Junge Deutsche: Keine Lust auf Landwirtschaft
24. Juli 2024In Zullighöven, einem kleinen Dorf im Westen von Nordrhein-Westfalen, treffe ich Dorothee Hochgürtel, die hier einen Bauernhof betreibt. Als ich an einem Freitagmorgen im Juli auf ihrem Hof ankomme, winkt sie mir schon von weitem zu und zeigt auf das Holztor, das auf den Hof führt.
Sofort fällt mir das angenehme satte Grün auf, so weit das Auge reicht und das mir den Eindruck eines Ortes vermittelt, der weit weg vom Rest der Welt zu sein scheint.
Die 65-Jährige betreibt den Hof seit 2001. Sie hält mehr als hundert Tiere, darunter 30 Ziegen und 60 Schafe, sowie einige Pferde. Außerdem hat sie einen Obstgarten, in dem sie über 130 verschiedene Apfelsorten anbaut.
Die Erhaltung alter Pflanzenarten und die biologische Bewirtschaftung ihres Hofs ohne Pestizide und chemische Düngemittel liegen ihr am Herzen, seit sie vor zwei Jahrzehnten beschloss, Nebenerwerbslandwirtin zu werden.
Als gelernte Apothekerin hat Hochgürtel immer noch einen sicheren Arbeitsplatz in der Pharmaindustrie. Aber es ist nicht die trübe Aussicht, von der Landwirtschaft leben zu können, die sie heute am meisten beunruhigt, sagt sie.
"Ich weiß, dass ich nicht jünger werde. Ich nähere mich dem Rentenalter und die Frage, die ich mir immer wieder stelle, ist: Wem werde ich diesen Hof hinterlassen?"
Hochgürtel erzählt, dass ihre beiden Kinder andere berufliche Richtungen eingeschlagen und kein Interesse am Hof haben. Obwohl sie stolz auf sie ist, hätte sie sich gewünscht, dass ihre Kinder eine Übernahme des Hofs in Erwägung gezogen hätten. Sie kennt auch keine anderen jungen Leute außerhalb ihrer Familie, die Interesse hätten, den Hof zu übernehmen, wenn sie in Rente geht.
Sie ist nicht die einzige deutsche Landwirtin, die sich schwer tut, einen Nachfolger für ihren Hof zu finden. Ein befreundeter Landwirt, so erzählt sie, hatte das operative Geschäft seines Hofes an seinen Sohn übergeben, um kurz darauf festzustellen, dass der 30-jährige ums wirtschaftliche Überleben kämpfte.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Bodenpreise
Die deutsche Landwirtschaft trägt weniger als ein Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes bei und ist für die Volkswirtschaft weniger wichtig als in den Nachbarländern Frankreich und Polen.
Reinhard Jung, Politikberater bei den Freien Bauern, einer Interessenvertretung der Landwirte, sagt, dass der deutsche Agrarsektor in den letzten Jahren auch aus einer anderen Ecke unter Druck geraten ist: dem demografischen Wandel.
"Der Fachkräftemangel ist ein Thema für alle Sektoren [der deutschen Wirtschaft]", sagt er der DW, wobei die Landwirtschaft im bundesweiten Wettlauf um junge Menschen besonders im Nachteil sei.
Weil junge Menschen heute den "Wunsch nach einer guten Work-Life-Balance" haben, so Jung, ist die lange, harte Arbeit und der fehlende Urlaub der älteren Generationen deutscher Landwirte für die jungen Leute "keine Option".
Darüber hinaus wird es für junge Bauern, deren Familien keine landwirtschaftlichen Betriebe besitzen, immer schwieriger, landwirtschaftliche Flächen zu erwerben oder gar zu pachten, da die Preise in den letzten zehn Jahren stark gestiegen sind. Die Bodenspekulation im Zuge der Finanzkrise ab 2009 und das gestiegene Interesse multinationaler Lebensmittelkonzerne an Ackerland verhindern, dass die Preise wieder sinken.
EU-Bürokratie schlimmer als schlechtes Wetter?
Was Hochgürtel auf ihrem Hof in Zullighöven ebenfalls zunehmend Sorgen bereitet, ist die Häufung von extremen Wetterverhältnissen.
Die Landwirtin führt das ungünstige Wetter auf den Klimawandel zurück, der die Landwirtschaft mit sommerlichen Hitzewellen und - in diesem Jahr - sintflutartigen Regenfällen, die ihre Apfelernte getroffen haben, unberechenbarer mache. "Die erwartbaren Verluste durch den Klimawandel machen die Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebs noch teurer", sagt sie.
