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Goethe-Medaille: Politischer Zündstoff in Georgien?

28. August 2023

Weil sie mutig und engagiert sind: Deutschland hat Kulturschaffende aus Georgien, Taiwan und Ungarn mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet. Und dabei keinen Konflikt gescheut.

Viele Fernsehbildschirme leuchten übereinander. Auf dreien ist ein Mann zu sehen, der künftige Träger der Goethe-Medaille Gaga Chkheidze
Der georgische Filmmanager Gaga Chkheidze, hier im Studion von TV Pirveli, erhält die Goethe-Medaille 2023, eine hohe kulturpolische AuszeichnungBild: Willie Schumann/Goethe Institut/DW

Gaga Chkheidze: Der filmbegeisterte Brückenbauer

06:39

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Der georgische Filmmanager Gaga Chkheidze hat das offizielle Ehrenzeichen des deutschen Staates in diesem Jahr ebenso erhalten wie der taiwanesische Kurator und Dramaturg Yi-Wie Keng und das Kuratorinnenkollektiv der OFF-Biennale aus Ungarn. Die Verleihung fand wie immer am 28. August, dem Geburtstag des deutschen Dichters Johann Wolfgang Goethe, in Weimar statt. Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Carola Lentz, überreichte die kulturpolitische Auszeichnung im Rahmen eines Festakts. Sie sagte bei der Verleihung, individuelle Freiheitsrechte der Künstler und Intellektuellen müssten gegen staatliche Übergriffe verteidigt werden. Das gelte auch für Versuche moralischer Indienstnahme. Kollektive Freiheitsräume müssten verteidigt werden, damit Menschen frei und kreativ denken können.

Der georgische Filmmanager Gaga ChkheidzeBild: Willie Schumann/Goethe Institut/DW

Vor allem im einstigen Ostblockland Georgien dürfte die Goethe-Medaille für politischen Zündstoff sorgen. Denn Filmmanager Gaga Chkheidze, bis vor kurzem noch Leiter des international renommierten "Tblissi Film Festivals", ist bei den Regierenden von der Partei des "Georgischen Traums" in Ungnade gefallen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 kritisierte er öffentlich, dass Georgien sich nicht sogleich von Russland distanzierte. 

Gaga Chkheidze: kultureller Brückenbauer

Das kostete ihn seine Stellung als Leiter des nationalen Filmzentrums. Mehr noch: Die nationale Filmförderorganisation, der Georgian Film Fund, schloss ihn aus. Das Büro des Filmfests auf dem Gelände der alten sowjetischen Filmstudios wurde geschlossen, Filmförderungen gestrichen, das Budget des Filmfestivals gekürzt.

Der 1957 in Georgien geborene Gaga Chkheidze gilt seit jeher als ein Freund Deutschlands und als "kultureller Brückenbauer", nicht nur zwischen beiden Ländern. Von 1976 bis 1980 studierte er im thüringischen Jena. In den 1980er-Jahren arbeitete er als Direktor der deutschen Schule in Tbilissi (Tiflis) und unterrichtete deutsche Literatur an der staatlichen Ilia-Universität der georgischen Hauptstadt. 1988 organisierte er in Berlin eine georgische Filmretrospektive; dafür schmuggelte er sogar Filme mit seinem Auto über die sowjetische Grenze. In den 1990er-Jahren war er Übersetzer und Programmkoordinator für das Forum des Jungen Films bei denInternationalen Filmfestspielen Berlin, bevor er 2000 das "Tbilissi International Filmfestival" in Georgien aus der Taufe hob.

Filmfestival Tiflis gerät unter Druck

Fast zeitgleich verlieh die Gründung eines Nationalen Filminstituts in Tiflis dem georgischen Film neuen Schub. Das Budget für die Filmförderung wurde verdreifacht, Kinosäle schossen aus dem Boden, und immer mehr Filme schafften es zu internationalen Festivals, von Berlin bis Toronto. Das georgische Kino rückte näher an den europäischen Filmmarkt. "Gaga Chkheidzes Engagement im Bereich des Films ist ausschlaggebend für die Anbindung Georgiens an europäische und internationale Institutionen und Programme, Filmmärkte und Festivals", lobt denn auch die Preisjury der Goethe-Medaille.

Soll Zeichen setzen: Die Goethe-Medaille, verliehen vom Goethe-Institut am Geburtstag des deutschen LiteratenBild: arifoto UG/dpa/picture alliance

Kein Zweifel: Chkheidzes Festivalidee traf bei Filmschaffenden und Cienasten ins Schwarze. Zuletzt jedoch geriet das Festival zunehmend unter Druck, wie der Rauswurf Chkheidzes zeigt. Russlands Überfall auf die Ukraine hatte Auswirkungen auch auf Georgien. "Leider sind wir hier in Georgien an der Frontlinie zwischen der Demokratie und der Autokratie", sagte der Filmenthusiast unlängst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Der Staat steuere in eine falsche Richtung, dafür gebe es viele Anzeichen. "Das bewegt sich mehr zum Autoritarismus, Diktatur möchte ich nicht sagen, aber Totalitarismus, das haben wir schon gehabt in der sowjetischen Zeit. Das will kein Mensch mehr haben in Georgien." Die Gefahr sei real. 

