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Warum kam die Tsunami-Warnung nicht an?

1. Oktober 2018

Das Tsunami-Frühwarnsystem habe funktioniert, aber die Warnungen wurden nicht weitergegeben, meint Jörn Lauterjung vom Deutschen Geoforschungszentrum. Hier wurde das Frühwarnsystem mitentwickelt.

Thailand Bojen vom Tsunami-Frühwarnsystem
Bild: picture-alliance/imageBroker

Nach dem großen Tsunami 2004 wurde das Tsunami-Frühwarnsystem unter Beteiligung des Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam zur Verfügung gestellt und 2012 den indonesischen Behörden übergeben. Im DW-Interview äußert sich GFZ-Direktor Jörn Lauterjung zu den Vorwürfen, das System habe nicht funktioniert.

Deutsche Welle: "Herr Lauterjung, laut Sprecher der indonesischen Katastrophenschutzbehörde funktionierten sämtliche Tsunami-Warngeräte Indonesiens seit 2012 nicht mehr, da die Gelder nicht reichten. Hat das System tatsächlich nicht oder nur unzureichend funktioniert?

Jörn Lauterjung: Das System hat funktioniert wie geplant und wie schon seit langen Zeiten auch durchgeführt. Fünf Minuten nach dem Erdbeben hat das Zentrum in Jakarta eine Warnmeldung herausgegeben, dass ein Tsunami der Höhe 0,03 Meter bis drei Meter Höhe zu erwarten sei. Ich denke, der Behördensprecher bezieht sich da im Wesentlichen auf die Bojen. 

Diese Bojen wurden in der Vergangenheit immer wieder von unachtsamen Fischern beschädigt. Bietet das System trotzdem noch einen umfassenden Schutz für alle gefährdeten Gebiete?

Dr. Jörn Lauterjung, Direktor des GeoforschungszentrumsBild: GFZ

Aufgrund der Beschädigungen haben wir beschlossen, diese Bojen nicht weiter zu betreiben. Das System arbeitet auch ohne die Bojen gut, weil wir im Laufe des Projektes auch eine Lernkurve durchlaufen haben. Inzwischen wissen wir, dass die vertikalen Bewegungen des Ozeanbodens auch durch GPS-Stationen an Land genau gemessen werden können. Das funktioniert genauso gut. 

Die Behörden haben also auch einen Tsunami-Alarm ausgelöst, aber nach ungefähr einer halben Stunde wieder aufgehoben, ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Das ist für mich nicht nachvollziehbar, weil die internationalen Regeln, die wir uns selber auferlegt haben für so einen Fall, eigentlich eine Mindest-Dauer von zwei Stunden vorsehen. In diesem Falle war aber die Aufhebung des Tsunami-Alarms nach der mir vorliegenden Timeline von BMKG, also dem Betreiber des Zentrums, nicht mehr schädlich, weil zu der Zeit der Tsunami schon angekommen war. Um 18.00 Uhr Ortszeit war das Erdbeben, um 18.07 Uhr ist die Warnmeldung veröffentlicht worden. Um 18.25 Uhr ist der Tsunami in Palu angekommen und um 18.36 Uhr ist die Warnung aufgehoben worden. 

Das heißt: Die Menschen wurden doch rechtzeitig gewarnt?

Ja, die Menschen waren gewarnt, zumindest die lokalen Behörden und die lokalen Desaster Management Behörden müssen die Warnung gehabt haben. Warum die Warnung dann nicht an die lokale Bevölkerung weitergegeben worden ist, wie das jetzt in der Presse nachzulesen ist, vermag ich im Moment noch nicht zu beurteilen, dazu liegen, ehrlich gesagt, zu wenig Informationen vor. 

Fehlte möglicherweise die entsprechende Infrastruktur an der Küste, dass Warnmeldungen auch direkt an die Bevölkerung weitergegeben werden?

Ja, unter Umständen ist auch der Strom durch das Erdbeben vorher ausgefallen. Die Notstromversorgung hat nicht funktioniert oder was auch immer. Ich habe noch keine genauen Informationen, was da los ist, weil die Leute jetzt verständlicherweise andere Sorgen haben, als Anfragen aus Deutschland zu beantworten. Aber die Warnmeldung ist bis an die lokalen Behörden und Organisationen gegangen. Was danach passiert ist, entzieht sich meiner Kenntnis. 

Satellitenaufnahme nach dem verheerenden ErdbebenBild: Copernicus EMS

Sollte in der Konsequenz über technische Lösungen nachgedacht werden, wie menschliches Versagen bei diesem Frühwarnsystem noch weiter ausgeschlossen werden kann?

Sicherlich sollte man über technische Lösungen nachdenken. Aber ich glaube, dass wir eigentlich die Ausbildung und auch die Wahrnehmung der Bevölkerung gegenüber natürlichen Warnsignalen deutlich verstärken müssen. Das hat offenbar nicht geklappt, denn die Menschen haben mit Sicherheit das Erdbeben gespürt. Sie haben auch mit Sicherheit gespürt, dass das ein längeres Erdbeben war und sie hätten aufgrund dieser natürlichen Warnzeichen schon vor der offiziellen Warnung aus Jakarta eigentlich vom Strand weggehen und Richtung höheres Gelände laufen müssen.

Aber wenn man weiß, da ist ein Warnsystem und es schlägt nicht an, denkt man vielleicht, es ist wohl nicht so schlimm, wenn die Erde bebt?

Da halte ich dagegen: Dann bin ich lieber einmal umsonst gerannt als einmal zu früh gestorben. Wenn es zum Beispiel in Japan einen Fehlalarm gibt, und die gibt es da häufiger, dann sagen die Leute nicht "Fehlalarm", sondern schlicht und ergreifend "Glück gehabt".

Der indonesische Seismologe Widjo Kongko hat im DW-Interview das bisherige System kritisiert und zusätzliche Sensoren am Meeresboden gefordert, die in dieses Frühwarnsystem integriert werden sollten. Macht das aus Ihrer Sicht Sinn? 

Herr Kongko war beim Aufbau des Frühwarnsystems 2005 Doktorand bei uns, es macht Sinn, was er da sagt. Natürlich wäre es gut, wenn wir noch Seismometer am Ozeanboden hätten, vor allem auf der anderen Seite der Subduktionszonen, um Erdbeben noch genauer messen zu können. Eine Lösung wären Kabel vor der Küste, in die in regelmäßigen Abständen Seismometer eingebaut sind. Aber das ist ein relativ teures Unterfangen, wenn wir das für die ganze Küste von Indonesien machen möchte. 

Gäbe es denn auch ein alternatives Frühwarnsystem, das günstiger und effizienter wäre? 

Da fällt mir jetzt im Moment nichts ein. Es gibt ja durchaus russische Wissenschaftler, die meinen, wir würden Vorläufer-Phänomene von Tsunamis in der Atmosphäre sehen können. Das ist aber eigentlich durch nichts bewiesen. Natürlich wäre das billiger. Schön wäre vor allem, wenn wir Erdbeben vorhersagen könnten, dann bräuchte man das ganze Frühwarnung-System nicht. Aber Erdbeben können wir leider auch nicht vorhersagen und werden es auch in den nächsten Jahren nicht können. Insofern sehe ich eigentlich keine Alternative zu der Technik, die wir jetzt haben.

 

Dr. Jörn Lauterjung ist Direktor "Daten-, Informations- und IT-Dienste" beim Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam.

Das Interview führte Alexander Freund

 

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