Warum Hassrede in Deutschland strafbar ist
21. Februar 2025
In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit. Das Grundgesetz, die deutsche Verfassung, garantiert sie in Artikel 5. Dort steht allerdings auch, dass diese Freiheit Grenzen hat. Etwa zum Schutz der Jugend, der Privatsphäre, oder der persönlichen Ehre.
Insbesondere der Schutz der persönlichen Ehre spiele in der deutschen Rechtstradition eine große Rolle, sagt der Jurist Ralf Poscher, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. "Das kommt aus der ständischen Gesellschaft, in der dies noch bedeutender war. Und diese Ehrbegriffe, die auch vom Bürgertum übernommen wurden, sind in unsere Rechtsordnung mit eingegangen."
Verleumden erlaubt?
So ist es in Deutschland strafbar, andere zu beleidigen. Man darf auch keine Lügen verbreiten, die andere herabwürdigen. Damit ist die Meinungsfreiheit in Deutschland weit stärker eingeschränkt als etwa in den USA, sagt Nadine Strossen, Professorin an der New York Law School. Die ehemalige Präsidentin der American Civil Liberties Union (ACLU) gilt als strikte Verfechterin der Meinungsfreiheit.
"Der erste Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten ist das am meisten die Meinungsäußerung schützende nationale Gesetz der Welt", so Strossen. Er verbietet Gesetze, die die freie Rede einschränken. Damit seien auch Beleidigungen und rufschädigende Lügen weitgehend von der Redefreiheit gedeckt. "Auch wenn Sie der Meinung sind, dass eine Botschaft hasserfüllt oder extremistisch ist oder zu Gewalt aufruft: Das allein wird niemals ausreichen, um ihre Unterdrückung in unserem Land zu rechtfertigen."
Holocaust-Leugnung ist verboten
Strossens Vater überlebte das Konzentrationslager Buchenwald. Trotzdem sagt sie, dass auch die Leugnung des Holocaust erlaubt sein sollte. In Deutschland steht es unter Strafe, den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden öffentlich zu leugnen.
Dies fällt unter die so genannte Volksverhetzung. Wer zu Hass oder Gewalt gegen bestimmte ethnische, religiöse oder nationale Gruppen aufruft, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden.
Die Demokratie wehrt sich, wenn Gefahr droht
Ohne Hassrede seine politische Meinung zu äußern ist dagegen erlaubt, sagt Rechtswissenschaftler Poscher. "Die Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit schützen alle Arten von Meinungen. Auch solche, die ganz an den Enden des politischen Spektrums liegen." Deshalb seien etwa Aufmärsche von Rechtsextremen in Deutschland möglich. "Sie dürfen natürlich nicht die Grenze der Einschüchterung, der Beleidigung, der Herabwürdigung und ähnliches überschreiten, aber durchaus eben auch verfassungsfeindliche Gedanken propagieren."
Erst wenn Verfassungsfeinde sich so organisieren, dass sie der Demokratie gefährlich werden können, darf der Staat sie bekämpfen. Dann können auch Vereine und Parteien verboten werden. Die sogenannte "wehrhafte" Demokratie soll verhindern, dass Deutschland wieder, wie zur Zeit des Nationalsozialismus, zur Diktatur wird.
Besser ignorieren als verbieten?
Für Strossen ist all das zwar gut gemeint. Dem Ziel, Menschenwürde zu schützen, käme man damit jedoch nicht näher. "Ich denke, dass dieser paternalistische Ansatz nicht nur die Freiheit des Einzelnen einschränkt, sondern letztlich auch unwirksam ist. Die Geschichte zeigt, dass der beste Weg, um Aufmerksamkeit für seine Botschaft zu bekommen, darin besteht, darauf zu hoffen, dass jemand versucht, sie zu verhindern."
Auch der "beunruhigende Aufstieg" der in Teilen rechtsextremen AfD finde nicht trotz der Versuche, hasserfüllte Äußerungen zu bestrafen, statt, so Strossen. Sondern gerade deswegen. "Das erhöht die Aufmerksamkeit, das erhöht die Sympathie, das erhöht den Argwohn und das Misstrauen gegenüber den etablierten Parteien". Strossen meint, dass man Hass und Hetze deshalb besser ignorieren solle, als sie zu verbieten. Falsche Behauptungen könne man widerlegen.
Jeder zweite zieht sich aus Diskussionen zurück
Die Debatte um die Grenzen der Meinungsfreiheit hat sich seit dem Aufstieg der Sozialen Medien verschärft. Sie ermöglichen jedem, seine Meinung - aber auch Hass und Hetze - öffentlich kundzutun.
Laut einer vom Familienministerium geförderten Studie wurde fast jeder zweite in Deutschland schon einmal online beleidigt. Ein Viertel der Befragten wurde mit körperlicher Gewalt und 13 Prozent mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. 55 Prozent der Befragten gaben an, sich deshalb weniger an Diskussionen zu beteiligen.
Bei Brüsten endet die Freiheit
Der Rechtswissenschaftler Ralf Pauscher spricht von einer entzivilisierten Auseinandersetzung, die sich teilweise im Netz finde. "Wo Menschen herabgewürdigt, beleidigt, mit einer Flut von Hasskommentaren verfolgt werden. Das führt eben auch dazu, dass viele Menschen sich gar nicht mehr an der öffentlichen Auseinandersetzung beteiligen." Die aber ist Grundlage einer lebendigen Demokratie. Einiges spreche deshalb dafür, "auf einer gewissen Zivilität der öffentlichen Auseinandersetzung zu bestehen".
Weiter als in den USA sei man in Deutschland, was die Redefreiheit bei sexuellen Inhalten und Nacktheit angehe, so Strossen. "Wir Amerikaner sind notorisch prüde." Die Brüste einer stillenden Frau zu zeigen - da würden in den USA die Zensur einschreiten, sagt sie.