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Warum die Lufthansa mit der Luftwaffe flirtet

14. Juni 2024

Die Zeitenwende verändert auch die Technik- und Wartungstochter Lufthansa Technik. Was früher ein Nebengeschäft war, wird jetzt in einer eigenen Militärsparte gezielt vorangetrieben.

Symbolbild P-8-Aufklärungsflugzeug
Von der Bundesluftwaffe bestellt: Seefernaufklärer Boeing P-8Bild: StockTrek Images/IMAGO

Der Markt für die Wartung von Militär-Flugzeugen ist mächtig in Bewegung. Was vor Jahren noch als völlig undenkbar galt, schlägt sich mittlerweile auf dem Jobmarkt nieder. Experten für den wachsenden Markt der Wartung von militärischem Fluggerät werden so händeringend gesucht, dass Unternehmen wie die Lufthansa Technik (LHT) sogar die Umschulung und Weiterbildung von branchenfremden Mitarbeitern in Kauf nehmen. Und oft kommen diese neuen Experten von Automobil-Zulieferern, deren Jobs durch die Umstellung auf Elektro-Autos zum Auslaufmodell geworden sind.

"Die Lufthansa Technik wirbt bei ihrer Suche nach Fachkräften beispielsweise Mechatroniker aus dem Automobilbereich ab", bestätigt Luftfahrt-Experte Heinrich Großbongardt diesen Trend im Interview mit der DW. "Die haben eine gute Ausbildung und werden zu Flugzeugmechanikern umgeschult. Früher undenkbar!"

Der Angriff Russlands auf die Ukraine führt zu milliardenschweren Investitionen in neues Fluggerät. Das lässt neue Geschäftsfelder entstehen und gibt etablierten Unternehmen einen neuen Wachstumsschub. Wie im Falle der Lufthansa Technik, die vor kurzem die Unterabteilung LHT Defense gegründet hat. LHT ist die Wartungs- und Instandhaltungstochter der deutschen Lufthansa. Sie betreut nach eigenen Angaben weltweit mehr als 800 Kunden und hat mehr als 20.000 Mitarbeiter.

Zeitenwende erreicht Kranich-Linie

"Wenn ich zehn Jahre zurückdenke, wäre das bei der Lufthansa Technik eigentlich kaum vorstellbar gewesen. Es wäre auch im Lufthansa Konzern kaum so ohne weiteres vorstellbar gewesen, wenn man an Dinge wie das ESG-Ranking denkt, die Bewertung von großen Unternehmen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit", bringt es Großbongardt auf den Punkt. ESG steht für Environment, Social und Governance - Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. "Da war Defense eigentlich immer 'igittigitt', also etwas Ekliges", so der Hamburger Branchenkenner.

Deutsche Berührungsängste

Viele Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft war in großen Teilen der deutschen Gesellschaft alles Militärische verpönt. Deutsche Rüstungstechnologie war zwar im Ausland gefragt, aber in der deutschen Politik und Gesellschaft ein Streitthema. Spätestens nach dem Angriff Russlands und der Ankündigung der Bundesregierung, 100 Milliarden Euro in die Stärkung des deutschen Militärs zu investieren, hat sich das geändert. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach einer "Zeitenwende".

"Auch da erleben wir natürlich eine Neubewertung, das war völlig wirklichkeitsfremd", fasst Großbongardt die Debatte über das Militär zusammen. Und auch für die Lufthansa sei es kein negativ besetztes Thema mehr. Im ersten Schritt geht es um die Wartung von fünf Boeing P-8 Poseidon Seefernaufklärern (Artikelbild), die die Bundesmarine Ende Juni 2021 bestellt hatte. Neben den USA, Australien, Indien, Großbritannien, Norwegen, Südkorea und Neuseeland ist Deutschland der achte Kunde, der die Boeing Poseidon in diesem Winter in Dienst stellen wird.

Ziviles Know-how für Militärflieger

"Diese Flugzeuge sind im Kern zivile Boeing 737, also ganz normale Verkehrsflugzeuge, in die dann militärische Systeme eingebaut worden sind", so Großbongardt. Und in der Wartung dieser Boeing 737 habe Lufthansa eine Menge Erfahrung. "Da ist sehr, sehr frühzeitig schon gefragt worden, okay, wer kann das in Deutschland machen? Und da kommt man an der Lufthansa Technik nicht vorbei, zumal sie auch schon über die Instandhaltung und den Innenausbau der deutschen Regierungsflugzeuge sehr stark im Government-Geschäft drin ist."

