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Politik

Warum die Litauer Deutschland nicht trauen

14. September 2018

Angela Merkel besucht an diesem Freitag Litauen. Die wichtigsten Gesprächsthemen: der NATO-Einsatz der Bundeswehr und die Gaspipeline Nord Stream 2. Gerade die Russland-Politik der Deutschen verunsichert viele im Land.

Belgien - NATO Gipfel in Brüssel: Angela Merkel und Dalia Grybauskaite
Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim NATO-Gipfel in Brüssel im Juli 2018Bild: Imago/S. Minkoff

"Die Litauer haben wieder Pech gehabt. Die Esten haben die Briten, für die Letten sind es die Kanadier, die Polen haben die Amerikaner - alles große Kampftruppen. Und nur wir kriegen die Deutschen!" So äußert sich ein Banker aus Wilna zum Einsatz eines von Deutschland geführten multinationalen NATO-Bataillons in Rukla, einer kleinen Stadt in Zentral-Litauen.

Der Einsatz begann 2017 im Rahmen der "Enhanced Forward Presence" (Verstärkte Vorwärtspräsenz) der Allianz, die Teil eines größeren Einsatzes alliierter Truppen in den baltischen Staaten und Polen ist. Damit will man Russland von jeglichen Versuchen zur Destabilisierung der Region abhalten. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag zu ihrem dritten Besuch nach Wilna kommt, muss sie bedenken: Die litauische Öffentlichkeit hält die deutsche Russland-Politik für fragwürdig.

Sicherlich ist Merkel eine herausragende Figur in der europäischen Politik und zweifellos ein willkommener Gast in Litauen, wo sie mit Präsidentin Dalia Grybauskaite und den Premierministern aller drei baltischen Staaten Gespräche führen und die deutschen Truppen in Rukla besuchen wird. Deutschland ist der drittgrößte ausländische Investor Litauens, wobei 500 seiner Unternehmen schon heute mehr als 17.000 Arbeitsplätze bieten. 1000 weitere sollen bald hinzukommen: Continental, einer der weltweit führenden Automobilzulieferer, hat in diesem Sommer mit dem Bau eines Werkes in der Nähe von Litauens zweitgrößter Stadt Kaunas begonnen. Kosten: 95 Millionen Euro. Auch die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ist stark. Litauen kauft deutsche Haubitzen, gepanzerte Fahrzeuge und andere militärische Ausrüstung.

Misstrauische Öffentlichkeit 

Doch durch Berlins Bereitschaft, den Dialog mit Moskau aufrechtzuerhalten, entsteht bei vielen Litauern der Eindruck, dass Deutschland kein besonders zuverlässiger NATO-Verbündeter ist. Im Baltikum wird das bestenfalls als Zeitverschwendung und schlimmstenfalls als gefährliche Schwäche angesehen. Meinungsumfragen, wie eine des Pew Research Center von 2017, scheinen das zu bestätigen. Demnach fanden nur 40 Prozent der deutschen Befragten, dass ihr Land für einen NATO-Verbündeten kämpfen sollte, der in einen schweren militärischen Konflikt mit Russland gerät - eine der niedrigsten Zahlen unter den 29 Bündnismitgliedern.

Ein Litauer, der in Deutschland die Werbung der Bundeswehr gesehen hat, in der sie die humanitären Aspekte ihrer Auslandseinsätze in den Vordergrund stellt, scherzt: "Wenn Putin kommt, brauchen wir die Deutschen nicht, um unsere Kindergärten zu reparieren, wir brauchen sie, um gerade zu schießen - und zwar schnell!"

Mehr Vertrauen als in der Bevölkerung herrscht bei den Entscheidungsträgern Litauens in die Stärke Deutschlands - und insbesondere Merkels: "Wir dürfen nicht vergessen, dass es die Kanzlerin war, die ihre skeptischen Generäle davon überzeugt hat, dass sie die Führung und Speerspitze der verstärkten Vorwärtspräsenz der NATO in Litauen übernehmen sollten", sagte ein NATO-Diplomat mit Kenntnis der Allianzberatungen von 2016/2017 der DW. "Sie ist auch eine starke Unterstützerin von Sanktionen gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine. Es besteht kein Zweifel, dass Merkel sich persönlich für diese Politik einsetzt."

Die litauische politische Klasse und die Beamten des Außenministeriums sind über die Entschlossenheit der Bundeswehr, die Russen im Falle eines Krieges einzubeziehen, weniger besorgt als die breite Öffentlichkeit. "Wenn sie es nicht tun, ist es das Ende der NATO, und ich glaube nicht, dass Berlin die Ursache dafür sein will", heißt es in Wilna.

"Putins Pipeline" erschüttert die Balten

Und es gibt noch ein weiteres Problem, das Wilna und andere baltische Hauptstädte mit Deutschland in Konflikt bringt: das Projekt Nordstream, die Offshore-Ostsee-Gaspipeline, bei der Gazprom, russischer Erdgasmonopolist, mit deutschen, niederländischen und französischen Unternehmen zusammenarbeitet. Deutschland ist der Haupttreiber des Projekts. Die zweite Phase, Nord Stream 2, geht langsam trotz der Einwände der baltischen Staaten und Polens voran. Sie fürchten, dass das Projekt die Abhängigkeit der EU von russischem Gas erhöht und Polen sowie der Ukraine Einnahmen verwehrt bleiben, die sie aus dem derzeitigen russischen Gastransit nach Mittel- und Osteuropa erzielen. 

Aber das Kabinett von Angela Merkel bevorzugt einen praktischen Ansatz. Sie behauptet, sie wolle sich nicht in Entscheidungen privater Unternehmen einmischen.

"Die Litauer sehen diese Haltung als stillschweigende Unterstützung für Nord Stream", sagte Vygaudas Usackas der DW. Der ehemalige Außenminister und ehemalige EU-Botschafter in Russland will bei den Wahlen 2019 als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen. "Die EU-Kommission hat bereits gesagt, dass das Projekt dem erklärten Ziel einer Diversifizierung der Energieversorgung der Union widerspricht. Als eine führende europäische Macht sollte Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen."

Nord Stream 2 wird ganz oben auf der Tagesordnung stehen

"Nord Stream bedroht unsere Sicherheit. Es importiert auch Korruption und Schattenwirtschaft in die EU", sagt Dovile Sukyte vom Eastern Europe Study Center in Wilna. "Litauen investiert stark in Energieprojekte, die die Abhängigkeit von Russland verringern. Hier wissen wir, dass es sich lohnt, mehr zu bezahlen, wenn es unsere Unabhängigkeit erhöht. Ich bin mir nicht sicher, ob die deutsche Wirtschaft und die deutsche Diplomatie den Umgang mit Russland auf die gleiche Weise betrachten. Schließlich steht ihre Unabhängigkeit nicht auf dem Spiel."

Diplomatische Beobachter in Wilna sind überzeugt, dass das Schicksal von Nord Stream 2 bei Merkels Gesprächen mit den baltischen Premierministern, insbesondere aber mit Präsidentin Grybauskaite, ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird. Ein ehemaliger Diplomat meint: "Die Präsidentin wird die Kanzlerin nicht öffentlich in Verlegenheit bringen, aber ich bin sicher, dass sie das Thema auf die direkteste und ehrlichste Weise unter vier Augen ansprechen wird."

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