Tatsächlich schaukelt Georgien nach Einschätzung von Beobachtern heute zwischen Moskau und Brüssel. 15 Jahre nach dem Krieg mit Russlandstrebt das Land offiziell in die EU, das Georgien eine Beitrittsperspektive gewährt, den Status als Beitrittskandidat aber noch verwehrt. "Die Gesellschaft ist völlig gespalten", zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Tifliser Soziologen Iago Kaschkatschischwili. "Die Mehrheit will in die EU, aber viele verstehen kaum, dass der Weg lang ist." Die Regierungspartei "Georgischer Traum" gibt sich russlandfreundlich. Ihr Vorsitzender Irakli Kobachidse erinnert an die hohen Tourismuseinnahmen durch Russen, umgerechnet rund 900 Millionen Euro. Zwar trete Georgiens Regierung nach außen immer wieder proeuropäisch auf, sagt Kaschkatschischwili. "Aber sie tut nichts für einen EU-Kurs, wird vielmehr immer prorussischer."

Die georgische Filmemacherin Salome Jashi. Ihr Film "Taming the Garden" darf in georgischen Kinos nicht laufenBild: Willie Schumann/Goethe Institut/DW

Ein Bild von der Lage der georgischen Gesellschaft zeichnete schon vor zwei Jahren der Dokumentarfilm "Taming the Garden". Die georgische Regisseurin Salome Jashi erzählt darin die Geschichte von jahr­hun­der­te­alten Bäumen, die ein einfluss­rei­cher Mann für seinen Privatpark sammelt. Der Mann - mutmaßlich Georgiens Ex-Ministerpräsident und Parteiführer Bidsina Iwanischwili, der sein Milliardenvermögen im Finanz- und Rohstoffgeschäft gemacht hat - bleibt im Film unerwähnt. Jashis Thema ist vielmehr die Entwur­ze­lung der Menschen, in realer wie meta­pho­ri­scher Bedeu­tung. Auf den Filmfestivals der Welt, darunter der Berlinale 2021 in Berlin, sorgte "Taming the Garden" für Aufsehen. In georgischen Kinos darf der Film bis heute nicht laufen. 

In diese politische Gemengelange, Georgiens Ringen um seinen Kurs zwischen Russland und dem Westen, stößt nun die Goethe-Medaille für Gaga Chkheidze. Im prorussischen Lager könnte die hohe kulturpolitische Auszeichnung als Affront verstanden werden. Für prowestliche Akteure wird die Verleihung ein Zeichen der Ermutigung sein. Für Aufsehen in Tiflis dürfte die Goethe-Medaille in jedem Fall sorgen.

Machte sich verdient um den Kulturaustausch mit Deutschland: Der taiwanische Dramaturg und Festivalkurator Yi-Wei KengBild: Willie Schumann/Goethe Institut/DW

Ehrungen auch für Taiwan und Budapest 

Eine weitere Goethe-Medaille ging in diesem Jahr nach Taiwan. Geehrt wird der Kurator, Dramaturg und Übersetzer Yi-Wei Keng. Er habe wichtige Impulse in die taiwanische Theaterszene eingebracht, teilt das Goethe-Institut mit, unter anderem in den Bereichen experimentelles Theater, Kindertheater und Theater für Menschen mit Behinderung. So habe sich das Taipei Arts Festival unter seiner Leitung zum wichtigsten Festival für performative Künste in Taiwan entwickelt. Verwiesen wird auf Gastspiele und Koproduktionen mit Akteuren in Europa, den USA und Japan. Auch holte Yi-Wei Keng deutsche Theaterproduktionen, etwa des Deutschen Theaters Berlin, der Gruppe Rimini Protokoll oder von Raumlabor Berlin nach Taiwan. Yi-Wei Keng, geboren 1969 in Taiwan, studierte zunächst Philosophie. In Prag beschäftigte er sich mit nonverbalem Theater. Zurück in Taiwan begann er neben seiner Autorentätigkeit mit der Theaterarbeit. Seit 2012 ist er künstlerischer Leiter des Taipei Arts Festivals.

Luna de Rosa, die Romni und Künstlerin Luna de Rosa in ihrer Performance bei der OFF-Biennale Budapest. Das Kuratorenkollektiv erhält die Goethe-Medaille 2023Bild: Willie Schumann/Goethe Institut/DW

Die dritte Goethe-Medaille schließlich ehrt die OFF-Biennale Budapest. Die 2014 als "Garagenbiennale” gegründete Kunstschau versteht sich als basisdemokratische Bewegung zur Stärkung der lokalen Kunstszene in Ungarn. Zunächst von einer Handvoll Kunstexpertinnen und Kunstexperten getragen, hat sich das Projekt inzwischen zu einer unabhängigen Plattform für Künstlerinnen, Künstler und Kunstinteressierte entwickelt.

Das aus sechs Kuratorinnen bestehende Kollektiv der OFF Biennale lehnt öffentliche Zuschüsse ebenso ab wie die Zusammenarbeit mit staatlichen Kulturinstitutionen. Bereits in ihrem ersten Jahr zog die Kunstschau viel internationale Aufmerksamkeit auf sich. Mit bislang drei Ausgaben - 2015, 2017 und 2021 - gilt sie inzwischen als international beachtete Veranstaltung. Zuletzt war die Off Biennale Budapest mit zwei Projekten zur documenta fifteen in Kassel eingeladen. 

Dieser Artikel wurde am 28.08.2023 aktualisiert.

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