Ein Airbus A340-300 der Flugbereitschaft der Bundeswehr für Flüge der BundesregierungBild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

Es mache Sinn für die Bundeswehr und für Deutschland, in die Wartung einzusteigen. Denn es wäre viel teurer, wenn die Bundeswehr diese Kapazitäten neu aufbauen und die notwendige Ersatzteil-Bevorratung leisten würde. "Lufthansa kann da einfach aus dem Vorhandenen schöpfen und es macht auch für die Airline Sinn, weil es letztlich Arbeitsplätze am Standort Hamburg schafft."

International genieße Lufthansa Technik einen ausgezeichneten Ruf, unterstreicht Großbongardt. "Wie die Amerikaner so schön sagen, ist LHT der 800-Pound-Gorilla im Wartungsmarkt für Verkehrsflugzeuge. Das heißt, Lufthansa-Technik gehört im Bereich der technischen Betreuung von Verkehrsflugzeugen und Triebwerken und allen Komponenten weltweit zur absoluten Spitze. An denen kommt keiner so einfach vorbei."

Auch Hubschrauber im Visier

Mitte Mai stand bei Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius ein Besuch beim US-Rüstungsunternehmen Boeing in Philadelphia auf dem Programm, das außer dem Auftrag für die Poseidon-Marineflieger auch eine Order für 60 schwere Transport-Hubschrauber vom Typ CH47-F Chinook aus Deutschland bekommen hat. Auch da will die Lufthansa bei Wartung und Ersatzteilbeschaffung mitspielen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (M.) besichtigt einen Chinook-Hubschrauber beim Besuch von Boeing in PhiladelphiaBild: Britta Pedersen/dpa/picture alliance

Außerdem will sich LHT bei der Wartung der von der deutschen Luftwaffe bestellten 35 Tarnkappenbomber F-35 des US-Herstellers Lockheed beteiligen. Und wenn die NATO in den nächsten Jahren ihre Awacs-Radarflugzeuge durch den neuen Typ E-7 ersetzt, rechnet sich LHT-Chef Sören Stark ebenfalls gute Chancen aus.

"Es gehört seit Jahrzehnten zu unserer DNA, neue Flugzeuge und deren Technik in kürzester Zeit zu verstehen und zu betreuen", sagte der Manager gegenüber dem Handelsblatt. "Die Modifikation der zivilen Boeing 737 zu E-7-Flugzeugen der Nato könnten wir in enger Abstimmung mit Boeing auch in Hamburg leisten", so Stark.

Jobs für Spezialisten in Deutschland

Das ist das Besondere am neuen Kapitel, das LHT aufschlägt. Diesmal entstehen die neuen Jobs nicht an den Lufthansa Technik-Standorten in Malta, Sofia oder Manila, sondern in Deutschland.

Sich um die Wartung der neuen NATO-Radarflugzeuge zu bewerben, ist auch aus Sicht von Heinrich Großbongardt ein kluger Schachzug. Auch hier könne LHT ihre Erfahrung mit einem gängigen zivilen Boeing-Jet in die Waagschale werfen. Das Nachfolgemodell, die E-7 Wedgetail, basiert auf der zivilen Boeing 737. "Und wenn ich erst mal dort den Fuß in der Tür habe, dann gibt es auch an anderen Stellen weiteres Potenzial mit Blick auf die NATO", so der Luftfahrt-Experte.

LHT-Chef Sören Stark hat ehrgeizige Pläne: Bis 2030 soll der Umsatz von zuletzt 6,5 Milliarden Euro (7 Milliarden US-Dollar) auf mehr als zehn Milliarden Euro (10,8 Milliarden US-Dollar) steigen. Den Gewinn will Stark von knapp 630 Millionen Euro (681 Milliarden US-Dollar) auf über eine Milliarde Euro (1,1 Milliarden US-Dollar) hochschrauben. Die Ziele sind zwar ehrgeizig, aber wohl nicht unrealistisch.

"Ich sehe für Lufthansa Technik sehr gute Chancen, bei den US-basierten Programmen als Generalunternehmer zu agieren", wird Luftfahrtberater Michael Santo vom Beratungsunternehmen H und Z im Handelsblatt zitiert. Dass LHT in Zukunft bei Militärfliegern mehr als Flugzeugtechnik und Triebwerke warten will, ist für den Experten Großbongardt eher unwahrscheinlich. "Die Lufthansa Technik wird nie in die Waffentechnik reingehen, da hat sie auch keine Kompetenz."

Er rechnet eher damit, dass sich LHT dafür Partner ins Boot holt. "Die Lufthansa Technik wäre dann der Hauptauftragnehmer und kümmert sich wirklich nur um Triebwerk und Flugzeug. Und alles, was mit Waffenelektronik, Waffen- und  Radarsystemen zu tun hat, darum wird sich dann ein Partner kümmern."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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