Warum Kongos Armee der viel kleineren M23 unterlegen ist
13. März 2025
Der "rigorose Gegenschlag", den Kongos Präsident Félix Tshisekedi versprochen hatte, bleibt bisher aus. Dabei umfasste die kongolesische Armee (FARDC) laut der Denkfabrik International Institute for Strategic Studies 2022 etwa 135.000 Soldaten, Experten zufolge sind es inzwischen noch mehr.
Hingegen verfügt die Rebellengruppe M23, die bereits große Gebiete im Ostkongo erobern konnte, über einige Tausend Kämpfer - die zusätzlich von knapp 4000 ruandischen Soldaten unterstützt werden. So schätzen es die Vereinten Nationen. Und das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI gibt an, dass der Kongo seine Militärausgaben 2023 auf 794 Millionen US-Dollar mehr als verdoppelt hat. Wie also lassen sich die Gebietsgewinne der M23 erklären?
Die FARDC als "Selbstbedienungsladen"
Budget und Truppenstärke allein sind nicht entscheidend - hier sind sich Experten weitgehend einig. So sieht Alain De Neve, Forscher am Royal Higher Institute for Defence (RHID) in Brüssel, die "systemische Korruption" als einen Hauptgrund für die Schwäche der FARDC: "In diversen Berichten wird auf das Verschwinden von Geldern hingewiesen, die für Gehälter und Logistik bestimmt sind. Das erklärt, warum die Moral der Truppen so niedrig ist und es immer wieder zu Desertionen kommt. In einigen Fällen greifen Soldaten sogar auf Plünderung oder Erpressung der örtlichen Bevölkerung zurück, um zu überleben." All das trage nicht gerade zur Beliebtheit der FARDC bei.
"Die Armee hat ein Eigenleben entwickelt", sagt auch Ciaran Wrons-Passmann, Geschäftsführer vom deutschen Ökumenischen Netz Zentralafrika (ÖNZ). Sie sei zu einem "Selbstbedienungsladen" geworden, in dem sich Führungspersonen bereichern könnten, so Wrons-Passmann im DW-Interview. Es gebe immer wieder Berichte, dass hohe FARDC-Militärs im Ostkongo deutlich mehr Soldaten meldeten, als sie tatsächlich hätten, ergänzt Jakob Kerstan, Büroleiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Kinshasa. "Weil sie dann auch mehr Zuwendungen aus Kinshasa bekommen. Die Verteilung der Gelder läuft nämlich allermeistens über die Generäle."
Söldner werden besser bezahlt als Soldaten
Die einfachen Soldaten, die ohnehin schlecht bezahlt werden - laut der Nachrichtenagentur Reuters bekommen sie rund 100 Dollar im Monat - gingen nicht selten leer aus, so Kerstan. Gleichzeitig hätten "osteuropäische Söldner zigtausende Euro pro Monat bekommen". Konflikt vorprogrammiert: "Man arbeitet mit anderen Akteuren, die man für besser geeignet hält. Das untergräbt den Korpsgeist", erklärt Wrons-Passmann. Und die Führungsebene fügt der Moral weiteren Schaden zu: In der Nacht, bevor die Rebellen Goma einnahmen, seien Militärkommando und Provinzbehörden per Boot über den Kivu-See Richtung Bukavu geflohen, ohne das ihren Soldaten zu sagen, heißt es in einem UN-Vermerk.
Mangel an Training, Ausstattung und Kommunikation
Ein weiteres großes Problem der FARDC ist laut Alain De Neve das "Defizit bei Ausbildung und Ausrüstung - im Gegensatz zur M23, die über eine strukturierte Ausbildung und Kampftaktiken verfügt, die gut an das bergige Terrain in Nordkivu angepasst sind". Auch die ruandische Armee, die sie unterstützt, hat den Ruf, extrem gut aufgestellt zu sein. Ruandas Soldaten kommt auch eine Schlüsselrolle in internationalen Friedensmissionen zu - etwa in der Zentralafrikanischen Republik oder Mosambik.
Technologisch und logistisch sei die FARDC demgegenüber rückständig und kompliziert, so Jakob Kerstan: "Kinshasa weiß teilweise nicht, wo Armeeteile im Ostkongo unterwegs sind. Teils wird die Armee per WhatsApp koordiniert, das macht es für Kinshasa extrem schwer, klare Anweisungen zu geben, die dann auch vor Ort umgesetzt werden."
