Warum Europa wenig Einfluss im Nahen Osten hat
23. Juni 2025
Vier Worte reichten Trump am vergangenen Freitag, um die Ohnmacht seiner europäischen Partner zu demonstrieren: "Das hat nichts gebracht", sagte der US-Präsident mit Blick auf die Genfer Gespräche der Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens mit ihrem iranischen Amtskollegen. "Der Iran will nicht mit Europa reden. Die wollen mit uns reden. Europa spielt in dieser Sache keine Rolle", kommentierte er auf dem Weg zu einem Fundraising-Dinner in seinem Golfclub in Bedminster, New Jersey. Zu diesem Zeitpunkt liefen bereits Vorbereitungen für US-Luftangriffe auf iranische Atomanlagen in der Nacht auf Sonntag.
"Weder einzelne europäische Länder noch die EU als Ganzes spielen in der Diplomatie des Nahen Ostens eine nennenswerte Rolle", sagt Jan Techau, Europadirektor beim Beratungsunternehmen Eurasia Group. "Sie werden von den Hauptakteuren - Israel und den USA - seit geraumer Zeit weder konsultiert noch vorab informiert. Und die Europäer haben sich offenbar damit abgefunden."
Schwindender Einfluss
Jahrelang profilierte sich die EU als diplomatischer Akteur, vor allem beim Atomabkommen mit dem Iran (JCPOA), das im Juli 2015 abgeschlossen wurde. Doch seit dem US-Ausstieg 2018 und dem Scheitern des Zahlungsmechanismus INSTEX fehlt ihr eine starke wirtschaftliche Hebelwirkung gegenüber Teheran. INSTEX war gedacht als eine internationale Zweckgesellschaft, die den Handel mit dem Iran erleichtern sollte.
Der Krieg, der am 13. Juni 2025 mit gezielten israelischen Angriffen auf iranische Atomanlagen begann, führt der EU eine bittere Realität vor Augen: Sie ist aktuell weder treibende Kraft noch Vermittlerin. Die militärische Logik bestimmen Israel und die USA; Russland und China wahren ihre Interessen am Golf. Europa bleibt außen vor.
"Die Europäer haben keine Fähigkeit zur Machtprojektion in die Region", analysiert Techau. "Ihre Wirtschafts- und Handelskraft ist für kriegführende Mächte vor Ort keine relevante Kategorie, und ihre geringen militärischen Fähigkeiten fallen nichts ins Gewicht. Europa kann vor Ort niemanden zwingen und niemanden schützen."
Merz, Macron, Kallas - viele Stimmen, wenig Wirkung
Trotzdem sucht Europa seine Rolle. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) stellte sich klar hinter Israel: "Das ist die Drecksarbeit, die Israel für uns alle macht." Gleichzeitig warnte er Premierminister Benjamin Netanjahu vor einer Ausweitung des Krieges und forderte Teheran zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf.
Auch die EU-Außenminister drängten bei ihrem Treffen am Montag (23. Juni) in Brüssel auf rasche Verhandlungen - ein Appell, den Merz, der britische Premierminister Keir Starmer und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron tags zuvor bereits erhoben hatten. In einer gemeinsamen Erklärung, in der aber auch durchschimmerte, dass die drei Länder einen ganz unterschiedlichen Blick auf die Krise haben, forderten sie den Iran erneut zu Verhandlungen auf. Kritisch reagierten die europäischen Staatenlenker auf neue Töne aus Washington, wonach sich Trump die israelische Forderung nach einem Sturz des Mullah-Regimes zu eigen macht.
In der Region selbst ist ein echter Wunsch nach europäischer Vermittlung bislang nicht zu erkennen. Stattdessen werden europäische Uneinigkeiten registriert. Polen, Ungarn und die baltischen Staaten treten betont pro-israelisch auf, während Irland, Spanien und Belgien Netanjahus Regierung zum Teil sehr scharf kritisieren. Eine gemeinsame EU-Außenpolitik für die Region ist nicht in Sicht. Durchaus ernüchtert klingt EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, wenn sie immer wieder betont: "Diplomatie wird langfristig immer der beste Weg sein, um mit dem iranischen Atomprogramm umzugehen."
Ursachen des Einflussverlusts
Neben strukturellen Defiziten sieht Techau auch analytische Fehler der Europäer: "Seit dem Irakkrieg 2003 haben sie die Lage falsch eingeschätzt. Sie haben nicht verstanden, dass die Angst vor einem aggressiven, nuklear bewaffneten Iran längst die entscheidende Ordnungsfrage in der Region war, nicht die Lage der Palästinenser."
Die existenzielle Erschütterung Israels durch den 7. Oktober 2023 und seine Folgen habe Europa lange verkannt. Auch die veränderte strategische Lage Irans, durch die Schwächung Russlands, den Fall Assads sowie die weitgehende Zerschlagung von Hamas und Hisbollah. "Die europäische Diplomatie basierte weitgehend auf überholten Annahmen", glaubt Techau.
Während Europa aktuell kaum Einfluss auf den Gang der Ereignisse nimmt, spürt es indes die Konsequenzen: Höhere Ölpreise und eine mögliche Blockade der Straße von Hormus bedrohen Lieferketten und könnten die Inflation auf dem Kontinent erneut anheizen. Zuvor haben bereits viele Unternehmen aus Angst vor US-Sanktionen den Handel mit dem Iran gemieden. Das europäische Projekt INSTEX blieb ein Papiertiger.
Wo Europa dennoch wirken kann
Ganz ohne Spielräume ist die EU nicht, wie die Reise von Irans Chefdiplomat Abbas Araghchi in der vergangenen Woche zu Gesprächen mit mehreren europäischen Außenministern nach Genf zeigte. Sollten die von Europäern beschworenen Verhandlungen mit dem Iran starten, könnte Europa womöglich wirtschaftliche Anreize setzen und zumindest diplomatisch flankieren. Unterstützung bei möglichen Vermittlungsversuchen zwischen Teheran und arabischen Staaten wie Katar oder Jordanien ist denkbar und auch in der humanitären Hilfe sind die Europäer in Nahost stark engagiert.
Für den Moment aber verhallen die europäische Rufe nach Diplomatie in der Sprache der Geopolitik. Was müsste sich ändern? Europa müsse militärisch handlungsfähiger werden und seine Diplomatie neu denken, sagt Analyst Techau. "Allein das Beharren auf einer Zwei-Staaten-Lösung und das Insistieren auf Verhandlungen beeindrucken vor Ort niemanden." Schon gar nicht US-Präsident Trump.