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PolitikEuropa

Keine deutschen Waffen in die Ukraine?

20. Januar 2022

Deutschland hat es abgelehnt, sich Verbündeten wie den USA und Großbritannien bei Waffenlieferungen in die Ukraine anzuschließen. Eine unvorhersehbare Aufstockung russischer Truppen und erste Aggressionen machen Druck.

Ukraine Kiew | Pressekonferenz Annalena Baerbock und Dmytro Kuleba
Außenministerin Baerbock in der Ukraine: Waffenlieferungen sind derzeit keine gute IdeeBild: Janine Schmitz/photothek/picture alliance

Es hat nicht lange gedauert, bis die Aussagen der neuen Bundesregierung im Bezug auf eine mutigere und wertebasiertere Außenpolitik auf die Probe gestellt wurden. Nach nur sechs Wochen an der Macht sieht sie sich mit russischen Militäraktionen gegen die Ukraine konfrontiert. Dort fürchtet man einen weiteren Angriff des größeren und mächtigeren Nachbarn.

Deutschland und seine Verbündeten bemühen sich, eine gemeinsame Antwort auf die unklaren Absichten Russlands zu finden. Die deutsche Politik, auch innerhalb der Ampel-Koalition, debattiert ebenfalls darüber.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Dienstag, Russland werde im Falle eines Einmarsches in die Ukraine einen "hohen Preis" zahlen. Am Mittwoch bekräftigte Scholz, dass Schweigen in der Ukraine-Frage keine Option sei. Seine Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen hat ähnliche Solidarität mit der Ukraine bekundet, die jüngste Bitte um Waffenlieferungen aber abgelehnt. Man sei bereit, einen ernsthaften Dialog mit Russland zu führen, um die hochgefährliche Situation zu entschärfen, "weil Diplomatie der einzig gangbare Weg ist", sagte Baerbock am Montag gegenüber Reportern bei ihrem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Reservisten der Ukraine bereiten sich auf eine mögliche Russische Invasion vorBild: Valentyn Ogirenko/REUTERS

Die historische Dimension von Waffenlieferungen

Sowohl die Vereinigten Staaten als auch Großbritannien haben Waffenlieferungen angekündigt; in erster Linie Handfeuerwaffen, Munition und Panzerabwehrwaffen. Weitere Waffen seien bereits auf dem Weg, versprach eine Gruppe von US-Senatoren bei einem Besuch in der Ukraine Anfang dieser Woche.

Deutsche Regierungsbeamte gaben zu bedenken, dass solche Lieferungen die Spannungen noch verstärken und die Verhandlungen erschweren könnten.

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Regierung aus SPD, Grünen und Freien Demokraten (FDP) auf eine restriktive Rüstungsexportpolitik festgelegt, die keinerlei Waffenlieferungen in Krisenregionen zulässt.

Laut Ministerin Baerbock habe die Entscheidung ihrer Regierung im Bezug auf Waffenlieferungen eine historische Dimension, bezugnehmend auf den Einmarsch Deutschlands in die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs.

"Die Vorstellung, dass Deutschland Waffen liefert, mit denen dann Russen getötet werden könnten, ist für viele Deutsche sehr schwer zu ertragen." sagte Marcel Dirsus, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (ISPK), im Gespräch mit der DW.

Außenministerin Baerbock mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej LawrowBild: Russian Foreign Ministry/TASS/imago images

Laut dem "Stockholm International Peace Research Institute" (SIPRI) ist Deutschland nach wie vor eines der weltweit führenden Waffenproduktions- und Waffenexportländer, mit einem Umsatzwachstum von 21 Prozent von 2016 bis 2020. Deutschlands größte Kunden seien Südkorea, Algerien und Ägypten.

Auch die Ukraine gehört zu den Käufern. Laut Regierungsberichten genehmigte Deutschland im Jahr 2020 und in der ersten Hälfte des Jahres 2021 siebenundneunzig Exporte im Gesamtwert von 5,2 Millionen Euro (5,8 Millionen US-Dollar).

Dabei handelte es sich hauptsächlich um Kleinwaffen, Tauchausrüstungen und Kommunikationsgeräte. Ukrainische Stellen wollen allerdings noch weiter gehen und bekunden bereits Interesse an Kriegsschiffen und Luftabwehrsystemen. Während Deutschland meist die eigene Kriegshistorie als Grund anführt, um derlei militärische Fragen zu umgehen, beruft sich die Ukraine ihrerseits genau darauf.

"Die Verantwortung sollte dem Volk in der Ukraine gelten, wo während der Nazi-Besatzung mindestens acht Millionen Menschen ihr Leben verloren haben", sagte der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, der Nachrichtenagentur DPA.

