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PolitikFrankreich

Warum ein schwaches Frankreich die EU schwächt

5. Dezember 2024

Regierungskrise in Frankreich, Wahlkampf in Deutschland: Die beiden wichtigsten EU-Staaten sind mit sich selbst beschäftigt. Das macht die EU nicht stärker. Und Trump steht vor der Tür. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Frankreich Paris | Präsident Emmanuel Macron
Frankreichs Präsident Macron: Er muss die zweite Regierung ohne parlamentarische Mehrheit aus dem Hut zaubern (Archiv)Bild: Dylan Martinez/Pool via AP/picture alliance

"Das Regieren mit diesem Parlament ist unmöglich," stöhnte der enttäuschte Premierminister Michel Barnier, als er sich von seinem Kabinett verabschiedete. "Ich wünsche der nächsten Mannschaft viel Glück", fügte er hinzu.

Barnier wurde nach nur 91 Tagen durch ein Misstrauensvotum des Linksbündnisses und des rechtsextremen "Rassemblement National" von Marine Le Pen aus dem Amt gefegt. Er Barnier hatte im Parlament keine eigene Mehrheit. Nach der Wahl im Juli ist die Nationalversammlung in Paris in drei fast gleich große Lager gespalten –  links, liberal-konservativ und rechts –, die nicht miteinander koalieren wollen. Das Land ist derzeit unregierbar, meinen viele Analysten in Frankreich.

Michel Barnier: Kürzeste Amtszeit als Premier in der jüngeren französischen GeschichteBild: Aurelien Morissard/Xinhua/dpa/picture alliance

Macron ist am Zug

Verursacht wurde das Debakel von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er hatte die Neuwahlen im Sommer überraschend angesetzt, um seine liberale Partei zu stärken –  und sich damit gewaltig verzockt. Jetzt könnte sein eigener Stuhl wackeln.

Die rechtsextreme Dauerkandidatin für das Präsidentenamt, Marine Le Pen, fordert lautstark seinen Rücktritt. Sie hat bereits zweimal gegen Emmanuel Macron verloren und will bei den nächsten Präsidentschaftswahlen, die regulär im April 2027 anstehen, erneut antreten.

Präsident Macron macht aber keine Anstalten abzutreten. Es wird erwartet, dass er möglichst schnell eine neue Kandidatin oder einen Kandidaten präsentiert. Vielleicht noch vor dem Wochenende, an dem sich Macron vor zahlreichen Staatsgästen und Donald Trump in Paris bei der Wiedereröffnung der restaurierten Kathedrale Notre Dame glanzvoll inszenieren will.

Frankreichs Schulden wachsen zu schnell

Macron hat den geschassten Barnier gebeten, vorläufig geschäftsführend im Amt zu bleiben. Denn das Problem ist, dass der von ihm aufgestellte Sparhaushalt für das kommende Jahr nicht verabschiedet wurde. Dieser hatte eine Konsolidierung der Staatsfinanzen vorgesehen. Eine solche wäre dringend nötig, denn das Haushaltsdefizit der öffentlichen Kassen beträgt in diesem Jahr 6,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts, doppelt so viel wie nach den Schuldenregeln der Europäischen Union zulässig ist.

Die Finanzmärkte, auf denen der französische Finanzminister den Schuldenberg von über 100 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung refinanzieren muss, haben bislang relativ stillgehalten. Sie könnten aber angesichts der tiefen Regierungskrise die Kreditwürdigkeit des Landes herabstufen, so die Kosten für die Staatsschulden enorm erhöhen und Frankreich damit fiskalpolitisch handlungsunfähig machen.

Der christdemokratische Europaabgeordnete und Finanzexperte Markus Ferber warnt: "Frankreich ist das Sorgenkind Europas. Die Finanzmärkte sind hoch nervös und zwar zurecht, das spiegelt sich in steigenden Renditen für französische Staatsanleihen." Das Risiko, dass die Krise auf die Eurozone, also die Länder mit der Währung Euro, überschwappt, sei so groß wie nie seit der Staatschuldenkrise um Griechenland, Zypern, Spanien und Irland vom 2009 bis 2015.

