Warum Hamas und Samidoun in Deutschland verboten sind
Veröffentlicht 12. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 23. November 2023Die deutschen Sicherheitsbehörden sind mit einer Razzia gegen mutmaßliche Anhänger der verbotenen palästinensischen Terrororganisationen Hamas und des verbotenen internationalen Netzwerks Samidoun vorgegangen, um Beweismittel und Vermögenswerte sicherzustellen. Durchsucht wurden Objekte in vier Bundesländern, ein Schwerpunkt war Berlin.
Damit will Bundesinnenministerin Nancy Faeser ihr Verbot vom 2. November durchsetzen. "Mit den Verboten von Hamas und Samidoun in Deutschland haben wir das klare Signal gesetzt, dass wir keinerlei Verherrlichung oder Unterstützung des barbarischen Terrors der Hamas gegen Israel dulden", sagte Faeser zu den Razzien. Islamisten und Antisemiten dürften sich in Deutschland "nirgendwo sicher fühlen".
Jubelfeiern in Deutschland nach dem Hamas-Angriff
Nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit weit über 1000 Toten hatte es unter Hamas-Anhängern in Deutschland spontane Jubelfeiern gegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich entsetzt. Die Bundesregierung reagierte mit einem Betätigungsverbot von Hamas und einem Vereinsverbot von Samidoun.
Mit der Hamas werde "die Betätigung einer Terrororganisation verboten, die zum Ziel hat, den Staat Israel zu vernichten", hieß es damals in einer Pressemitteilung des Innenministeriums. Und weiter: "Samidoun verbreitete als internationales Netzwerk unter dem Deckmantel einer 'Solidaritätsorganisation' für Gefangene in verschiedenen Ländern israel- und judenfeindliche Propaganda."
Unterstützer und Sympathisanten der Hamas
Hinter der Hamas stehen nach Schätzungen des Verfassungsschutzes in Deutschland etwa 450 Personen, viele von ihnen sind deutsche Staatsbürger. Einen offiziellen Ableger der Gruppierung gibt es in Deutschland nicht.
Dazu kommen Unterstützer und Sympathisanten. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Unterstützerszene vierstellig ist", schätzte der Nahostexperte Guido Steinberg von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik in einem DW-Interview nach dem Verbot.
Noch weiter gefasst ist die Gruppe der Sympathisanten, deren Zahl man kaum schätzen kann. Steinberg unterscheidet sie dahingehend, dass die Unterstützer konkret etwas für die Hamas tun, zum Beispiel Werbung für sie machen, während Sympathisanten oft gar nicht offen in Erscheinung treten.
Nach Angaben des Verfassungsschutzes reichen die Handlungen von Unterstützern von Sympathiebekundungen und Propaganda bis hin zu Finanzierungs- oder Spendensammlungen.
"Die Mitglieder und Anhänger der Hamas in Deutschland setzen sich darüber hinaus dafür ein, den politischen und gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland im Sinne der Hamas zu beeinflussen", heißt es beim Innenministerium.
Den Geldfluss an Terrororganisationen stoppen
"Diese Verbote sind eines der wichtigsten Instrumente, die eine Demokratie hat, um zu verhindern, dass hier Gelder Richtung Terrororganisationen fließen", so Hans-Jakob Schindler vom transatlantischen Thinktank Counter Extremism Project (CEP) im DW-Interview.
Aber: "Es ist immer schwierig, weil in Deutschland Vereine und gemeinnützige Organisationen einen gewissen Schutz genießen, was ihre Aktivitäten angeht, und auch die Ermittlungen von wichtigen Behörden wie dem Verfassungsschutz, wenn es um Finanzen geht, limitiert sind."
Die Schwelle sei überschritten, wenn offen zur Gewalt aufgerufen oder offen Gewalt befürwortet werde. "Solange man sich da zurückhält, wird es sehr schwer." Die Betroffenen achteten meist genau darauf, was sie sagten, um die Behörden nicht auf den Plan zu rufen.
Verfassungsschutz sieht Deutschland als Hamas-Rückzugsraum
Die Hamas erkennt den Staat Israel nicht an und will das Land nach eigenen Angaben vernichten. Deutschland, die Europäische Union, die USA und einige arabische Staaten stufen die Hamas als Terrororganisation ein.
Mehrere Vereine, die der Bewegung nahestanden, wurden bereits vor einigen Jahren verboten.
"Westliche Staaten wie Deutschland werden von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spenden zu sammeln, neue Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2022.
Nach Einschätzung von Verfassungsschützern gehört der Verein Samidoun zur radikalen Palästinenserorganisation PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas). Die PFLP propagiert ebenfalls den bewaffneten Kampf gegen Israel, ist aber im Gegensatz zur Hamas nicht religiös geprägt.
Ebenfalls zum Netzwerk der radikalen Palästinenser gehört der Verein Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland, in dem sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden vor allem Hamas-Anhänger finden.
Für die Finanzierung der Hamas spiele Deutschland aber nur eine geringe Rolle, glaubt Schindler: "Man muss bedenken, dass Deutschland und Europa bei allen Spendensammelaktionen nicht die Hauptfinanziers der Hamas sind. Das ist ganz klar, wenn es ums Geld geht, Katar. (…) Hamas ohne die Gelder aus Katar würde nicht funktionieren."
Zentralrat der Muslime: Nur eine Minderheit ist israelfeindlich
Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, war es von Anfang an wichtig zu betonen, dass nur eine Minderheit der Muslime mit israelfeindlichen oder antisemitischen Parolen auf die Straße gehe. Nach den Jubelfeiern in Deutschland sagte Mazyek, man dürfe nicht annehmen, "dass diese Bilder, diese Personen für alle Muslime, für die deutschen Muslime, für die Organisationen hier sprechen".
Muss man auch in Deutschland mit Anschlägen der Hamas oder deren Sympathisanten rechnen? Im Gegensatz zu islamistischen Terrorgruppen wie Al-Kaida oder Islamischer Staat verübt die Hamas keine Anschläge in westlichen Staaten, sondern ausschließlich in Israel und den Palästinensergebieten.
Terrorexperten befürchten allerdings, dass durch den Gaza-Krieg die Gefahr von Anschlägen durch Sympathisanten steigt. Hans-Jakob Schindler sagt: "Ich sehe Deutschland nicht als Hauptanschlagsziel von Hamas, aber dass motivierte, radikalisierte Einzeltäter sich bemüßigt fühlen, etwas zu tun, kann man nicht ausschließen."
Mitarbeit: Andrea Grunau
Dieser Artikel wurde erstmals am 12.10.2023 veröffentlicht, am 02.11.2023 nach dem Verbot von Hamas und Samidoun in Deutschland aktualisiert und am 23.11.2023 nach den Razzien erneut aktualisiert.