Bedroht: das Leben an der Front in der ukrainischen Donbass-RegionBild: Nick Connolly/DW

Obwohl Waffen ein starkes Zeichen der Unterstützung wären, bezweifelt Marcel Dirsus, dass sie die Chancen der Ukraine gegen einen größeren und besser ausgerüsteten Feind tatsächlich verbessern würden. Er sagt: "Die russische Regierung wäre von der Gefahr schwerer wirtschaftlicher Folgen mehr beeindruckt als von 2.000 Panzerabwehrwaffen".

Kritik an Habeck-Vorstoß zu "Verteidigungswaffen"

Aussagen zu Waffen und militärischen Interventionen können für deutsche Politiker gefährlich werden. Diese Erfahrung machte Robert Habeck von den Grünen im letzten Jahr, als er sich dafür aussprach "Verteidigungswaffen" in die Ukraine zu schicken. Der derzeitige Vizekanzler und Wirtschaftsminister erntete daraufhin heftige Kritik. Später betonte er, lediglich Minenräumgeräte gemeint zu haben.

Was eine Waffe zur "Verteidigungswaffe" macht, ist häufig Ansichtssache. Mittlerweile haben zumindest einige Mitglieder der Regierungsparteien Interesse daran geäußert, eine genaue Definition hierfür festzulegen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und Gegnerin von Waffenlieferungen an die Ukraine, sagte der Bild-Zeitung, man müsse die bisherige Haltung "überdenken". In einem Interview mit dem Sender rbb, gegenüber der FAZ und in einer Twitter-Nachricht wurde Strack-Zimmermann noch deutlicher: Sie wolle nicht, dass Europa wie 2014 auf der Krim wieder nur zuschaut.

Kritiker argumentieren, dass zu Verteidigungszwecken entwickelte Waffen wie Panzerabwehr- und Flugabwehrwaffen in Kriegen und bewaffneten Konflikten oftmals auch offensiv eingesetzt werden. Ausschlaggebend hierbei sei nicht die ursprüngliche Gestaltung der Waffe, sondern das jeweilige Einsatzvorhaben der Nutzer.

Deutschlands Vorgängerregierung unter Führung der Christdemokraten (CDU) hat den USA die vage Zusicherung gemacht, Russland für jede Aggression zu bestrafen. Mittlerweile in der Opposition kritisieren einige CDU-Mitglieder, die neue Regierung verstecke sich in Wahrheit nur hinter ihrer restriktiven Rüstungskontrollpolitik.

"Wenn die Ukraine um Defensivwaffen bittet, um sich eines möglichen russischen Angriffs erwehren zu können, dürfen wir diese Bitte nicht ablehnen", äußerte Henning Otte, Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestags, gegenüber Bild.

Die Verlegearbeiten sind abgeschlossen, die Pipeline Nors Stream 2 aber noch nicht in BetriebBild: Bernd Wuestneck/dpa/picture alliance

Norbert Röttgen, der außenpolitische Sprecher der CDU, sagte am Montag zu Christiane Amanpour vom Sender CNN, dass "nichts ausgeschlossen werden darf", stellte aber klar, dass hinter den diplomatischen Bemühungen keine militärischen Druckmittel stünden.

Man werde nicht militärisch kämpfen, aber jenseits militärischer Mittel werde man bereit sein, jedes Mittel anzuwenden, das zur Verfügung stehe, so Röttgen.

Stopp von Gaslieferungen als Druckmittel?

Als die SPD-geführte Regierung an die Macht kam, versprach sie vollmundig, die Rolle des Landes auf der Weltbühne zu stärken, insbesondere in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen. Auf besonderen Druck der Grünen in der Koalition hat die neue Regierung zugesagt, Fragen der Menschenrechte und der demokratischen Werte stärker als bisher in den Vordergrund zu stellen, wenn es darum ginge, Beziehungen zu Ländern wie China und Russland auszugestalten. Lange Zeit wurden diese vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet.

Zuletzt deutete Scholz an, dass die Aggression seitens des Kreml auch Folgen für die bereits fertig gestellte Pipeline Nord Stream 2 haben könne, die inzwischen bereit ist, russisches Gas nach Deutschland zu liefern, sobald die deutsche Regulierungsbehörde grünes Licht dafür gibt." Alles steht zur Diskussion, wenn es zu einem militärischen Eingreifen gegen die Ukraine kommt", sagte Scholz am Dienstag vor Journalisten.

Bisher hält die SPD weitgehend an der Position der Vorgängerregierung fest, dass es sich bei der Pipeline um ein kommerzielles Projekt handelt, das vor politischen Turbulenzen geschützt werden müsse. Grüne und FDP allerdings sind schon lange gegen das Projekt.

Aus dem Englischen adaptiert von Wolfgang Dick

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