"Schnelle Regierungsbildung wäre hilfreich"

Sophie Pornschlegel von der europäischen Denkfabrik "Jacques Delors Centre" in Berlin, sieht die Lage kritisch: "Wir brauchen eine französische Regierung, die sich dafür einsetzt, dass europäische Gesetze verabschiedet werden. Je schneller es eine neue Regierung gibt, desto besser", sagt die Politologin gegenüber der DW.

Sie warnt aber auch vor Alarmismus. In der Rückschau seien die Auswirkungen auf die EU durch die langwierige Regierungsbildung nach der Neuwahl im Sommer überschaubar gewesen. Das könne auch daran gelegen haben, dass die neue EU-Kommission nach den Europawahlen noch nicht im Amt war. "Es gibt auch die Möglichkeit, dass die politische Krise nicht allzu groß wird, vorausgesetzt, es wird schnell eine neue Regierung gebildet."

Zwei "lahme Enten" ohne Mehrheit: Präsident Macron (li.) und Bundeskanzler Scholz. Er stellt nächste Woche seine Vertrauensfrage (Archiv)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Deutschland schwächelt ebenfalls

Da neben Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft in der EU, auch Deutschland in einer wirtschaftlichen Krise steckt, wachsen die Sorgen in Brüssel. Wer soll etwa Frankreich aus dem fiskalpolitischen Loch helfen, wenn der größte Geldgeber Deutschland in einer Rezession steckt und ebenfalls keine handlungsfähige Regierung hat? – so fragen sich EU-Diplomaten. Auch nach den vorgezogenen Wahlen in Deutschland im Februar könnte es noch Wochen dauern, bis eine regierungsfähige Koalition steht.

Die deutsch-französische Lokomotive, die in der EU normalerweise den Takt vorgibt, steht im Moment eher auf dem Abstellgleis. Ein französischer Diplomat, der lieber ungenannt bleiben möchte, formulierte es in Brüssel so: "Wenn wir keinen Haushalt haben und finanzpolitisch nicht handeln können, nimmt uns auch in der EU niemand ernst." Eine Sprecherin der EU-Kommission erklärte in Brüssel hingegen, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Regierungskrise in Frankreich seien mehr oder weniger "eingedämmt", ohne ins Detail zu gehen. 

Donald Trump (li.) kommt, Emmanuel Macron wackelt. Kann Frankreich der EU noch Impulse geben? (Archiv)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Souveränes Europa?

Die doppelt schwache Führung in Frankreich und Deutschland kommt auch transatlantisch gesehen zur falschen Zeit. Wenn am 20. Januar Donald Trump das Weiße Haus übernimmt, wäre aus europäischer Sicht eine starke und geschlossene Union nötig. Eventuell muss die EU noch im Januar auf angedrohte Strafzölle aus den USA oder abrupte Kurswechsel in der Außenpolitik und bei Hilfen für die Ukraine reagieren.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat zwar in starken Reden, zuletzt im April an der Pariser Universität Sorbonne, ein souverän handelndes, strategisch unabhängiges Europa gefordert. Praktische Schritte dahin fehlen aber noch in vielen Bereichen. Bei der Verteidigung ist Europa vom Bündnispartner USA stark abhängig.

Wirtschaftlich sind gute Geschäfte mit den USA und China ebenfalls lebenswichtig, vor allem für die schwächelnde deutsche Industrie. Mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Handelsabkommen hat sich die neue EU-Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen auf die Fahnen geschrieben. Doch ohne handlungsfähige Regierungen in Berlin und Paris wird sich die Erfüllung der weit gesteckten Ziele weiter verzögern.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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