf Prozent im Vergleich zu anderen Industrieländern im Mittelfeld. Rumänien kommt auf einen Wert von 30 Prozent, Griechenland rangiert bei rund 22 Prozent des BIP.
Um die Zahlen hochzurechnen, vergleicht der Wissenschaftler vor allem die Geldmenge, die im Umlauf ist, mit der offiziellen Wirtschaftsleistung.
Sinkende Steuermoral
Aber welche Faktoren sind entscheidend für den Anstieg von Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft? Da käme das Gefühl ins Spiel, als Bürger zu hohe Steuern und Abgaben zu zahlen, unterstreicht Schneider.
"In Deutschland spüren wir sehr stark, dass die Bahn schlecht funktioniert, viele Autobahnbrücken marode sind und repariert werden müssen, es kommt zu langen Staus und Wartezeiten. Und wenn der Bürger das Gefühl hat, für das, was ich zahle, bekomme ich vom Staat einen schlechten Service geboten, dann sinkt seine Steuermoral."
Ihn wundert es nicht, dass viele Menschen schwarz arbeiten, sagt der deutsch-österreichische Ökonom. Für Schneider ist Schwarzarbeit "die Steuerrebellion des kleinen Mannes". Dabei gehe es nicht um Steuerhinterziehung im großen Stil. "Beim Lehrer sind das die Nachhilfestunden, beim Fliesenleger ist es das 'schwarz' geflieste Bad."
Wenn die Steuerlast hoch ist, aber die Leistungen des Staates dafür ausgezeichnet sind, werde das noch akzeptiert, sagt Schneider. "Aber in Deutschland haben wir die Situation, dass die Steuerlast sehr hoch ist, also die Abgabenlast auf den Faktor Arbeit, aber das Angebot, was mir der Staat zurückgibt, ist in vielem völlig unbefriedigend."
"Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, läuft die Schwarzarbeit gut"
"Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, es weniger Aufträge gibt, keine Überstunden mehr gemacht werden, und wenn die Schichten der Arbeiter reduziert werden", dann schlage die Stunde der Schwarzarbeit, so Schneider.
Die Betroffenen sagten sich: "Jetzt habe ich weniger Geld aus meinem offiziellen Job, möchte mir aber Urlaub oder anderes gönnen." Der einfachste Weg sei dann, mehr schwarz zu arbeiten, um den Verlust auszugleichen, berichtet Schneider.
"Und genau das beobachte ich schon seit über 40 Jahren. Wenn die Wirtschaft schlecht läuft, läuft die Schwarzarbeit gut."
Lukrativer Mix aus Bürgergeld und Schwarzarbeit
In der deutschen Öffentlichkeit wird heftig über das Bürgergeld diskutiert. Kritiker unterstellen, dass die hohen Sozialleistungen in Deutschland Schwarzarbeit begünstigten.
Mehr als ein Drittel des Bundeshaushalts fließen schon jetzt in den Arbeits- und Sozialetat. Für das Jahr 2025 rechnet Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas laut der Website des Deutschen Bundestages mit Ausgaben für das Bürgergeld von knapp 52 Milliarden Euro, etwa fünf Milliarden Euro mehr als im Vorjahr.
Rund 29,6 Milliarden Euro sind dabei für die monatlichen Zahlungen an die etwa 5,64 Millionen Bürgergeldempfänger vorgesehen. Für Miet- und Heizkosten sind rund 13 Milliarden Euro eingeplant, der Rest fließt in Eingliederungsmaßnahmen und Verwaltungskosten.
Die Kostendiskussion ist voll im Gange: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat vorgeschlagen, die Wohn-Zuschüsse bei Bürgergeldempfängern zu begrenzen, was sofort Teile der SPD und Opposition heftig kritisierten.
Mittlerweile hat die sozialdemokratische Ministerin Bas eingeräumt, dass die staatliche Unterstützung auch Kriminelle auf den Plan ruft. In einem Interview mit der Zeitschrift "Stern" sprach sie von "mafiösen Strukturen"beim Sozialbetrug. Sie sprach ausbeuterische Strukturen an, in denen Menschen aus dem EU-Ausland nach Deutschland gelockt, von Kriminellen schwarz beschäftigt und gleichzeitig Bürgergeld beantragen würden.
"Privates Kombilohn-Modell"
Diese Mischung aus Schwarzarbeit und Sozialbetrug hat Markus Karbaum
häufig mitbekommen. Der Coach und Berufsberater, der viele Bewerbungstrainings für Bürgergeldempfänger im Großraum Berlin gemacht hat, nennt den Mix aus legaler Arbeit, Schwarzarbeit und Bürgergeld "privates Kombilohn-Modell".
Es gebe Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern zu wenig Arbeit anbieten, um damit über die Runden zu kommen, so Karbaum im Gespräch mit der DW. Das "private Kombi-Lohnmodell" bestehe aus drei Komponenten: Ein reguläres Teilzeit- oder Minijob- Einkommen.
Dazu käme in Branchen wie die Gastronomie, die "anfällig für Schwarzgeld sind", also Geld, das nicht versteuert wird. Und dem Mitarbeiter, dem das nicht zum Leben reicht, sagt der Arbeitgeber: "Das kannst du dir ja vom Jobcenter holen. Das sind die drei Bestandteile, die ich in meiner beruflichen Praxis sehr häufig beobachtet habe", erklärt der Job-Coach.
"Struktureller Betrug"
Dazu käme ein gewisses Anspruchsdenken: "Ich habe ein Recht auf Bürgergeld, ich habe ein Recht auf Sozialleistungen. Nehmen Sie mir jetzt nicht dieses Recht, diese Gelder zu beziehen", berichtet Karbaum. "So könnte man diese Mentalität umschreiben."
Er habe Leute kennengelernt, die zum Bewerbungstraining mit dem Auto kamen, das neueste Smartphone dabei hätten und ihm erzählten, "dass sie einmal im Jahr, was das Jobcenter hier zulässt, für drei Wochen mit der ganzen Familie ins Ausland zum Urlaub fliegen".
Das sei durch das Bürgergeld nicht vorgesehen, "aber es findet in der Praxis statt. Es sind Einzelfälle, wir reden hier nicht über die Mehrheit", so Karbaum. "Aber es findet statt, und das ist definitiv ein Indikator dafür, dass hier ein struktureller Betrug vorliegt."
Um gegen solchen Betrug vorgehen zu können, müsse es mehr Datenabgleich geben, fordert Karbaum. Das ist auch von der schwarz-roten Regierungskoalition geplant, zum Beispiel zwischen Jobcentern und Zoll, der für die Verfolgung von Schwarzarbeit zuständigen Behörde. Dem schließt sich auch Friedrich Schneider an.
Doch nach rund 40 Jahren wissenschaftlicher Analyse weiß der Linzer Ökonom, dass vor allem eine florierende Wirtschaft entscheidend ist: "Wenn wir in einer absoluten Boomphase sind, geht auch die Schwarzarbeit zurück."