Warum die Corona-Pandemie Spanien so hart trifft
14. Oktober 2020Als der 40-jährige Pablo Cerda aus Santiago de Chile zum Studieren nach Madrid kam, staunte er nicht schlecht: "Die Menschen leben auf sehr engem Raum." Nach der eigenen Wohnungssuche merkte der Filmemacher, dass es vor allem an den hohen Mieten lag, aber auch an der Bauweise: viele kleine Zimmer, teilweise ohne Fenster, auf vielen Etagen. Hinzu kamen - merkte er nach einiger Zeit - prekäre Arbeitsverhältnisse und Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Die Netto-Jahresgehälter sind gemäß Eurostat im Durchschnitt für eine spanische Familie mit zwei Kindern um mehr als 20.000 Euro niedriger als in Deutschland. Eine Studie des Wohn-Magazins Magazyne zeigt jedoch, dass eine passende Wohnung im Durchschnitt nur geringfügig billiger ist.
Bei seiner Ankunft im September 2019 kostete ein Ein-Zimmer-Studio im Zentrum der spanischen Hauptstadt zwischen 650 und 900 Euro Miete pro Monat. Daran hat sich auch durch die aktuelle wirtschaftliche Situation noch nicht viel geändert. Cerda strandete zunächst im Madrider Arbeiterviertel Vallecas, wo die Preise in den vergangenen vier Jahren nach Angaben des Immopartals Fotocasa aber ebenfalls um 21 Prozent gestiegen waren: "Mich interessierte jedoch das Ambiente dort." Hier erlebte er von März bis Mai den Lockdown in einem sechs Quadratmeter großen Zimmer, das trotzdem immer noch 350 Euro im Monat kostete.
Wenn das Zusammenleben gefährlich wird
"Diese Lebensverhältnisse verändern die Menschen, gerade in Zeiten der Pandemie", glaubt er. Die Restriktionen waren - und sind nun erneut - in Spanien besonders stark. Die Infektionszahlen bleiben dennoch auf hohem Niveau, da die Ballungsgebiete sich als Virenschleudern erweisen. Denn gerade dort sitzen nur wenige Menschen am Computer zuhause, sondern arbeiten im Krankenhaus, in der Altenpflege, im Restaurant oder als Putzfrau. Viele arbeiten schwarz. Sie können es sich nicht leisten, positiv getestet zu werden und eine ordentliche Isolierung ist in Wohngemeinschaften schwierig. Katalonien hat dem jetzt einen Regel vorgeschoben. Schon vor einigen Jahren hat Barcelona, das im vergangenen Jahr rund 30 Millionen ausländische Besucher zählte, wie Berlin die Anzahl der Tourismus-Wohnungen drastisch eingeschränkt, um Wohnraum frei zu machen. Jetzt wurden auch Mieterhöhungen gedeckelt.
Die dortige Regionalregierung unterscheidet jedoch zwischen institutionellen und privaten Investoren und setzt den Mietendeckel nicht in allen Städten ein. Besonders wichtig ist er jedoch in Barcelona, wo das Wohnraum-Problem auch ein Multiplikator war während der Pandemie, glaubt der dort lebende Holländer Jasper van Dorrestein: "Es sind nicht nur die verhältnismäßig hohen Mieten, sondern auch die Bedingungen, die von vielen Mietern gefordert werden wie mehrere Monatsmieten als Garantie, die man dann nicht mehr zurückbekommt, wenn man ausziehen will." Das hat die Zentralregierung im vergangenen Jahr ebenfalls geändert und die finanzielle Belastung für die Mieter reduziert. Aber es gibt immer noch viele nicht legale Mietvereinbarungen, wo andere Regeln gelten.
All das hilft aber derzeit auch nicht gegen Corona: Auch Katalonien hat am Mittwoch (14.10.) neue Maßnahmen beschlossen: Hotels dürfen keine Gäste mehr empfangen, Bars und Restaurants bleiben für 15 Tage geschlossen.
Fehler im System
"Es hapert einfach an unserem System", gibt Pedro Abella, Immobilien-Experte der IE University in Madrid, zu. Der städtische Grund sei zu teuer geworden in den vergangenen Jahrzehnten: "Es müssen deswegen mehr Sozialwohnungen gebaut werden, auf dem freien Boden in öffentlichem Besitz, der außerhalb en masse zur Verfügung steht." Nach verschiedenen Schätzungen stehen jedoch auch mehrere Millionen Wohnungen in Spanien leer bzw. nicht zum Verkauf zur Verfügung. Darunter auch Restbestände bei den Banken aus der vergangenen Finanzkrise - weitere werden in den kommenden Monaten wohl hinzukommen.
Diese leerstehenden Gebäude in Bank-Besitz werden immer häufiger besetzt, weil gerade Ausländer ohne Arbeitsvertrag oder Spanier mit geringen Einnahmen keine andere Möglichkeit sehen, an Wohnraum zu gelangen. Hunderttausende Ausländer haben zudem keine gültige Aufenthaltsgenehmigung. "Es muss dann bei der Vermietung immer einer herhalten, der einen Arbeitsvertrag hat. Der muss dann schauen, dass er die Miete von den anderen kriegt", weiß die 50-jährige Bulgarin Ivanka Ivanova aus eigener Erfahrung.
Spaniens Bebauungspläne sind veraltet
Hinzukommt, dass gemäß Eurostat die Lebenshaltungskosten in Spanien nur geringfügig niedriger sind als in Deutschland. Vor allem in den Städten klaffen Lebenskosten und Gehaltsniveau auseinander: "Madrid ist teuer im Vergleich zu Metropolen wie Paris oder Moskau", findet Kosmopolit Cerda, der bereits an vielen Orten der Welt gearbeitet und gelebt hat. Spanien ist sicherer als die meisten anderen Länder, wo er war. Aber er sieht auch hier Obdachlose und Bettler und viele hässliche Hochhäuser und Riesenkrankenhäuser direkt nebeneinander gebaut. Dabei hat Spanien eine der niedrigsten Bevölkerungsdichten in Europa und könnte in die Breite gehen: "Vor allem, wo wir doch eigentlich ein Problem der Entvölkerung auf dem Land haben", merkt Abella an.
Dass Menschen in Hochhäuser und Firmen in Gewerbegebiete zusammengepfercht werden, erklärt sich der spanische Filmkomponist Manuel Villalta auch mit einem kulturellen Unterschied: "Wir konzentrieren alles und lieben Ansammlungen. Ein Haus zu besitzen wie ich, ist für einen Spanier eher die Ausnahme. Jetzt in der Pandemie bin ich allerdings froh, dass ich allein wohne auf dem Land."
Aber die meisten der rund 300 Krankenbetten pro 100.000 Einwohner in Spanien - Deutschland kommt laut Eurostat 800 - stehen in Madrid, Barcelona, Bilbao, Valencia, Sevilla und nicht dort in der Sierra, wo Villalta wohnt. "Wenigstens einen Vorteil, den wir hier in Madrid haben", scherzt Cerda. Aber dafür ist dort die Ansteckungsgefahr auch besonders hoch. Ein Teufelskreis.