Warum fördert Viktor Orban den serbischen Nationalismus?
27. März 2025
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban pflegt ein enges Verhältnis zu Rechtspopulisten, Autokraten und Diktatoren in aller Welt - von Aleksandar Vucic bis zu Recep Tayyip Erdogan, von Benjamin Netanjahu bis zu Wladimir Putin. Manchen von ihnen verhilft Orban gar zur Flucht, wenn sie Probleme mit der Justiz bekommen - selbst um den Preis, dass der ungarische Staat sich dafür an illegalen und mafiaähnlichen Aktionen beteiligt.
Im Jahr 2018 organisierte Ungarn für den ehemaligen mazedonischen Premier Nikola Gruevski eine kriminalfilmreife Flucht aus Skopje nach Budapest. Ungarische Diplomatenfahrzeuge wurden dafür genutzt, Gruevski unerkannt über mehrere Landesgrenzen zu schmuggeln. Der Ex-Regierungschef hätte in Mazedonien eine Gefängnisstrafe wegen Korruption antreten müssen; stattdessen bekam er in Ungarn Asyl.
Im März 2024 hielt sich Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro vorübergehend in Ungarns Botschaft in seinem Heimatland auf - womöglich um einer drohenden Verhaftung zu entgehen. Kurz vor Weihnachten 2024 wiederum gewährte Ungarn dem mit europäischem Haftbefehl gesuchten polnischen Ex-Vize-Justizminister Marcin Romanowski Asyl.
Haftbefehl gegen Dodik
Ungarns neueste "Rettungsmission" toppt alle diese Fälle jedoch bei weitem. Sie hat zugleich schwerwiegende sicherheitspolitische Folgen für Europa wie auch geopolitische Auswirkungen. Es geht um eine mögliche Flucht Milorad Dodiks, des Präsidenten des serbisch dominierten Teils Bosnien und Herzegowinas, der Republika Srpska (RS), nach Ungarn - so zumindest mutmaßt die gesamt-bosnische Regierung. Sicher ist: Orban stellte seinem Freund Dodik vor Kurzem ein Spezialeinsatzkommando zur Seite.
Der Hintergrund: Dodik wurde Ende Februar erstinstanzlich wegen verfassungswidriger Handlungen gegen den aus der RS und der Föderation Bosnien und Herzegowina bestehenden bosnischen Gesamtstaat zu einer einjährigen Gefängnisstrafe und einem sechsjährigen Verbot politischer Betätigung verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, ein Berufungsverfahren steht aus. Allerdings wurde vergangene Woche in Bosnien ein landesweit gültiger Haftbefehl gegen Dodik erlassen.
Ungarische Polizei in Bosnien
Vorsorglich schickte Ungarn bereits Ende Februar eine Spezialeinsatztruppe seiner Polizei in die Republika Srpska, wie Dodik persönlich verkündete, als das Urteil gegen ihn fiel. Es handelte sich um 78 Mitglieder der ungarischen Antiterroreinheit TEK. Sie waren samt gepanzerter Fahrzeuge und mobiler Einsatzzentrale angereist.
Der ungarischen Regierung zufolge ging es um eine gemeinsame Übung mit bosnisch-serbischen Spezialeinsatzkräften. Merkwürdig nur, dass diese entgegen europäischer Gepflogenheiten nicht vorher angekündigt worden war. Auch waren die TEK-Soldaten ohne Wissen bosnischer Behörden über das benachbarte Serbien eingereist - und das teils in zivil.
Viktor Orban rühmt sich, dass Ungarn unter seiner Führung neben dem Vatikan das einzige Land Europas sei, dass "auf der Seite des Friedens" stehe und für Frieden in der Ukraine eintrete. Mit der Entsendung von ungarischen Polizisten in die Republika Srpska hat er sich jedoch eher als Helfer von Kriegstreibern qualifiziert.
Denn Dodik agitiert seit Jahren gegen die Existenz des Staates Bosnien und Herzegowina an sich - und droht immer wieder mit der Abspaltung der Republika Srpska. Dabei hat sich der Konflikt bis zur jetzigen Situation hochgeschaukelt, in der Dodik die Justiz offen missachtet und für den Fall seiner Verhaftung Gewalt bis hin zu einer Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien.
Die Idee der "Serbischen Welt"
Unterstützt wird Dodik vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic, der in Anlehnung an den "Russkij mir" (Russische Welt) das Konzept des "Srpski svet" (Serbische Welt) propagiert, also die geistig-kulturelle Einheit aller Serben und ihre Vereinigung in einem einzigen Nationalstaat. Diese Politik sorgt seit einigen Jahren für immer mehr Spannungen in der Region und lässt inzwischen auch einen neuen Krieg in Bosnien oder Kosovo nicht mehr unmöglich erscheinen. Indem Orban Dodik und Vucic unterstützt, trägt er also erheblich zur Destabilisierung der ganze Region bei.
