Warum Corona Frauen härter trifft
2. Mai 2020Eine der kleinen Freuden während der Corona-Krise? Für Audrey Lebeau-Livé der Stummschalteknopf bei den Video- und Audiokonferenzen. Dank dieses Knopfes kann sie gleichzeitig spülen, mit einem Ohr ihrer Tochter zuhören, die ein Zimmer weiter ein Referat in die Kamera ihres Computers hält, und - wenn es gut läuft - auch noch Wäsche in die Maschine stopfen.
Seitdem Frankreich Mitte März eine weitgehende Ausgangssperre verhängt und Schulen vorübergehend geschlossen hat, geht es Lebeau-Livé wie vielen Eltern auf der ganzen Welt, die gleichzeitig arbeiten und ihre Kinder betreuen müssen: "Man hat das Gefühl, nie genug zu schaffen, nie allem gerecht zu werden", sagt Audrey Lebeau-Livé am Telefon.
Normalerweise teilten sie und ihr Mann sich die Aufgaben im Haushalt auf. Jetzt aber komme zum Beispiel Mittagessen kochen dazu, in normalen Zeiten äßen alle in der Kantine. "Das Mehr an Arbeit landet oft bei den Müttern", sagt Lebeau-Livé und lacht. Obwohl ihr nicht unbedingt zum Lachen zumute ist: "Ich fühle mich schuldig." Ihrem Mann ginge es nicht so, der denke sich: Was ich schaffe, das schaffe ich, der Rest bleibe eben erstmal liegen.
Die weibliche Perspektive fehlt
Laut Lebeau-Livé hängt das damit zusammen, dass Frauen sich immer noch mehr beweisen müssen, vor allem, wenn sie eine Führungsposition innehaben. Sie selbst leitet ein kleines Team beim IRSN, dem französischen Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit nahe Paris. Ihre Kritik: Die Personen, die über Heimarbeit und Ausgangssperren entscheiden, seien oft männlich und hätten die weibliche Perspektive nicht im Blick.
Hannah Elsche, Kunsttherapeutin aus Berlin, sieht das ähnlich. Sie hat wie Audrey Livé drei Kinder und hat sich aufgrund der Corona-Krise gezwungenermaßen entschieden, ihre Elternzeit zu verlängern. "Viele Frauen kümmern sich momentan mehr um die Kinder, weil der Mann mehr verdient", sagt Elsche. Das nehme sie auch in ihrer Umgebung wahr. Ihr Mann sei von seinem Arbeitgeber nicht einmal gefragt worden, wer jetzt zu Hause die Kinder hüte.
Was manche für ein Luxusproblem halten mögen, beschreibt Catriona Graham so: "Geschlechter-Stereotype zählen zu den stärksten und starrsten Ursachen für Sexismus und Ungleichheit." Gerade in Krisenzeiten empfänden es manche als Sicherheit, auf stereotype Rollen zurückzugreifen, sagt Graham, die für die European Women's Lobby arbeitet, eine Organisation, die sich für die Interessen von Frauen einsetzt.
Zu gängigen Rollenklischees gehört auch, dass sich Frauen mehr um Kinder und Haushalt kümmern, vielleicht auch ältere Familienmitglieder pflegen. Laut UNICEF leisteten Frauen schon vor der COVID-19-Krise weltweit dreimal so viel unbezahlte Care-Arbeit wie Männer: Den UN zufolge steigt diese Art der Arbeit nun "exponentiell" an.
Den Laden am Laufen halten
Alleinerziehende Mütter treffen die wegen des Coronavirus geltenden Einschränkungen besonders hart. 85 Prozent der Eltern, die sich allein um ihr Kind kümmern, sind Frauen. Laurence Helaili-Chapuis aus Dublin hat vor einigen Jahren eine Gruppe mit dem Ziel gegründet, diese Mütter zu unterstützen. Viele meldeten sich jetzt bei ihr, weil sie sich "in einer komplizierten Lage" befänden, sagt Helaili-Chapuis. Selbst einkaufen sei für viele schon schwierig. Einige machten sich auch Sorgen um ihre berufliche Zukunft.
Und das nicht ohne Grund. Die Vereinten Nationen warnen schon jetzt davor, dass es Frauen sein werden, die besonders unter den wirtschaftlichen Folgen der Krise leiden. Laut den UN arbeiten fast 60 Prozent der Frauen weltweit im informellen Sektor, sie verdienen weniger als Männer, können deswegen weniger sparen und haben ein größeres Risiko, in die Armut abzurutschen.
Gleichzeitig sind es im Moment gerade Frauen, die den Laden am Laufen halten. In der Europäischen Union etwa sind fast 80 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitssektor weiblich. Auch Angestellte im Supermarkt, die weiter verkaufen, und Putzkräfte, die weiter alles sauber halten, sind zum großen Teil Frauen. Sie sind allein aufgrund ihrer Arbeit einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
Es ist nicht das erste Mal, dass Frauen besonders von einer Krise betroffen sind. Studien infolge der Ebola-Epidemie in Westafrika zeigen etwa, dass Frauen verstärkt in Gefahr waren, sich anzustecken - auch weil es sie waren, die sich meist um die Infizierten kümmerten.
Codewort "Maske 19"
Für die Frauen, die in der Coronakrise zu Hause bleiben müssen, lauert in den eigenen vier Wänden eine andere Art der Gefahr. Evelyn Regner ist Europaabgeordnete für die österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ) und Vorsitzende im Ausschuss für Frauenrechte im EU Parlament.
"Wir wissen, dass jede dritte Frau schon ein Gewalterlebnis im engsten Kreis hatte", sagt Regner über Skype. Mit den Ausgangssperren sei die Zahl nun explodiert. Laut UN rufen in Italien 75 Prozent mehr Frauen bei Helplines an, in anderen Ländern haben sich die Anrufe verdoppelt.
Regner erzählt aber auch von Lichtblicken. In Spanien etwa können Frauen in Apotheken - einem der wenigen Orte, die sie in Zeiten von Ausgangssperren überhaupt noch betreten dürfen - Hilfe bekommen, wenn sie das Codewort "Maske 19" verwenden: Die Apotheker wissen dann Bescheid und alarmieren die Polizei.
"Corona verschärft die Krise", sagt Evelyn Regner - sei es Gewalt gegenüber Frauen, sei es die Kluft bei Gehältern oder die schwierige Lage von Alleinerziehenden. "Was vorher schon im Argen gelegen hat, wird jetzt noch gravierender."