Vetternwirtschaft und die Angst vor dem Staatsstreich
Von wegen Umsetzung: Die Regierung zeige einen "Unwillen, echte militärische Macht an kompetente Offiziere zu delegieren", sagt Alain De Neve. Stattdessen sei Vetternwirtschaft weit verbreitet. "Militärische Befehlshaber werden nicht immer nach ihrer Kompetenz ausgewählt, sondern eher nach ihrer Loyalität gegenüber dem Regime. Das führt zu schlechten taktischen und operativen Entscheidungen."
Loyale Militärs zu finden, scheint für Kinshasa aber nicht einfach zu sein. "Bei den Generalstabschefs und auch bei den Nachrichtendiensten hat es sehr viele Rotationen gegeben", sagt Ciaran Wrons-Passmann. "Das zeigt, dass Tshisekedi nicht das richtige Personal gefunden hat, das seine Ideen auch umsetzen würde."
Und mehr als das: Die Eingliederung von ehemaligen Warlords in die Armee stellt diese vor massive Probleme. Immer wieder weisen Experten darauf hin, dass die Eingliederung nicht richtig umgesetzt werde - und so parallele Befehlsstrukturen entstünden.
Schwäche der FARDC historisch bedingt
Kurz: Die Lage der kongolesischen Armee ist desolat. Dass es so weit kommen konnte, ist auch in der Geschichte begründet. Gut drei Jahrzehnte (von 1965 bis1997) stand der Kongo - später Zaire - unter der Führung von Mobutu Sese Seko. "Er wollte aus Angst vor einem Staatsstreich die Armee nicht zu stark werden lassen und hat Generäle gegeneinander ausgespielt", blickt Jakob Kerstan zurück. Statt auf Landesverteidigung lag der Fokus auf einer starken Präsidialgarde zum Schutz des Präsidenten.
Unter Mobutus Nachfolgern Laurent und Joseph Kabila sei die Armee dann unter anderem durch Ruanda unterwandert worden. "Das ist auch der Grund, warum sich die Regierung jetzt so sträubt gegen Verhandlungen mit der M23. Weil sie Angst haben, dass sie infiltriert werden", so Jakob Kerstan.
Tshisekedi: Armee "von innen verraten"
Zumindest in diesem Punkt deckt sich der Blick der Experten in Teilen mit der Selbstdarstellung der Regierung. "Vergessen Sie nicht, dass diese Armee nach dem Sturz Mobutus von James Kabarebe angeführt wurde, einem ruandischen Militär, der jetzt von den USA sanktioniert wird", sagte Patrick Muyaya, Regierungssprecher und Medienminister der DRK, der DW Anfang März in einem Interview. Damit verwies er auf die Phase massiver Konflikte zwischen 1996 und 2003, die heute zumeist als erster und zweiter Kongo-Krieg bezeichnet wird.
"Nach dem Abkommen von Sun City mischten wir all diese Militärs, die von ruandischer Seite kamen. Wenn man das alles mischt, wird es sehr kompliziert", so Muyaya.
Die Armee sei "von innen verraten" worden, sagte Präsident Felix Tshisekedi seinen Anhängern. "Mein Vorgänger war 18 Jahre lang an der Macht, ohne die Armee wieder aufzubauen", so der Staatschef gegenüber der New York Times. Einigen Mitgliedern der Streitkräfte fehle es an "Pflichtgefühl" gegenüber der Nation, erklärte Tshisekedis Büro.
Und jetzt? Die Demokratische Republik Kongo (DRK) arbeite an der Reform der Streitkräfte, sagt Patrick Muyaya - doch das gehe eben nicht so schnell. "Man sollte nicht glauben, dass man die gesamte Armee-Reform in fünf Jahren abschließen kann. Wir haben damit begonnen. Was glauben Sie, warum (Ruandas) Präsident Kagame beschlossen hat, anzugreifen und diesen Krieg in der DRK zu führen? Weil er sieht, wie sich die Dinge verändern."
"Die M23 existiert nicht"
Einen Dialog mit der Rebellenbewegung schließt der Kongo bislang strikt aus - mehr noch: Die M23 existiere gar nicht, erklärt Patrick Muyaya. Sie sei von Ruanda nur als Vorwand geschaffen worden, um die kongolesischen Rohstoffe in die Hände zu bekommen. "Es ist nicht die M23, es ist die ruandische Armee. Ruanda ist ein Lügengebilde."
Danach, dass die Region zur Ruhe kommt, sieht es noch lange nicht aus.
Mitarbeit: Jonas Gerding