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Politik

Kurden marschieren nicht in Mossul ein

Lewis Sanders IV
3. November 2016

Nach Rücksprache mit der irakischen Führung haben die Peschmerga-Kämpfer den Angriff auf Mossul gestoppt. Warum sich die kurdischen Einheiten zurückhalten, erklärt Tomas Olivier von der Beraterfirma Lowlands Solutions.

Irak | Ein Peshmerga-Soldat bei der Inspektion eines Hauses
Bild: picture-alliance/abaca/A. Izgi

Während die irakischen Truppen weiter versuchen, die Millionenstadt Mossul im Nordirak aus den Händen des "Islamischen Staats" (IS) zu befreien, stellt sich die Frage, wie der Kampf ausgehen wird und wer sich daran beteiligt. Die kampferprobten Peschmerga, die sich bereits einige Erfolge gegen die IS-Dschihadisten auf die Fahnen schreiben können, kündigten an, sich beim Sturm auf die IS-Hochburg Mossul zurückzuhalten und sich nicht den irakischen Regierungstruppen beim Vordringen in die Innenstadtviertel anzuschließen.

Im Deutsche-Welle-Interview erklärt Tomas Olivier, Geschäftsführer der niederländischen Sicherheitsberatungsfirma Lowlands Solutions und früher hoher Mitarbeiter im Verteidigungsministerium der Niederlande, die Taktik hinter der laufenden Offensive gegen den IS im Irak.

Deutsche Welle: Warum haben ausgerechnet die Kurden, die ja als eine der effektivsten Truppen im Kampf gegen den IS gelten, ihr Vorrücken auf Mossul gestoppt?

Olivier: Der Anführer der Perschmerga-Kämpfer, Massud Barsani, hat diese Enscheidung ja bereits vor etwa einer Woche verkündet. Trotz der engen Kooperation mit den irakischen Regierungstruppen haben die Peschmerga entschieden, sich auf andere Widerstandsnester des "Islamischen Staats" im Irak zu konzentrieren, insbesondere auf die kurdisch kontrollierte Stadt Kirkuk, in der die IS-Kämpfer als Reaktion auf das Vorrücken der irakischen Regierungstruppen auf Mossul extrem brutale Gewalttaten verüben.

Hinzu kommt, dass die Perschmerga die türkische Militärbasis in Baschika, einem Außenbezirk von Mossul, in den Fokus nehmen wollen. In einer Erklärung hatte sich Barsani strikt gegen eine Beteiligung von nichtirakischen Akteuren bei der Befreiung von Mossul ausgesprochen.

Was erwartet die irakischen Regierungstruppen in der nächsten Phase der Befreiung von Mossul? Wird es einen Häuserkampf geben?

Ein Straßenkampf in der Stadt ist sehr wahrscheinlich, vor allem, weil IS-Einheiten bereits alles vorbereitet haben, um in einigen Stadtteilen erbitterten Widerstand leisten zu können.Das US-Militär geht davon aus, dass sich etwa 4000 bis 5000 IS-Kämpfer in der Stadt befinden. Deshalb ist davon auszugehen, dass die Vertreibung der Dschihadisten sicherlich mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate dauern wird.

Der IS hatte genügend Zeit, um ein ganzes Widerstands-Netzwerk aufzubauen, etwa ein Tunnelsystem und befestigte Verteidigungsstellungen. Derzeit nutzen die Dschihadisten nicht nur Handfeuerwaffen sondern auch Panzerfäuste und Selbstmordattentäter, um das Vorrücken der irakischen Regierungstruppen aufzuhalten.

Im sehr wahrscheinlichen Fall eines Straßenkampfes muss die Armee extrem vorsichtig vorgehen, um ihre Verluste kleinzuhalten. Wegen des Risikos von Todesopfern unter der Zivilbevölkerung von Mossul kann die US-Koalition im direkten Umfeld der vorrückenden irakischen Truppen lediglich Präzisionswaffen einsetzen. Das Szenario eines Häuserkampfes ist daher die einzig praktikable und effektive militärische Option, um alle IS-Widerstandsnester in Mossul zu zerstören.