Orbans intensives Engagement auf dem Westbalkan reicht mehr als ein Jahrzehnt zurück. Die engsten Beziehungen pflegt Ungarns Premier zu Vucic und Dodik. Der Balkan-Experte Adnan Cerimagic nennt das autokratische Trio eine "Bruderschaft".
Gegenseitige Auszeichnungen
Orban und Vucic initierten zusammen milliardenschwere Investitionsprojekte, etwa eine Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke Budapest-Belgrad, finanziert mit chinesischen Krediten. In der Republika Srpska half Orban 2021 dem durch US-Sanktionen finanziell bedrängten Dodik mit einem 100-Millionen-Euro-Finanzpaket. Ein Jahr später schob er einen zinsgünstigen 110-Millionen-Euro-Kredit nach.
Die drei Staatsmänner aus der "Bruderschaft" verleihen sich gegenseitig gern hohe Staatsorden. Von Dodik bekam Orban im April 2024 den "Orden der Republika Srpska", den zuvor unter anderem auch Wladimir Putin und Peter Handke erhalten hatten. Orban wiederum zeichnete Vucic am 18. Februar 2025 mit dem höchsten Verdienstorden Ungarns aus, Milorad Dodik war zur Zeremonie in Budapest als Gast geladen.
Regionalmacht Ungarn
Für Orban ist die Unterstützung der EU-Kandidatenländer in der Westbalkan-Region, sofern sie von Autokraten seines Typs regiert werden, eine langfristige strategische Entscheidung. Ungarns Premier erhofft sich davon eine Stärkung seiner Position in der Europäischen Union. Zugleich versucht Orban, sein Land als Regionalmacht in Mittel- und Südosteuropa zu etablieren.
Auch ethnonationalistische Konzepte wie das des Srpski svet sind Orban nicht fremd. In allen Nachbarländern Ungarns leben ungarische Minderheiten, besonders große in der Slowakei, der Ukraine, Rumänien und Serbien. Zumindest im Fall der Ukraine scheint Orban mittelfristig nicht auszuschließen, dass sie zerfällt und Ungarn Teile des westukrainischen Gebiets Transkarpatien zurückerhalten könnte. Orban nennt den Nachbarn schon jetzt regelmäßig ein "Niemandsland" oder "ein Gebiet namens Ukraine".
Warnungen aus den USA
Unklar bleibt trotz allem, warum Orban in seiner besonderen Unterstützung für Milorad Dodik und die Republika Srpska derart weit geht. Dodik, ein noch engerer Putin-Freund als Orban, steht nach wie vor unter US-Sanktionen. Die Vereinigten Staaten sollen Gerüchten zufolge den TEK-Einsatz in der Republika Srpska scharf kritisiert und Ungarn gewarnt haben, Dodiks separatistische Pläne weiter zu unterstützen.
Auch die Beziehungen zum bosnischen Gesamtstaat hat Orban ruiniert. Bosnien erteilte einem ungarischen Militärflugzeug mit einem Staatssekretär der Orban-Regierung an Bord kürzlich Landeverbot. Der kroatische Vertreter im bosnischen Staatspräsidium, Zeljko Komsic, forderte einen Ausschluss Ungarns aus der bosnischen EU-Friedenstruppe EUFOR/Althea.
Allerdings könnte Ungarn Nutznießer von Bergbauprojekten in der Republika Srpska sein, wie bosnische Medien dieser Tage berichten. Demzufolge könnte Ungarn unter anderem eine Konzession für Lithium-Abbau in Ostbosnien erhalten. Für Ungarn wäre das interessant, da Orban sein Land zu einem der größten europäischen Batterieproduzenten machen will.
Dodik leugnet Völkermord
Milorad Dodik tauchte unterdessen trotz Haftbefehls am Dienstagnachmittag (25.03.2025) plötzlich in Israel auf, wo er zusammen mit zahlreichen Rechtsextremen aus aller Welt an einer umstrittenen Antisemitismus-Konferenz des israelischen Ministeriums für Diaspora-Angelegenheiten und Bekämpfung des Antisemitismus teilnimmt. Dodik postete dazu auf X folgenden Satz: "Die Serben und die Juden sind Völker, die durch andere ausgelöscht werden sollten - und doch haben sie überlebt. Deshalb verstehen wir einander. Und deshalb stehen wir zusammen." Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht zynisch und grotesk. Es gab zu keiner Zeit einen Plan oder eine Aktion zur Auslöschung aller Serben.
Dodik leugnet seinerseits den Völkermord an den muslimischen Bosniaken in Srebrenica 1995. Um das "wissenschaftlich" zu untermauern, hatte er eine Kommission unter der Leitung des umstrittenen israelischen Holocaust-Forschers Gideon Greif einberufen, die 2021 tatsächlich "feststellte", dass in der ostbosnischen Kleinstadt kein Völkermord stattgefunden habe - was dem Urteil des Internationalen Jugoslawien-Tribunals (ICTY) in Den Haag widerspricht. Der Bericht wird von Experten und Forschern als unwissenschaftlich eingestuft. Dennoch hält Dodik an seinem Narrativ fest: Opfer - auch in den Jugoslawien-Kriegen - seien vor allem die Serben.