Jung sieht dagegen keinen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und der mangelnden Bereitschaft junger Menschen, in der Landwirtschaft zu arbeiten. Vielmehr hält er den massiven bürokratischen Aufwand für Landwirte für entmutigend, den die Europäische Union betreibt, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
"Mir ist klar geworden, dass viele junge Leute in der Landwirtschaft arbeiten wollen, weil sie die Landwirtschaft mögen. Aber die Vorschriften zur Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft werden von Politikern gemacht, die denken, dass Landwirtschaft schlecht ist, weil wir die Umwelt verschmutzen würden", so Jung.
Christina Vogel von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) sagt, es sei eine "Herausforderung", sich für einen Beruf in der Landwirtschaft zu entscheiden.
"Es gibt zahlreiche Anforderungen, denen man heute gerecht werden muss, vor allem die Gesetzgebung und der Druck der Verbraucher, aber auch der Klimawandel und natürlich die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel und landwirtschaftliche Produkte", sagt sie der DW.
Die DLG ist ein Wirtschaftsverband, der vor allem die großen deutschen Agrarunternehmen vertritt und jungen Landwirten den Einstieg in die Branche erleichtern möchte.
Auch Vogel auch die Bürokratie in der EU für ein Hindernis. "Damit sich die Berufswahl lohnt, brauchen angehende Landwirte eine stabile und langfristige Perspektive. Ein wichtiger Punkt ist der Abbau von Bürokratie, die einem optimalen Betriebsergebnis im Wege steht."
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Laut Panu Poutvaara, Wirtschaftswissenschaftler am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, sind Arbeitsbedingungen und Gehälter die beiden Hauptgründe, warum sich junge Menschen beruflich gegen die Landwirtschaft entscheiden.
"Es ist nicht überraschend, dass junge Menschen besser bezahlte Berufe wählen. Aber die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Arbeitskräftemangels in der Landwirtschaft werden gering sein", sagt er gegenüber der DW und verweist auf den geringen Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Wirtschaftsleistung Deutschlands.
Die Probleme, mit denen die deutschen Landwirte in diesen Tagen konfrontiert sind, rückten im Winter dieses Jahres in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Tausende von Landwirten blockierten mit ihren Traktoren Straßen in der Hauptstadt Berlin und vielen anderen Teilen des Landes, um gegen die Pläne der Bundesregierung zu protestieren, die staatlichen Subventionen für Agrardiesel zu kürzen.
Die Proteste waren nur teilweise erfolgreich, weil sich die Regierung nur dazu bereit erklärte, die Kürzungen über einen längeren Zeitraum zu verteilen, anstatt sie, wie von den Landwirten gefordert, abzuschaffen.
Für die meisten jungen Deutschen ist es wahrscheinlich unvorstellbar, auf einem Bauernhof zu arbeiten, wie ich kürzlich bei einer kurzen Meinungsumfrage in den Straßen von Bonn herausfand.
Ein junger Deutscher erzählte mir, er wisse über den Beruf nur, dass er unsicher ist und "nach viel Arbeit klingt".
"Es klingt so, als müsste ich die Stadt verlassen und zurück aufs Land gehen. Außerdem braucht man viel Durchhaltevermögen und Geduld, weil man nicht weiß, ob der Hof überhaupt etwas abwirft", sagte er.
Eine andere junge Frau sagte mir, dass in einem "entwickelten Land" der "Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance" berechtigt sei. "Außerdem haben wir die industrielle Revolution weit hinter uns gelassen, daher glaube ich nicht, dass ich jemals die Landwirtschaft als Beruf in Betracht gezogen habe."
Hochgürtel ist trotzdem entschlossen, ihren Traum weiterzuleben, solange sie noch auf dem Land laufen kann, das sie mit Stolz ihr Eigen nennt. Sie schmiedet sogar Pläne für die Zukunft und plant Info-Veranstaltungen für diejenigen, die die Landwirtschaft als Beruf vergessen haben.
"Ich hoffe, dass ich das noch viele Jahre lang tun kann. Ich biete auch Führungen für Schulen an, organisiere Gruppenveranstaltungen und richte im Herbst ein großes Hoffest aus. Ich möchte einfach die Idee der Landwirtschaft hoch halten und zeigen, dass man sie auch anders betreiben kann."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.