Was heißt das im Vergleich zu früheren Operationen?

Da sie keine toten Zivilisten riskieren dürfen, können die US-geführte Militärkoalition und die irakische Armee keine Unterstützung aus der Luft anfordern. Wir haben hier den klassischen Fall von Gefechten innerhalb einer Stadt, das heißt, die Regierungstruppen müssen mit sehr viel Geduld vorgehen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Jedes Viertel, jedes Haus, jede Fläche muss durchforstet und gesichert werden. Weil Mossul eine flächenmäßig sehr große Stadt ist, wird dies, wie bereits gesagt, sicherlich Monate dauern.

Irakische Soldaten rücken in einen Vorort von Mossul einBild: picture-alliance/AP Photo/M. Drobnjakovic)

Mit welcher Reaktion des IS rechnet man? Werden die Extremisten versuchen, die Stellung zu halten, oder werden sie fliehen? Und welchen Einfluss wird das auf die irakische Militäroperation haben?

Auch wenn es in den vergangenen Wochen immer wieder Beispiele für IS-Deserteure gegeben haben mag, ist davon auszugehen, dass weiterhin viele Kämpfer in Mossul präsent sind, die zum innersten Kern des "Islamischen Staats" gehören. Und die werden sicherlich den Kampf aufnehmen, denn sie haben bisher keinerlei Absicht gezeigt, die weiße Flagge zu schwenken, um es mal so auszudrücken. Mit breiter Gegenwehr ist auch deswegen zu rechnen, weil in den vergangenen Wochen viele vermeintliche Deserteure vom IS öffentlich hingerichtet worden sind.

In einer 'Abschirm-Operation' werden schiitische Verbände, etwa die "Volksschutz-Einheiten", die vom Iran unterstützt werden, und kurdische Verbündete den IS-Kämpfern die Fluchtrouten in die westlichen und nördlichen Stadtteile abschneiden. Außerdem geht man davon aus, dass den irakischen Truppen bewusst ist, dass sie kein Nachmittagsspaziergang erwartet und dass sie sich auf eine langsame Befreiungsaktion wie aus dem militärischen Lehrbuch vorbereitet haben.

Wann wird Mossul befreit sein, und wie wird sich die Situation dann darstellen?

Was nach der Befreiung Mossuls passieren wird - das ist ohne Zweifel die wichtigste Frage, vor der die internationale Gemeinschaft, die US-geführte Militärkoalition und die irakische Armee derzeit stehen. Historisch betrachtet, wurde die Ninawa-Provinz bisher von sunnitischen Arabern kontrolliert, doch in der Region leben auch viele andere ethnische und konfessionelle Gruppen.Daher ist das Risiko einer Verschärfung konfessioneller Spannungen sehr hoch. Aus diesem Grund wurde etwa vereinbart, dass die vom Iran unterstützten, schiitischen Militärs nicht ins Stadtgebiet von Mossul vordringen sollen. Ein weiterer wichtiger Faktor werden die Entwicklungen zwischen der irakischen und der türkischen Regierung sein, und zwar mit Blick auf die aktuelle Präsenz türkischer Truppen in der Nachbarschaft von Mossul sowie die derzeitige Stationierung von bewaffneten türkischen Einheiten an der türkisch-irakischen Grenze.

Viele Bewohner Mossuls fühlten sich [schon vor der Einnahme durch den IS, Anm. d. Red.] von der schiitisch-arabischen Regierung in Bagdad entfremdet. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass die Veränderungen nach einer Befreiung Mossuls zu einer schnellen und geräuschlosen Vereinigung all dieser ethnischen und konfessionellen Gruppen führen wird. Der wahre Kampf beginnt vielmehr mit dem Tag, an dem Mossul als vom IS befreit erklärt wird.

Das Interview führte Lewis Sanders.

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