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Politik

Warum Kubas Ärzte ihr Leben riskieren

Yoani Sánchez
1. April 2020

Hinter dem Ruhm und Respekt, den die kubanischen Ärzte im Ausland genießen, verbirgt sich eine traurige Realität: Die meisten von ihnen leben in ihrer Heimat nämlich im Elend, meint Yoani Sanchez.

Kubanische Ärzte und Fachleute in Italien
Bild: picture-alliance/dpa/AP/A. Calanni

Abends um 21.00 Uhr überall Applaus auf Kuba. Gedacht als Hommage an die Ärzte und Pflegekräfte, die an der Frontlinie im Kampf gegen Covid-19 stehen - wie auch in vielen anderen von der Pandemie betroffenen Ländern. Die haben in Kuba jedoch nicht nur mit der Ansteckungsgefahr, sondern auch mit dem Verfall der Krankenhäuser und niedrigen Gehältern zu kämpfen.

Seit Jahrzehnten wird das kubanische Gesundheitssystem von der offiziellen Propaganda in den Himmel gelobt und ist so auf internationaler Ebene fast zu einem Mythos geworden. Die umfangreiche und kostenlose Versorgung wird als eine der großen "Errungenschaften der Revolution" dargestellt und gilt vielen immer noch als Beispiel, wie Dinge idealtypisch sein sollten. Unter den Kubanern wächst jedoch die Unzufriedenheit über den schlechten Zustand der Krankenhäuser, in denen die Patienten vom Bettzeug bis zur Verpflegung alles selbst mitbringen müssen.

Meister im Umgang mit Krisen

Nun wird auch das kubanische Gesundheitssystem auf die Probe gestellt: Das Coronavirus breitet sich im ganzen Land aus, nach offiziellen Angaben sind bereits 186 Personen positiv auf die Krankheit getestet worden und sechs verstorben. Da die kubanischen Ärzte für den Umgang mit Eventualitäten und die Arbeit mit wenigen Ressourcen ausgebildet worden sind, verfügen sie nun über besonders nützliches Können: Viele von ihnen sind Meister im Umgang mit Krisen.

DW-Kolumnistin Yoani SanchezBild: picture-alliance/dpa/M. Ruiz

Diese Fähigkeit, mit wenig Mitteln viel zu bewirken, ist eine der Stärken der kubanischen Ärzte, die in den vergangenen Tagen in Länder geflogen sind, in denen das Coronavirus wütet. Mehr als 40 Länder haben nach Angaben des kubanischen Gesundheitsministeriums Hilfe durch die medizinischen Fachkräfte der Insel beantragt. Zweifellos eine weise Entscheidung dieser Länder, denn sie werden in Notfallsituationen erfahrene Ärzte erhalten.

Interessant ist jedoch auch das Kleingedruckte dieser Abkommen zwischen der kubanischen Regierung und den anfordernden Ländern: Die kubanischen Ärzte werden unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten, da nur ein winziger Teil des von den Gastgebern bezahlten Geldes in ihre Taschen fließt. Die kubanischen Ärzte arbeiten aufopferungsvoll, schwitzen und riskieren ihr Leben. Aber der größte Nutznießer wird eine Regierung sein, die nicht transparent aufzeigt, wohin das Geld dieser medizinischen Einsätze fließt.

Obwohl offizielle behauptet wird, dass dieses Geld für die Verbesserung der nationalen Gesundheitseinrichtungen und -dienste ausgegeben wird, gibt es keine Belege hierfür. Es kann daher sowohl für die Rettung von Menschenleben wie auch für den Fortbestand des Unterdrückungsapparates verwendet werden.

Propagandistisch-ideologischer Überbau

Darüber hinaus müssen die Ärzte akzeptieren, dass ihre Arbeit einen ideologischen Überbau verpasst bekommt: Man muss nur die Bilder der kubanischen Ärzte sehen, wie sie vor ihrer Abreise neben einem Porträt von Fidel Castro posieren, um zu verstehen, dass sie von der kubanischen Regierung für Marketingzwecke benutzt werden. Der Staat will aus der Pandemie ideologischen Nutzen ziehen und die Idee verbreiten, dass autoritäre Regeln zwar Freiheiten einschränken, dafür aber Leben retten.

Kubanische Ärzte vor ihrer Abreise nach ItalienBild: picture-alliance/dpa/AP/I. Francisco

Die offizielle Darstellung wird jedoch gestört, wenn einer dieser Mediziner beschließt, nicht mehr auf die Insel zurückzukehren. Aus den "Helden des Landes" werden dann ganz schnell "Deserteure". Wer von einer Mission nicht heimkehrt, darf acht lange Jahre nicht mehr einreisen und seine Familie sehen. Außerdem verliert er Anspruch auf das im Ausland verdiente Gehalt, das allein auf ein kubanischen Bankkonto fließen darf.

Zugang zu Waren, die auf Kuba nicht gibt

Warum gehen sie also auf diese Missionen, bei denen sie ihr Leben riskieren und doch nur so wenig verdienen, werden sich viele fragen? Neben der Motivation des Helfens gibt es noch mehr: Aus dem Inselgefängnis herauszukommen ist wie ein Aufatmen inmitten eines so harten Alltagslebens. Obwohl sie in Notfallsituationen kommen, werden sie im Ausland Zugang zu viel mehr Dienstleistungen und Produkten haben, als zu Hause. Sodass sie in der Lage sind, Waren nach Kuba zu bringen, die ihre Situation und die ihrer Familien dort erleichtern werden.

Vor einigen Jahren traf ich eine Epidemiologin und Universitätsprofessorin, die eine medizinische Mission in Venezuela annahm, weil dies die einzige Möglichkeit war, so Mittel für die Reparatur des Daches ihres Hauses zu erhalten. In Kuba kennen wir den harten Kontrast eines Neurochirurgen, der ein Gehirn operiert, ohne gefrühstückt zu haben, weil sein Gehalt nicht für ein Glas Milch ausreicht, und eines Nephrologen, der seine Patienten bittet, ihm einen Snack zu kaufen, damit er den Tag durchsteht.

Ein Leben im Elend

Obwohl das Gehalt der medizinischen Fachkräfte zu den höchsten in ganz Kuba zählt, entspricht es doch nur dem Gegenwert von 70 Dollar im Monat. Und dies in einem Land, in dem ein Liter Pflanzenöl etwa 2,50 Dollar kostet und für einen Liter Milch in den staatlichen Läden mehr als 1,50 Dollar verlangt werden. Die Ärzte in Kuba leben praktisch im Elend.

All dies und vieles mehr beeinflusst ihre Entscheidung, in ein Flugzeug zu steigen, um ihre beruflichen Dienste außerhalb Kubas zu leisten. Selbst wenn sie dabei ihr Leben riskieren und wissen, dass die Regierung ihnen den größten Teil ihres Einkommens wegnehmen wird.

Beifall für großartige Menschen

Sie tun es auch, weil sie ihren Beruf lieben, weil sie großartige Menschen sind, wie alle Ärzte auf diesem Planeten, und nicht, weil sie sich zu einer Ideologie bekennen oder weil sie einer bestimmten Partei angehören. Die Ärzte sind die wahren Helden dieser Tage, und das sicher nicht, weil die offizielle Propaganda das sagt.

Wenn es heute Abend neun Uhr schlägt, werde ich auf meinem Balkon frenetisch für sie klatschen. Als Dank für ihre Arbeit. Aber gewiss wird das keine Ovation für ein System sein, das sie zu Armut und politischer Pflichterfüllung verurteilt. Beifall für unsere Helden in den weißen Kitteln!

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